Montag, 11. September 2006
Das langsam hinsinkt am Hügel.
(Georg Trakl, "Siebengesang des Todes". 1914.)
Pst! Leise mal näher kommen! Wir wollen die Tiere nicht erschrecken. Die sind zwar nicht echt und sehen ganz schön tot aus, aber man weiß ja nie...
Letzte Woche fand mein ganz persönlicher Höhepunkt des Kunstjahres 2006 statt, da eröffnete nämlich in der Berliner Strychnin- Galerie Elizabeth McGrath ihre erste große Ausstellung in Europa. Im Februar stellte ich hier ihr exquisites Buch vor, das einen guten Überblick über die vielfältigen Dioramen, Gothic-Puppen und Fake-Taxidermy-Arbeiten gibt. Aber so vergnüglich dieses Werkübersicht auch ist - die detailverliebten Stücke muß man selber sehen, am besten von ganz nah dran.
Ergänzt wird die großartige, herzschlagbeschleunigende Ausstellung zwischen einsam-zweisamen Fledermäusen und tätowierten Hirschköpfen durch die viktorianisch-morbiden Werke ihrer gleichfalls sehr talentierten Kollegin Adele Mildred, die hierzulande erst wenigen bekannt sein dürfte. Im Vorfeld hatte ich Gelegenheit, ein wenig mit beiden Künstlerinnen über ihre Arbeit plaudern und einen kleinen Einblick in ihre Giftküchen nehmen zu können. (Zu Adele später noch mehr.)
Liz McGrath, schon lange ein Star der Low-brow-Szene, erregt seit Jahren mit ihren skurril-bizarren Skulpturen Aufsehen, die an die kuriosen Seefahrermitbringsel in Harrys Hafenbasar erinnern. Sie lebt in Los Angeles, ist verheiratet mit dem Autor Morgan Slade und spielt mit ihm in der Band Miss Derringer.
Ihre delikaten Arbeiten entstehen alle in ihrem Atelier in der berühmt-berüchtigten Skid Row in L.A. "Die Miete ist dort sehr niedrig", erzählt Liz, "obwohl das Viertel mittlerweile aufgewertet wird. Die Straßenschilder wurden schon durch "Gallery Row" ersetzt." Bald, so ist zu befürchten, werden wohl schicke Restaurants folgen und Lofts für Börsenmakler, dann heißt es sehen, ob die Künstler dort noch wohnen können werden.
McGrath kennt die Szene in L.A. gut. Sie liebäugelte mit Mode-Design, schrieb für das Punk Fanzine Censor This, zeichnete Flyer, programmierte Webseiten für die Prono- ("Sie haben die innovativsten Technologien.") und arbeitete in der Art-Direction für Film und Video. Seit sechs Jahren widmet sie sich ernsthaft ihrer Kunst. "Es ist leicht in L.A.", meint sie. Neben der erschwinglichen Miete hilft der Zusammenhalt in der Künstlerszene dort. Man leiht sich Materialen, unterstützt die Aktivitäten der anderen und lebt überhaupt sehr vernetzt: "Jeder kennt jeden, man sieht sich, trifft sich, geht zu den Ausstellungen der anderen." Gibt es den keine einsamen Vögel, die im stillen Kämmerlein vor sich hinbasteln? Liz lacht. "Ich bin sicher, die gibt es, aber die kennt eben keiner."
Die Underground-Szene ist in den USA sehr lebendig. Vermutete ich, daß sich nur die bekannten Zentren wie L.A., San Francisco, Seattle und New York für solche Underground-Kunst interessieren, werde ich eines besseren belehrt. "Mittlerweile gibt es in jedem Staat ein, zwei Orte, die regelmäßig Ausstellungen machen. Meist irgendwelche Group-Shows, bei denen man nicht weiß, ob man nicht doch in irgendeiner Garage landet. Aber es funktioniert - zumal die Szene klein genug ist, das jeder jeden kennt." Liz lacht verschmitzt. "Das hat auch einen Vorteil: Ich wurde nur ein oder zweimal beklaut. Wer so was macht - dessen Karriere in der Kunstszene ist vorbei."
McGraths Arbeiten sind sehr beeinflußt durch ihre religiöse Erziehung, die Mutter, eine Asiatin, wollte angeblich Nonne werden, ihr Vater, eine Amerikaner irischer Abstammung, ein Priester. Die Tochter, wenig anpassungsbereit, landete im katholischen Erziehungsheim, überlebte und stürzte sich mit Mut zum Brimborium auf die Kunst. Arbeitet sie viel mit gefundenen Sachen? "Nö", meint sie. "Meist habe ich ein Konzept, ich gehe viel in Kirchen oder in den Zoo und lasse mich von alten Filmen oder Modemagazinen inspirieren." Der Titel steht dabei meist als erstes - oft recherchiert sie dafür im Internet. Das erklärt wohl die zahlreichen deutschen Namen ihrer Werke wie "Rotkäppchen" oder "Graf Zweisamkeit"? "Ich finde, das sieht cool aus. Ich überlege, was es bedeuten könnte, dann übersetze ich es mit Babelfish und schaue, ob es paßt." Auf den Titel "Graf Zweisamkeit" machte sie ein Freund aus Hamburg aufmerksam.
Ihre Materialen, neben Holz, Draht und speziellem Wachs, das eigentlich für Filmproduktionen verwendet wird, meist Stoffe, Pelze, Federn und Kram, sucht sie in Trödelläden zusammen. "Ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen, ich gebe soviel Geld für ausgedehnte Einkaufstouren aus, auf denen ich alles mögliche zusammenkaufe." (Ich als Katholik kenne das, wenn man reuig seine umfänglichen Requisitenkäufe auf dem Flohmarkt vor sich selber beichten muß.)
Die Arbeiten werden nicht nur als Kunstobjekte von Sammlern erworben, sondern - Hollywood ist nah - auch für Filme und Videos benutzt. "Alle meine Nachbarn machen das, es gibt Geld, wenn die Apartements als Filmkulisse benutzt werden. Meine Werke sind deshalb auch ab und an zu sehen." Gibt es denn weitere Pläne, vielleicht etwas mit Film zu machen? Leider sind die Arbeiten sehr zerbrechlich. Aber Liz steht im Kontakt mit jemanden, der sich gut mit Stop-Motion-Techniken auskennt. Bis dahin sind das Thema und ihre Skulpturen noch viel zu empfindlich.
Und "Miss Derringer", die Band? "Das bleibt ein Nebenprojekt. Wir haben schließlich alle unsere Jobs." Immerhin, Blondie-Drummer Clem Burke ist mit an Bord, das aktuelle Album "Lullabies" ist im Sommer veröffentlicht worden und wird auch in England, Italien und Japan vertrieben.
Deutsche Labels, bitte übernehmen Sie!
(Honeycreepers in the Scar Face Moon: Elizabeth McGrath (mit Adele Mildred und Scott Saw). Noch bis Oktober in der Strychnin-Galerie, Boxhagener Straße.)
>>> Miss Derringer auf MySpace.