Sonntag, 9. Mai 2021


Beschäftigt bleiben

Seit ich wieder in die Stadt gehen kann,
ist das eine großes Erleichterung für mich.
Doch wie lange habe ich mein Zimmer nicht verlassen!
Es waren bitteren Monate und Jahre.

(Bruno Schulz, "Einsamkeit". 1937.)



Zu Hause sitzen, durchs gekippte Fenster atmen, den Impf-Dax beobachten und die Ausschläge der Termingeschäfte; Jubelschreie auf dem Parkett, wenn Vakzin-Entrepreneure was im Oberarm gelandet haben. Hier zirpen unterdessen die Grillen, rollt Tumbleweed über den Wohnzimmerteppich, starre ich auf Wände, und die Wände starren zurück. Ab und an foppt mich freundschaftlich die Hausspinne, um mich ein wenig aufzuheitern. Doch auch die Tiere sind unruhig.



Wer nicht wie andere Vergessene nach Jahren vor dem laufenden Fernseher bei blinkender Weihnachtsbeleuchtung aufgefunden werden will (kann heute wegen der geplanten Obsolenz nicht mehr passieren, die Geräte halten einfach nicht so lange), sucht sich am besten eine Beschäftigung. So wie meine Mutter, die hier in Sydney eine beeindruckende Sammlung wunderbarer medizinhistorischer Exponate betreut. Das nenne ich Interesse und Engagement und einen schönen Kampf gegen die eigene Obsoleszenz und das Vergessen. Mit herzlichem Charme führt die alte Dame durchs kleine Museum, begeistert Besucher und macht, was sonst nur Blogger ungefragt tun: Sie gibt ihr Wissen weiter.

Es ist natürlich nicht wirklich meine Mutter, bevor jetzt jemand petzt und protestiert. Die sitzt, seit letzter Woche auch endlich mal geimpft, brav daheim und wartet auf einen schönen Gruß zum Muttertag. Alles Gute, Mutti!