Freitag, 1. Oktober 2004
Wenn man die grottige Werbung mit ihren Geschichten, die sich wieder nur Werber haben ausdenken können, überstanden und sich im Passage-Kino die Leinwand entfaltet hat, dann beginnt die großartige Titelsequenz zu Pedro Almodóvars neuestem Film La mala educación: Schlechte Erziehung. Starke Kontraste, Rot und Weiß, Blut und Eier, tolle Typo, so ist Kino. Denkt man. Aber wie bei den aufgetakelten alternden Bühnentunten in Almodóvars Filmen, sollte man sein Urteil erst abgeben, wenn sich alles entblättert hat.
Es beginnt bunt, schräg in den 80er-Jahren, Kika grüßt von Ferne. Doch die Handlung ist astreiner Film noir: Amoralisch, korrupt und verschlungen genug, einen Philip Marlowe zur Verzweiflung zu treiben. Ins Büro von Regisseur Enrique (Fele Martinez) stapft eines Tages ein junger Mann, der sich als sein alter Jugendfreund Ignacio (Gael Garcia Bernal) ausgibt. Die beiden lernten sich Anfang der 60er Jahre in einer Klosterschule kennen und wurden Opfer des lüsternen Paters Manolo (Daniel Gimenez-Cacho, bzw. (Lluis Homar als eine Art spanischer Jack Nicholson). Ignacio nennt sich nun Angél, ist Schauspieler und will, daß Enrique eine Erzählung von ihm verfilmt: Die Geschichte "Der Besuch" führt zurück in die Jugend der beiden, in die Zeit der ersten Liebe, der ersten sexuellen und Kinoerfahrungen.
Eine reine Männergeschichte, ungewöhnlich genug für Almodóvar, dessen Filme bislang meist um starke Frauen kreisten. Schrille Figuren, verdrehte, völlig überzogene Geschichten - so kennt man das Enfant terrible des spanischen Kinos. Selbst "Sprich mit ihr", sein bislang ruhigster Film, lebte u. a. davon, eine im Grunde völlig unglaubwürdige Geschichte glaubhaft wiederzugeben.
Große Kunst eben.
In "Schlechte Erziehung" entfaltet er ein Geflecht aus Schein und Sein, Liebe, Gier und Eigennutz. Double Indemnity kam mir in den Sinn, kurz nur. Aber keine fatalen blonden Frauen, sondern amoralische dunkle Jungs (Alain Delon in "Nur die Sonne war Zeuge" wäre eine weitere Referenz) suchen hier mit tödlichen Mitteln den Kopf über Wasser zu halten, nachdem sie ihren Hintern längst verkauft haben.
Sonderlich gelungen ist das nur leider nicht. Schöne Hemden, denkt man ab und an. Oder "orange Socken, interessant". Glaubhaft, ja, irgendwie. Nur nie richtig spannend oder überzeugend. Die knackigen Männerhintern reißen da nichts raus. Zuviele Schauplätze, zuviele Zeit- und Handlungsebenen, aber zu wenig Witz, zu wenig Thrill.
In "Stardust Memories", meinem absoluten Lieblingsfilm von Woody Allen (den ich seit Jahrzehnten nicht mehr ausstehen kann), spielt Allen einen genervten Regisseur, der nach neuen Wegen sucht und von seinen Fans immer nur eins zu hören bekommt: "Wir lieben ihre Filme! Vor allem die frühen, komischen!"
Mal sehen, wohin es Almodóvar demnächst verschlägt.
La Mala Educación: Schlechte Erziehung. (Span. 2004) Regie: Pedro Almódovar.