Sonntag, 7. Januar 2007


Auch Rockstars brauchen Hemden

Soll es das gewesen sein?
(Die Ärzte, "1/2 Lovesong")

Man denkt, die "Miagolare"-Crew hätte angelegt.Dita, Dita, dachte ich heute morgen und schüttelte traurig den Kopf über die scheidungswillige Gattin von Marilyn Manson. Zu spät, zu spät. Nun sind meine Arme auch nicht mehr offen für dich. Temps perdu, uns bleibt die Erinnerung, und - alles Gute. Nun wollte ich mir, vom Schmerz gepackt, nicht noch Zigaretten auf dem Unterarm ausdrücken, die ich auch erst umständlich an der 24-Stunden-Tankstelle nebenan hätte kaufen müssen. Deshalb wagte ich das Unmögliche: Ich ging an einem Samstag in die Stadt.

Im saturnalischen Elektrokaufhaus war bereits die Hölle los, grimmigen Blickes warf ich mich in die Menge, blitzte Todesverachtung spritzend auf die vom Rabattversprechen zombifizierte Steppjackenträgerschar und begab mich wieder einmal in die Hifi-Abteilung. MP3-Player beschauen wie sonst nur der Trichineninspektor in der Großschlachterei ist einer meiner liebsten sinnlosen Stadtvergnügen. Seit einiger Zeit dürstet es mich nach Aufrüstung, nicht moralischer, sondern kraftmusikalischer Natur: mehr Speicher, mehr Radio, mehr Schick sollen meine Westentasche füllen!

So ein nachtschwarzer Handschmeichler mit Steuerrad hat es mir gerade angetan, als mich ein junge Dame anspricht. Dita? Nein, es ist eine quasi-uniformierte Informationsbereitstellerin der Herstellerfirma. Mein unfruchtbares Knöpfchendrücken am schwer entladenen und somit stummen Ausstellungsgerät rief sie auf den Plan. "Greifen Sie doch mal bei mir zu, da können Sie besser spielen", strahlt sie mich aus beinahe unschuldigen bernsteinfarbenen Augen an. Leicht verwirrt gleitet mein Blick von ihren Lippen hinab auf ihr vom knappen Firmen-T-Shirt formschonend verhülltes Dekolleté. "Ich wollte das Ding eigentlich nur kurz begrabbeln", stammel ich, etwas hilflos bereits, und bete die Namen der 37 Heiligen rückwärts runter. "Nur zu", meint die Schöne vor mir und schaut mir tief in die Augen dabei. "Meiner ist aufgeladen, da können Sie alles sehen."

An einem Halsband baumelt einer dieser Player zwischen ihren Brüsten. "Greifen Sie nur zu", ermuntert sie mich. Mein Mund fühlt sich trocken an. Ich schaue mich vorsichtig um, denk, morgen steht es in allen Blogs!, und lasse kurz meine Hand wie ein Hütchenspieler über den drei Erhebungen kreisen. Schließlich greife ich beherzt in die Mitte und packe mir den Player. "Liegt gut in der Hand, nicht wahr?" höre ich die so honigsüße wie selbstbewußte Stimme des jungen Dings. "Unglaublich glatte Oberfläche" stottere ich. "Fühlen Sie mal die Knöpfe", lockt sie weiter. "Alles richtig fest." Ich spiele ein wenig mit den Nupsis, schaue zurück in die bernsteinfarbenen Augen, die sich in Halsbandabstand vor meinen befinden. "Da wackelt nichts", meine ich anerkennend.

Für so einen Kaufhausausflug am Samstagnachmittag bin ich entschieden zu dick angezogen. Mir wird warm unter dem Mantel. "Nehmen Sie den mal lieber", meine ich. "Mir wird das hier zu heiß". Bedauernd gebe ich das Objekt der Begierde zurück. Lächelnd nestelt sie am Halsband, zurrt alles an ihrem Dekolleté zurecht. "Wenn Sie es größer brauchen...", gurrt sie und weist auf die Prospekte mit den anderen Modellen. "Nein, nein", wehre ich schnell ab. "Es ist wunderbar wie es ist."

Schnell erfrage ich noch ein paar technische Details und gebe mich beeindruckt. Gerade als ich mich leutselig nach den Dienstschlusszeiten erkundigen will, zupft mich eine innere Stimme am Mantelkragen zurück. Ich muß ja noch Bekleidung kaufen!

Deutlich beschwingt lasse ich die Schwedenkette links liegen und wage mich in einen Ausstattungsladen für paillettentragende Diskothekengänger. Warum nicht mal was Fesches kaufen, man ist schließlich nur bis morgen oder übermorgen jung. Dann ist aber endgültig finito und man selbst für Damen aus dem Promotionsgeschäft nur noch eine armselige Lachnummer, der man höchstens mitleidig ein Prospekt übereicht.

Nachdem ich die ganzen Punk- und Pseudopunk bedruckten und vorzerfetzten Lumpenberge durchwühlt habe, reihe ich mich mit einem dezenten Unterziehjöppchen in Ringeloptik am Kassentresen an. Sieh an! Neben mir steht der schwertätowierte Schlagzeuger einer äußerst beliebten, sich als vorgebliche Mediziner titulierenden Musikgruppe. Warum auch nicht, man begegnet diesem Mann in dieser Stadt öfter. Es ist ja auch eine völlig absurde Idee anzunehmen, als Rockstarmillionär mache es Spaß, den ganzen Tag und die halbe Nacht im selbstgewählten Shangri-La zu lümmeln und sich die Anziehsachen von knapp volljährigen Bediensteten reichen zu lassen, die selbst kaum mehr als Ringelstrümpfe und Lackschürzen trügen. Obwohl, wenn ich gerade darüber nachdenke...

Einmal standen wir sogar Seite an Seite am Pissoir, und nach derlei erlebten Intimitäten finde ich nun auch nichts dabei, für die Einkäufe des junggebliebenen Mannes mich näher zu interessieren. Diskreterweise möchte ich anmerken: Er wird schick aussehen in seinem neuen schwarzen Hemd. Nicht halb so schick wie ich mit meinem dezent geringelten Unterziehjöppchen. Aber schick. Ein Blick in seine Einkaufstüte erinnert mich zudem daran, daß ich die aktuelle Ausgabe des örtlichen Obdachlosenmagazins noch nicht erstanden hatte. Auch darin ein Vorbild - ich mag den privat stets angenehmer als auf der Bühne wirkenden Mann, der da festen Schritts das Geschäft verläßt. Man darf den Blick fürs Wesentliche nicht verlieren: Die Ditas dieser Welt würde er als unrockbar abwehren und ihnen lieber ein Hinz und Kunzt-Abo vermachen. Einen MP3-Player hatte er schließlich auch nicht umhängen.

Ein Spruch besagt, es gäbe nichts, was eine Flasche Whiskey und eine Rasierklinge nicht heilen könne. Herr Manson, glauben Sie lieber mir: Kaufen Sie sich einfach ein neues Hemd.