Mittwoch, 31. Juli 2013
Rock and Wrestling
Rock and Wrestling
ist jetzt wieder da.
(Nik Neandertal,
"Die Hymne".
Nochmal?)
Einmal im Jahr können in Hamburg Gebrechliche wieder Gehen, Träumer die Muskeln anspannen und Flüsterkneipenbesucher wilde Juchzer hören. Da gehört plötzlich Rock zu Wrestling wie sonst nur Tom zu Jerry, Ping zu Pong, Kid zu Siebenundreißig oder der Papst zur Messe.
Zum Ereignis gehört eine feste Liturgie. Die heißt nicht "Mal sehen", sondern "Ganz genau!" und das bedeutet: pünktlich da sein, entschlossen anstehen, und wissen, was und wo der Ring ist. Auf der Ersatzbank durch zahlreiche Ausfälle geschwächt, hatte ich noch Karten zu verkaufen, mußte daher Kontakt zu jungen Menschen aufnehmen. Ich sach mal so: Loide. So nicht. Während früher, wenn man schon keine Karte hatte, weil man, so was kommt vor, auch wenn es dafür keine Entschuldigung gibt, irgendwie mit dem Terminkalender durcheinandergekommen ist, dann ging man trotzdem hin (Barfuß! Im Bußgang!) in der zarten Hoffnung, daß irgendeiner sozusagen auf dem Weg schwer verstorben ist und durch diese Umstände (und wirklich nur so!) eine wirklich allerletzte Karte doch noch frei geworden ist. Und dann: Dankbarkeit! Tränen in den Augen! "Ich werde den Enkeln davon erzählen!", "Dankbarkeit bis ins letzte Glied" usw.
Nicht aber: Smartphone zücken, Ey, du, warte mal, ich ruf da gleich mal die NastiNadineNicole oder TimTomKlaus an, ach nee, melden sich nicht, sind wohl auf 'ner anderen Party (eine ANDERE Party?!?), dann schnell, wischwisch, die Facebook-Gruppe "Ey Mann, wo geht's denn hier zur Party?" getopcheckt... Also bitte, Freunde. Ja oder Ja. Glaubt mir, es wird kein gutes Ende nehmen mit dieser Generation Vielleicht oder Morgen.
Drinnen dann zum Glück gleich DingDong, wir sind jetzt da, wo die Herzen pochen, die Stimmung Schwellkörpern gleich zum Platzen gespannt ist, schön alles festhalten, die Geräte dabei ausschalten, auf Blutspritzer achten (das Management übernimmt keine Gewährleistung), die Kämpfer anfeuern - und, ganz wichtig: nicht selbst Teil der Show werden wollen. Wir machen das! heizen Testsieger den Laden gleich noch ein paar Grad höher. Ich denke, sehe ich auch so, das werden wir ja wohl schaffen. (Ich kämpfe ja nur noch gegen mich selber.)
Hamburgs weltbestes Nummerngörl Dolly Duschenka macht den Ring klar für die ersten Kämpfe, der 37-fach ungeschlagene One and Only Baster holt ordentlich einen aus der Lampe, seinen bezaubernden Dschinn Jeannie nämlich und dann wird diesem Grünen Bastard der Hosenboden strammgezogen. Zack, voll auf die Zehn, als könne man drei und sieben zusammenzählen.
Für die Ladies Damen schmilzt Nik Neandertal mit ein, zwei Darbietungen der offiziellen Hymne (können auch drei oder vier Mal gewesen sein, wer zählt am Ende noch nach?) ein paar Herzen - wobei er bei dieser Hitze leichtes Spiel hatte. Schmachtende Blicke, frenetischer Jubel! Der Neandertal-Mann verausgabt, atmet nur noch aus dem Hemd.
Klitschnasse Leiber im Ring und vor dem Ring, wir wogen zu The Cheating Hearts, die kompromißlos über Belange des angestrengten Schulterschwung-Artistenlebens singen. Das Team St. Pauli aufs Mauli haut die Esso-Häuser raus und träumende Investorensäcke platt. Großer Sieg für den Stadtfrieden, alle Daumen gehen hoch. Eddie, der Eismann wirft Gefrorenes ins Publikum, enthemmte Mädchen fangen die Eistüten mit ihren Dekolletés, wo sie sofort zu Wasserdampf zerkochen. Ekstase, dabei stehen die großen Kämpfe noch an.
Wir warten auf Loony Lobster, den hartgepanzerten Kämpfer aus den Meeren mit dem festen Klammergriff (hier ein seltenes Foto, das Loony Lobster als kleinen Jungen zeigt). Auf Bento Love, den Kampfroboter der Herzen, Dr. Tentakel und den Danger Pilz. Aber auch auf echte Schurken wie Kommander Kernschmelze, den hipstrigen Schanzenschnösel und den bösen Manager Don Shrimp, der seine Kämpfer mit miesen Tricks zur Macht führen will.
Während innen als einem der letzten gerechten Orte Hamburgs meist das Gute siegt, draußen ein unbeachteter Moment. Der Hitze wegen hat sich der Backstage-Bereich auf die Treppe vorm Haus verlagert. Im Zwielicht der Straßenlaterne ein Grüppchen Wrestler, wie konzentrierte Stierkämpfer auf ihren Einsatz wartend. Halb sind sie im Kostüm, Masken und Pappmachéeköpfe liegen auf den Stufen, leichter Schweißfilm liegt auf der Haut, eine intensiv gespannte Atmosphäre in der Luft. Das Foto, das ich nicht machte.
Tiefe Nacht, tiefes Ausatmen. Tagessieger dann: Nik Neandertal. Zeit für die Hymne. Danke an alle.