Sonntag, 18. August 2019


Technik und Gerede



Derzeit packe ich kleine Ideen vorsichtig mit der Pinzette am winzigen Fellkragen und sortiere sie in die freien Mulden von alten Eierkartons. So kommt nichts weg und auch nichts dran. Vielleicht, so lautet eine davon, mache ich ein Magazin. Das wird heißen Technik und Gerede. Vielleicht auch Kultur, Technik & Gerede oder Kulturtechnik und Gerede ("Hiermit beantrage ich Titelschutz in allen Schreibweisen und Variationen"). Man soll da nicht gleich zu Anfang schon alles im Detail zerreden.

Darin geht es zunächst einmal um eine Art Archäologie - "of a past that never was". Vielleicht ein kleiner Essay über Knackser auf Schellackplatten. Oder über die Entfesselung einer statisch gebundenen Performanz von Musik durch den Durchbruch des Grammophons. So wie man heute kein Kino braucht, um einen Film auf dem Mobiltelefon zu sehen. "Spiritismus als vormodernes Speed-Dating" lautet mein erster Beitrag (mit Ektoplasma-Centerfold!). Von der Tonalität her alles - bei aller Schwere der Gedanken - im munteren Plauderton, das Magazin soll schließlich viele Cold-Brew-Coffeetable erreichen und von Menschen gelesen (und gekauft) werden, die sich auch sonst für Hifi-Klumpert und technisches Lebenstilgedöns interessieren. Sich aber auch fragen, was das alles bedeutet für ihr Leben und das der anderen. Im Entertainment-Teil werden nur Stummfilme vorgestellt und Lyrik des Expressionismus, aktuelle Trends in der Plattenkamerafotografie und Stars des Vaudeville.

Ich könnte mir aber auch vorstellen, ein Magazin zu machen, das hieße Affen & Elefanten. Vor ein paar Jahren sah ich auf einer Ausstellung ein brillantes Bild von Gabriel von Max, der vor hundert Jahren gutes Geld mit Gemälden heiliger Frauen, Märtyrerinnen und skeptischer Affen machte. Statt dieses Geld zu sparen, kaufte er, man muß sich die Gesichter vorstellen, obskures altes Zeugs, tote Tiere, Fossilien und Skelette und lebte voller Ekstase wie in einem Museum. Und anstatt mich als Erben einzusetzen, verfiel seine Villa am Starnberger See und soll abgerissen werden (dies ist vielleicht auch schon geschehen), die Sammlung blieb zum Glück erhalten. Von Max hätte ich jedenfalls gerne ein Titelbild für die erste Ausgabe.

Schön und detailreich ist auch der Elefant auf dem Cover (wunderbares Digipack zum Ausklappen, mit Fotos und Texten übrigens) des Albums "Kramuri" der Gebrüder Marx, die hier neulich so nett empfohlen wurden und - Zufall oder nicht - nur ein paar Buchstaben von Gabriel von Max verschoben sind. Die Lebensfreude in deren Texten ist angenehm reduziert ("Als ich das Licht der Welt erblickte/Verließen alle Engel Wien"), die Lieder beklagen den Verfall der Welt ("Mei Gschropp redt wie a Piefke/Und is in Wien geborn/Vü mehr kaunn gor net schiefgeh/I glaub i bin verlorn") und dissen wie in "Scheißnatur" die, äh, Natur ("Du bleda Paradeiser/Warum bist du nur rot?")

Es würde also mehr ein Naturmagazin über das Leben der Tiere und Gewächse, aber alles von unten betrachtet. Nächsten Monat dann Gründer-Gespräch, das muß man ja alles erstmal finanzieren. Mit ohne Geld.

>>> Geräusch des Tages: Gebrüder Marx, Scheissnatur