Samstag, 20. März 2010
Die ersten Abende mit milden Temperaturen locken auch in Hamburg die Menschen heraus, junge Menschen zumeist, die nun aus der Winterruhe erwachen und den Bienen gleich, sich aus ihren Stöcken heraus und auf erste Erkundungsflüge begeben. Gleich bildet sich wieder das Phänomen der Teenagertrauben auf den Gehsteigen, Unterhakmädchen, die mindestens zu dritt oder manchmal auch zu viert, den Gehweg blockieren, miteinander über die dünnen Kabel ihrer MP3-Player verbunden, ein symbiotisches Wesen, das auch gut in Türen träumen könnte. Die Mädchen zeigen ihre winters erworbenen Beinbekleidungen, wildgemusterte Lurex-(Alb-)Träume, enganliegende Stiefel aus buntglänzenden Satinstoff, zurechtzerrupfte Wickel über raubtiergefleckte Strümpfen.
Das aber bloß Wegbetrachtungen auf der Fahrt vom Rande des Sozialabseits in die Nähe der Reeperbahn. Hier, bei der Linda - die es leider nicht mehr lange geben wird, weil dem Kunstverein der Mietvertrag gekündigt wurde - eröffnete Judith Mall ihre Ausstellung "Secret Volume". Herr Kelly war so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen, zum Glück, denn während ich anfänglich regelmäßig chez Linda war, sind mir die Eröffnungstermine am Freitag am Ende einer Arbeitswoche meistens irgendwie zu frühspät.
Die atmosphärischen Schwarzweißzeichnungen der Hamburger Illustratorin gewinnen ihren Reiz aus ruhigen, lakonisch beobachteten Szenen. Arbeitswelten, Büro- und Hotelzimmer, in denen scheinbar unauffällige Details wie Radiatoren, Steckdosen, Mikrofone und Überwachungskameras hervorgehoben sind. Eine diffus mysteriöse Stimmung liegt über den (hier ohne Text präsentieren) Bildgeschichten, etwas geheimnisvoll Bedrohliches scheint hier vorzugehen. Vielleicht ist es auch bloß Einsamkeit. Sie fügen sich ansatzlos in die leicht runtergerockten Räumlichkeiten der Galerie, nach kurzer Zeit schon ist man selbst ein Teil dieser filmischen Szenarien geworden, eingesogen, als stünde man vor halbdurchlässigen Spiegeln.
Mit Judith Mall, die ich sehr sympathisch finde, kann ich ein paar Worte wechseln. Ein wenig bin ich aber abgelenkt von ihrem kleinen Tattoo auf dem Oberarm. Ich kann es hier nicht näher beschreiben, aber es ist das coolste Tattoo, das ich seit langem gesehen habe. Ganz große Begeisterung. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. März.
(Judith Mall. "Secret Volume"". Kunstverein Linda, Hamburg. Bis zum 28. März 2010.)
>>> Webseite von Judith Mall