Montag, 10. Oktober 2005
And you're a catch
And we are a perfect match -
Like two bitter strangers
(Pavement, "Spit On A Stranger")
"Bau mir ein Haus aus den Knochen von Cary Grant" (Foyer des Arts).
Den Abschied vom Palast der Republik begleitet die Fraktale IV, die sich diesmal mit dem Thema Tod auseinandersetzt. Da sieht man eine Fliege auf dem Seziertisch, die auf eine Nähmaschine (aber keinen Regenschirm) trifft, vermüllte Bastelzimmer wie bei Dieter Roth, ein angeschnittenes, etwas körperweltliches Mammut, Fotos von toten, wenn nicht gar zerstörten Kriegs- und Gewaltopfern mit der undekorierten Offenheit von Rotten.com, dazu allerlei Skulpturen und Gewerke, deren inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ausstellungsthema sich erst auf dem zweiten oder dritten Blick erschließt.
Oder auch gar nicht. Von der Terrasse der Fraktale-Lounge jedoch kann man einen Sonnenuntergang genießen, der sich offenbar gewaschen hat. Es liegt nämlich überhaupt kein Grauschleier mehr über der Stadt.
"In den 80ern hatte ich sogar Sex", erkläre ich meiner Begleitung, die in diesem Jahrzehnt in die Grundschule kam, gewichtig. "In den 90ern nicht, da hatte ich keinen Sex. Bis auf den heißen Sommer 1995, da hatte ich sogar zweimal Sex. Einmal davon habe ich es mir allerdings selbst gemacht."
Meine Begleitung mag die 80er nicht, und ich merke, daß meine Generation auch bereits ein Thema für diese Fraktale-Ausstellung wäre. Gerade aber spiegelt sich mein schales Gesicht golden in der verrotteten Außenhaut des Glaspalastes.
Ich sage, ich könnte das Hermetische Café verpfänden und von dem Geld ein Schiff kaufen. Das würde ich trunken machen und den großen Fluß hinuntersteuern. Wie in dem Film Drei Blogger und ein Boot.
"Mach mal", sagt meine Begleiterin und hält ihr schönes Gesicht in die letzten warmen Strahlen der Sonne. Ich beschließe, noch in der ersten Nacht die beiden anderen Blogger über Bord zu werfen, gleich hinter der ersten Schleuse. Dann würde ich mein Schiff nur noch von schönen Begleiterinnen entern lassen.
Als das Gewissen mich wegen der Schlechtigkeit meiner Gedanken übermannt, beginne ich ein wenig zu weinen. Meine Begleiterin sieht mich aufmerksam an, und ich rede etwas von der Sonne, die mich irritiert hätte.
Through a shared love of science
(The Faint, "Birth")
Ich merke, wie ich manche Fragen nicht beantworten kann mit Worten. Weil ich dazu lieber eintauchen würde in eine orgiastische Wolke aus Lärm. In eine diffuse Wand aus dem Feedback einer sehr lauten elektrischen Gitarre. Sie würde unter meinen Händen wimmern und stöhnen, die harten Membranen der Lautsprecher mit einem Ächzen nach außen stülpen und einen Klang schweben lassen, der sich nicht beschreiben ließe. Er würde mich einhüllen wie ein schützender Mantel aus reiner Energie, eine Welle bilden, die mich forttrüge, Segel mit Wind füllte - und zwar solange, wie es mir gelänge, den Sog des Klangs, das Feedback nicht abreißen zu lassen.
Aber gleich wie man nie Zeugen aus Zeit und Geschichte, auf die man sich für seine absurden Behauptungen beruft, bequemerweise am Nebentisch sitzen hat, so steht nie ein solches Instrument in Griffweite, wenn man mal eins braucht, um ein Gefühl zu erklären. So trägt man Rätsel, weicht aus in Sprachen, unentzifferbar wie der zeichenhafte Flug der sich sammelnden Zugvögel am abendlichen Himmel. Ein großes Fragezeichen.
Vielleicht aber ist die Antwort diesmal auch ganz einfach. Vielleicht nämlich ringt man dem Tod einfach etwas Zeit ab.
(Fraktale IV: Tod. 25 Positionen zeitgenössischer Kunst zum Phänomen Tod. Palast der Republik, Berlin. Noch bis zum 22.10.2005)