Donnerstag, 3. September 2015


Na also, so geht es doch auch



Das war heute nach einer Reihe sehr unschöner Tage (also mental, aber auch von der Laune her) eine freudige Überraschung im Briefkasten. Die junge, charmante Nachbarin von ganz unten sah wohl Grund für mittlere Zerknirschtheit, ich aber von ganz oben eigentlich keine Ursache. Gehört habe ich jedenfalls nichts. (Das ist im Leuchtturm gut verteilt, die jungen Leute könnten hier oben ja auch die Lichter und Linsensysteme zur Orientierung für die Motorboote gar nicht bedienen. Nicht, weil sie dafür mental oder vom Kopf her nicht geeignet wären, sondern weil es dafür keine App gibt. Das läuft alles mit Hebeln und Rädern und Zugseilen und natürlich einem schlichten Baumwolllappen, mit dem ich den Spiegel... jedenfalls bekomme ich hier oben schon einiges mit, aber doch nicht alles.)

Zuletzt aber gab es doch Grund zur Klage, ein munteres Kommen, Gehen und Benehmen jüngerer Leute, die den Stadtteil hier entdecken und noch keinen Einführungskurs bei mir belegt haben. Da wird Müll im Treppenhaus abgestellt, Mädchenbierflaschen (voll, aber geöffnet, am 21.8.2015), To-Go-Becher (leergetrunken, am 15.7.2015), sogar ein Monoblock-Stuhl (pottenhäßlich von Haus aus, dazu noch versifft, am 25.8.2015) und so weiter - nicht, daß es mich großartig oder näher interessieren würde.

Ist halt so, höre ich immer wieder. Auch diese nächtlichen Geräusche, schlimme Musik darunter oder Möbelrücken (als Kid "Sherlock" 37 identifizierte ich es schließlich als Modell "Beddinge Lövås" eines sehr, sehr großen schwedischen, aber ansonsten ungenannt bleiben sollenden Möbelanbieters) müsse man ja auch mal tolerieren können. So jedenfalls schalt mich eine junge Dame, die selbst in einer sehr, sehr großen, hier aber ansonsten ungenannt bleiben sollenden Stadt in Deutschland lebt. "Toleranz!" sei das Zauberwort und Erinnerung an die eigene Jugend, während ich erneut diese nun objektiv wirklich schlimme und zudem wochenendferne Musikdarbietung zu mitternächtlichen Stunde beklagte und über den Begriff "Rücksichtnahme" sinnierte. Da war ich aber bereits wie von der Spitze meines Leuchtturms gefallen, also quasi unten durch. "Ick mach jetze ooch Musike und zwar laut!" grimmte es mir - glücklicherweise nur telefonisch - aus der hier anonym bleiben sollenden Stadt entgegen, und ich dachte, bißchen kindisch jetze gut, dann wird es wohl an mir liegen (gelernt ist gelernt).

Nun gibt es sie aber noch, die guten Dinge. Erst sprachen mich junge Nachbarn an, ob ich auch diesen Lärm in letzter Zeit mitbekommen hätte, worauf ich schallend lachen mußte und sagte, bitte nicht falsch verstehen, aber das freue mich sehr, daß sie so genervt seien. Denn wie meistens im Leben geht es doch nur darum, verstanden zu werden. Ich hingegen, schob ich ausgebufft und quasi großstädtisch hinterher, hätte selbstverständlich das Motto: "Leben und leben lassen!" (Da schauten die aber!)

Und nun diese rührende, buchstäblich herzige Geste der Entschuldigung, Einsicht, Rücksichtnahme und - jawohl! - Toleranz. Man möchte gleich eine knallelaute Party mit dieser Nachbarin all den Nachbarn machen. Mit Musik sogar! Ich such' aus! Nächste Woche übe ich mit den jungen Leuten "Mülltrennung" - es wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.