Mittwoch, 14. Oktober 2009


Schirme aufspannen



Vielleicht ein bißchen viel auf die Lampe gegossen. Wehmut trinken, Skulpturen schichten, mit dem scharfen Messer Haut um Haut abziehen bis hinab zum frischeren Ich. Dabei aber immer Massel gehabt, und schon begleitete ich mich selbst morgen & launig, man schiebt bereits wieder Atemwolken vor sich her, ins Labor. Heute empfängt nicht die mit der rasanten Frisur und den radioaktivblauen Augen, die das Blut am liebsten wohl mit den Zähnen aus der Halsschlagader ziehen würde. Ihre Kollegin aber, nur minimal bodenständiger, mir muß man nichts erzählen, verteilt Segen und Komplimente. "Diese Venen!" ruft sie entzückt und bremst sich nur knapp, nicht wie beseelt mit den Fingern über das blaue Liniengeflecht auf meinen Armen entlangzufahren. Immerhin damit könne ich dienen, biete ich an. Ich sei ein "sportlicher Typ", versteigt sie sich in Aberwitz. "Ruderer!" kontere ich, während sie ihre Gerätschaften sortiert und Mutmaßungen über mein Alter anstellt. Bitte nicht, sage ich. Man sollte sich nicht zu früh der letzten Geheimnisse entkleiden. Die Gemeinschaftspraxis ist groß, aber dennoch erinnert sie sich an mich, während sie die Kanüle durch meine Haut schiebt. Irgendwas mit Gartendekoration mache ich doch, hakt sie nach. Und ob das nicht anstrengend sei, schließlich gäbe es ja auch so viel Häßliches in diesem Bereich. Man könne es sich nicht aussuchen, versuche ich es entgegen meiner Art diplomatisch, das sei wie bei ihren Patienten auch. Sie nickt und spricht weiter mit mir, damit ich ihr nicht vom Stuhl falle. Kardiopulmonale Reanimation am Morgen schon kann einen ganzen Tag so belastend machen. Röhrchen um Röhrchen füllt sie so, während ich ihr weiter die ästhetischen Kategorien für frohes Werken auseinandersetze. "Wirklich schöne Venen", haucht sie am Ende und beginnt, mit einem Tupfer und einer Meterrolle Tape, den kleinen Einstich abzukleben, Schicht um Schicht, als hätte sie eine große Wunde gesehen. Als wolle sie einen Schirm basteln.