
Dienstag, 30. August 2005
Or should I go now?
(The Clash)
Manchmal, so abends am Fenster, denke ich, fahrt ihr doch alle weg - ich bin ja schon da. Aber dann ist das natürlich Blödsinn, man muß ja auch mal raus, andere Luft, Haut entblößen,
Wind und Wasser spüren. Frankreich oder Ostsee, Frankreich oder Ostsee geht das Spiel seit einigen Tagen. Selbstverständlich hieße zu normalen Zeiten die Antwort immer "Atlantik!"
Gischt, Wind und Wettergerbung. Aber nun, vielleicht eine kleine Tour de L'Est oder doch alles anders. Paris oder Prague, Rheinland oder Hauptstadtmoloch - oder einfach Telefon ausstöpseln, Internet erschießen und mit einem Fichtennadelnaufguß auf den Speicher klettern. Schwitzen, brüten, staubsaugen. Oder am Hafen ein Bier trinken. Alles belegt, tönt es aus dem Rohr der Nautilus. Dann schmeißen Sie die Leute raus, denke ich - aber nur leise und für mich und schweige still und überlege mir für morgen Plan Z.

Sonntag, 28. August 2005
Hello, hello, my name is
Warren Suicide
(Warren Suicide, "Warren Suicide")
Das ist mir nun auch zum ersten Mal passiert: Sitze ich in der U-Bahn und werde von einer hochattraktiven jungen Frau angesprochen. (
Ich denk' noch, was will die, ist meine Musik jetzt schon den Punketten zu laut?)
Als ich meine Ohrhörer herausgefriemelt habe
(Sie hören gerade: Radiohead, "Knives Out"), vernehme ich, "Bist du nicht kid37, der Blogger?" und gerate kurz ins Grübeln.
Wer, wo, was? Ja, tatsächlich, ich glaube, das stimmt. Es stellt sich heraus, es handelt sich um Hamburgs bekannteste Damentoilettenfotografin, die zudem ein hochgenaues Auge für Gesichter und irgendwann mal mein Foto gesehen hat.
Da war ich überrascht, denn ich hatte zwar mein T-Shirt mit Das hermetische Café an und diese Schale aus Aluminium (gegen die Strahlen) mit den aus Styropor gesägten, an Drahtspiralen aufgehängten Zahlen "3" und "7" auf dem Kopf - fühlte mich aber dennoch irgendwie mit dem Hintergrund verschmolzen unsichtbar.
Mal was Positives, denke ich, und shanghaie die Dame gleich für den Flohmarkt, zu dem ich untgerwegs bin. Allerdings muß ich rasch die Idee aufgeben, eventuell jemanden zum Tragen gefunden zu haben, denn Lady Grey hat bald schneller zugeschlagen, als ich "Meinen Sie wirklich?" sagen kann.
Für mich blieb nur der Pferdefuß, wie so oft im Leben. Ich widerstand allerdings (man kann sich nicht jedes tote Tier ins Haus holen) und begnügte mich mit Edward Goreys Katergorey und dem vergnüglichen kleinen Heimschnitzerfilm May. Auf dem Rückweg, jetzt aber zum Dritten!, traf ich erneut auf die kleine ringelbestrumpfte Japanerin, die immer in meiner U-Bahnstation Selbstporträts macht.
Fast hätte ich gefragt, "Lust auf'n Film?" und ihr die tödliche Schneiderin vor die kajalumränderten Augen gehalten (alle Japanerinnen lieben blutige Horrorfilme!). Aber dann fiel mir ein, daß ich heute irgendwie im Dienst war. Und erkennbar. Nicht inkognito. Nicht auszudenken, die ruft laut um Hilfe oder kann Kung-fu - und dann bekomme ich obendrein noch Flohmarktverbot.
Was wollte ich eigentlich sagen? Ach so, Herr Mequito, Herr Axel K. und weitere von der Neigungsgruppe "Suff und St. Pauli", schönen Gruß von der Gegengeraden, beim nächsten Bier sei man dabei!
Zu Hause dann noch ein paar konspirative Bloggerfäden gezogen - Frau Gaga, Sie hatten recht: Die netten Überraschungen (nicht immer nur Wasser durch die Decke) reißen nicht ab!
File under: Ein schöner Tag

Samstag, 27. August 2005
... da lebt eine, die ist so bekloppt wie ich sammelt auch allen möglichen Plunder vom Flohmarkt: Fotos, Kunst von Amateuren, alte Magazine, Notizbücher.
Das Blog Swapatorium gibt darüber Auskunft. Seit einem Jahr geht das schon so, keiner sagt mir Bescheid. Aber, Grüß Gott in die Schweiz, Miss W. lungert natürlich auch dort rum.
Und das macht mir das Herz so weit: Fly Me To The Moon.
Die Dame unterhält auch ein Zweitblog zum Thema Collagen. Kann man auch mal reinschauen. Ich gehe jetzt wieder rostige Nägel auf der Straße suchen.

Freitag, 26. August 2005
Heute, und es wird einige überraschen, aber ich muß es mal sagen: Rüüüüüüülllps.
(Danke, schon besser. Und vielen Dank auch für die Stöckchen, die nach mir geworfen wurden. Aber ich bin derzeit so dermaßen leckt-mich-doch-alle-mal, da mache ich lieber ein bißchen was offline. Ist eigentlich noch Vollmond?)

