Mittwoch, 10. Mai 2006


Meese, Meese, Großgewese


Ja, der Gaukler ist in der Stadt. Jonathan Meese, Kunstkramwunderkind, hat seine Zelte in den Deichtorhallen aufgeschlagen. Vor einigen Monaten stand ich angeregt auf einer Vernissage mit Frau Schwadroneuse vor ein paar großformatigen Meese-Exponaten, und da standen wir so und kamen auf Begriffe wie Großtun, Kleinkind, Feuilletonköder und Zeichensätze im Nachkriegsland und ähnliches, längst Verdrängtes, Verpufftes, Vermufftes. Sie sagte so Jaja und ich mehr so Jaja, aber mit der Betonung auf dem anderen "a". Meese ist als notorischer Zertrümmerer mittlerweile so etwas wie die Bildende-Kunst-Version der Einstürzenden Neubauten fürs beflissene Kunstinteressiertenvolk.

Die Kinderladenversion des Wiener Aktionismus zum Entzücken Berliner Theatermacher. Ich finde ja das Konsequente toll. Die Frage "Kunst oder Krempel" heißt bei Meese ja immer beides, Kunst&Krempel, durchmengt, fiebernd, abgespritzt. Banales, Anales, Erde, Erz und Lendenkraft. Der Duft des Tages? Wie wäre es mit: muffig-schwüle Zimmer adoleszenter Jugen, die ihre Pornohefte unter verschwitzten Decken hüten und die Fenster nie öffnen. Meese (Jahrgang 1970) atmet seinen Bildungskanon zwischen Trash, Comics, Klotürscrafittis und Wagner als gigantische Omnipotenzphantasie. Galeristen und Sammler geben ihm begeisterungstrunken recht und reißen ihm seine Werke zu Höchstpreisen aus den Händen.


"Mamma Johnny" heißt die erste große Werkschau in den Hamburger Deichtorhallen. Kein Song von Brecht/Weill, aber die Assoziation ist gewollt. "Ernteproduktionsmeldung" bellt es hinaus. "Djangogott" und "Blutlazarett". Das ist was fürs Publikum, das von Bayreuth träumt und sich auf die Schenkel schlägt, sobald jemand auf einer Bühne "Ficken!" sagt. Heldenwahn! Pimmeldämmerung! Immer die große Handbewegung.


Die Zeichnungen des Patienten J.M.: Vom Mythos zur Mythologie und wieder zurück. Verwüstet, verwurstet, drin rumgesuhlt. Am Ende zählt nicht Geschlechtshygiene. Nur das Ich.



Man schnürt etwas traumverloren durch seine labyrinthische Welt: Bücher in Geheimsprache, immer wieder Schwänze, Skulpturen, Bühnenbilder, Geschmiere, unaufgeräumte Zimmer Rauminstallationen, die Wucht in Tüten, sex- und toddurchtränkt. Immer etwas pubertär, immer irgendwie mit Augenzwinkern (hofft man) und wahnfriedwitzigem Erz Ernst (ahnt man). Überhaupt: Ein Ahnen und Raunen schwebt zwischen den Plastikplanen, die ein Zelt über dem Bühnenbild der Volksbühneninszenierung von Pitigrillis Kokain bilden. Vier Stunden dauerte die Aufführung. Wer die durchstand, zwischen Blut, Tränen und tropfendem Schweiß, war wohl gestählt für Bloggerlesungen sans Sauerstoff.


Ich habe nichts gesagt. Das jedoch 1000 Tonnen schwer.


Johnny räumt sein Zimmer nicht auf, ehrt aber seine Mutter, und die Bohème ist begeistert. (Am 14. Mai ist Muttertag!)


"Das Tier hat uns nichts mitzuteilen". Dem muß widersprochen werden. Und schon tritt man mit der Kunst ins Gespräch. Ein teuflischer Trick.

("Mama Johnny". Bis zum 3.9. in den Hamburger Deichtorhallen.)