Donnerstag, 25. August 2005
A ringing bell
Behind my smile
It shakes my teeth
And all the while
As vampires feed
I bleed
(The Pixies, "I Bleed")
Sarah Lucas, neben ihrer engen Weggefährtin Tracey Emin, einer der herausragenden Vertreterinnen der mittlerweile fürs Feuilleton kanonisierten Brit-Art-Szene, macht sich derzeit einen Heiden-Spaß im wie so oft sehr engagierten Hamburger Kunstverein.
Die launige Retrospektive rund um ihren bissigen Kommentar auf die liebe Kollegenszene ("Complete Arsehole"), zeigt Porträts der notorisch breitbeinig sitzenden Bananenlutscherin und einen guten, morbid-lustvollen Schwung ihrer uber-sexualisierten Installationen.
Da wird allerlei Obst und andere Lebensmittel in pubertär-eindeutigen Posen drapiert, liegen tote Hühner in Bondage-Pose ("Spread Eagle") auf Bettgestellen, da penetrieren Leuchtstofflampen versiffte Matratzen und zerfließen Eier und Nylonstrumpfhosen in Badewannen mit phallischen Sanitärinstallationen, daß es eine Schweinerei Pracht ist. All überall: Zigaretten. Eine fröhliche, allesdurchdringende Assemblage aus Ei, Blut, Kakao, Schlafstätte und dekorierten Urinalen. Ein wenig monothematisch, möchte man vielleicht rufen. Aber natürlich nicht uninteressant. Meine Begleiterin scheut vor Ekel-Content nicht zurück. Anfassen sei kein Problem, meint sie und ich nicke zustimmend. Gemeinsam sinnieren wir über die Einsatzmöglichkeiten geschändeter Schweinehälften und -pfoten im sozialen Miteinander.
Was fehlt, ist ein Raucherzimmer, in dem man sich nackt in zerschlagenen Eiern wälzen kann, denke ich. Oder den Tisch besteigen, der als "Bitch" deklariert ist. Aber nun, wir sind in Hamburg, da lebt man - trotz angedeuteter Darkrooms auf der Ausstellung - gesittet. Die phallischen Objekte aus Beton ("Zum Glück ist es...") sind zum Spielen sicher auch zu schwer.
(Sarah Lucas. Hamburger Kunstverein, bis 9.10.2005)

Dienstag, 23. August 2005
Es scharret mit Hufen krumm,
Die Sterne erschraken so weiß.
Und der Mond wie ein Greis
Watschelt oben herum
Mit dem höckrigen Rücken.
(Georg Heym, "Halber Schlaf".)
Der Abend treibt langsam den Nebel über den Kanal. Ich genieße die Kühle, die durch das Fenster kriecht. Ein Nachbar schrie heute die nervöse Ente im Krick an. "Quack-quaak", nervte es den ganzen Tag.
"Halt die Schnauze", echote es über das Wasser. Beantwortet von einem zaghaft-fragenden "Qua?"
Man steht sich zu fern, um solche Fragen verstehen zu können. Man steht sich zu fern für irgendwelche Antworten. Das, was zu sagen war, wurde nie gesagt oder nie freiwillig. Nun spielt es keine Rolle mehr.
Es sind fremde Sprachen. Belassen wir es dabei. Als die Grenzen fielen, waren niemals diese gemeint.
"Crawl down the wall like no-one at all
Crawl down the track, find your way back."
(Editors, "Crawl Down The Wall".)

Sonntag, 21. August 2005
Es scheint die Art von Symbiose, die mir sehr ideal erscheint. Diese gegenseitig sich befruchtenden, engen, aber nicht konkurrierenden Künstlerbeziehungen, die über das Klischee von Maler/Modell oder allgemein Künstler/Muse hinausgehen.
Mïrka Lugosi ist die Lebensgefährtin meines Lieblingsfotografen (wenn man das in dieser Eindeutigkeit so sagen kann) Gilles Berquet. Die beiden leben zusammen in einer mittelgroßen Wohnung in Paris und machen gemeinsam ihre schmutzigen Sachen,
u. a. das kleinformatige und umso elegantere Fetischmagazin Maniac (bislang acht Ausgaben). Sie ist häufig Modell in Berquets Bildern, hat sich aber auch selbst als recht interessante Illustratorin und Malerin behauptet. Gemeinsam haben die beiden 2002 ein Buch veröffentlicht: Défence d'Ouvrier. Nun legt Mlle Lugosi nach mit ihrem schmalen Band Mademoiselle.
Hocherotische, pronografische Zeichnungen und frivole Illustrationen, übermalte Fotos (von Gilles Berquet) aus dem weitgesteckten Umfeld surrealer, morbider Gothic-, SM- und Fetish-Kultur - irgendwo zwischen Hans Bellmer,
Man Ray und, öh, Gilles Berquet. Anregend, humorvoll, morbide - ein echter Spaß für Auge und Hose.
Ach ja. Ich habe ein Foto von ihr in Ringelstrümpfen. Ein Grund mehr, Gilles Berquet zu beneiden bewundern.
(Mïrka Lugosi. Mademoiselle. Last Gasp, 2005.)
(Bei Last Gasp kann man fast blind kaufen: Für dieses Jahr sind dort noch angekündigt: Liz McGrath (endlich!) und Camille Rose Garcia. Falls jemand noch Weihnachtsgeschenke sucht.)
