Dienstag, 14. September 2004
"Mir tut's leid um sie", sagte er langsam. "Sie ist einfach durch
und durch ein Biest und ein Flittchen. Könnte sein, daß ich sie irgendwo
auch wieder ziemlich gern habe. Eines Tages wird sie mich brauchen,
und dann werde ich der einzige in ihrer Nähe sein,
der keinen Schürhaken in der Hand hat."
(Raymond Chandler. Der lange Abschied. 1954.)
Der Schlaf vor Morgengrauen ist ja bekanntlich der erquicklichste; und so bin ich seit jeher wenig amüsiert, werde ich um vier Uhr nichtsahnend aus dem Schlummer gerissen. Ob die Ursache nun blutdürstige Frauen oder liebeshungrige Mücken oder umgekehrt sind, meiner Ungnade seien die Unglückseligen gewiß. Was sage ich: In solchen Momenten bin ich bereit zu töten.
Gewöhnlich liegt man nichtsahnend in irgendwelchen verrenkten Positionen zwischen Himmel, Erde und Deckengewirren, bevor man die Propellergeräusche eines kleinen Erkundungsmoskitos mehr erahnt als wirklich auf dem Akustikradar wahrnehmen kann. Ehe man die Bedeutungstiefe dieser luftaufklärerischen Aktivitäten noch richtig verarbeitet hat, übertönt schon das scharfe Sägen der Sturzkampfmaschinen - Stechrüssel voraus - jegliche strategischen Finessen der Obersten Heeresleitung. Flak ist angesagt, Sperrfeuer und zwar sofort. Wildes Gefuchtel mit den Händen also in der Luft, es ist Krieg, und alle Mann zu den Waffen. Natürlich bringt das unkoordinierte Gehampel der allerersten Flugabwehr gar nichts. Im Gegenteil. So mancher hat sich im Friendly Fire schon die eigene Ohrmuschel plattgehauen und kann sich mit dem Resthörvermögen das hämische Gezirpe des heimtückischen Feindes anhören, der schön längst seine provozierenden Runden in sicherer Deckenlampenhöhe dreht. Mein Gegner aber hat die Gefahr des ersten fahlen Morgenlichtes der bretonischen Sonne unterschätzt. "Resistance!" gellt eine Stimme in mir, als ich den pumpenden Körper einer Fokker-D III-Moskito an der weißen Wand neben mir erspähe. In grimmiger Entschlossenheit und wohlabgeschätzten Bewegungen greife ich zum Buch auf dem Nachttisch. Raymond Chandler. Der lange Abschied. Es ist ein kurzer Prozeß, Pour le Mérite, und Blut färbt den frühen Morgen rot. Schweigend nehmen wir Abschied, die Rote Baronin und ich.
Der bretonische Spätsommer strotzt vor vitalem Saft. Draußen in der keltischen Natur überkommen selbst den verzärtelten Städter die archaischsten Gelüste. Was kann es also schöneres geben, als zwischen phallisch in die Höhe ragenden Menhiren wie ein halbnackter Pan durch die Botanik zu springen und den in der Sonne bratenden Eidechsen was auf meiner Flöte vorzuspielen? Und so genoß ich es - zum Zeichen meiner Manneskraft mit einem ungefähr drei Meter langen Baguette bewaffnet - wie ein junger Faun durch die Heide zu gaukeln und allerlei Unsinn auszuhecken. Leider war an diesem Tag auch Schwarmtag der Ameisen. In dichten grauen Wolken hatten sich hunderttausende flügge gewordener Prinzessinnen über ihren Nestern versammelt, bereit, sich mit jedem Ameiserich der Umgebung zu paaren. Die Hormone schienen den rolligen Biestern gehörig die Sinne vernebelt zu haben. Hielten mich vielleicht für einen Iren. Jedenfalls stürzten sich ganze Scharen der bissigen kleinen Emsen auf mich, bereit, mir gierig die Flöte zu zernagen. So müssen sich die Beatles gefühlt haben, wenn sie aus Versehen den falschen Bühnenausgang genommen hatten, dachte ich, und suchte schleunigst das Weite. Immer das Motto meiner Altvorderen gedenkend:
The man who runs away, lives to fight another day.
Am Strand unten war es jedoch nicht viel besser. Im Allgemeinen halten sich die Franzosen mit dem Oben-ohne-Baden ja gepflegt zurück. Aber natürlich mußte sich ausgerechnet am halbeinsamsten Strand der Bretagne auf dem Nachbarhandtuch eines dieser Gauloise-verrauchten Luder umständlich ihres Oberteils entledigen, Halleluja. Und während ich noch dachte, klar, und gleich noch die 0190-TV-Spot-Nummer und sich ausgiebig die Brüste mit Sonnenmilch einreiben, während ich im Urlaub bin, Halleluja, da fing sie an, sich ausgiebig die Brüste mit Sonnenmilch einzureiben. Ich begann schon Stimmen zu hören, so wie Quentin Tarantino in From Dusk Till Dawn, als er Juliette Lewis gegenüberstand, Halleluja. Zum Glück lag knapp vor meinen Füßen eine ziemliche Menge recht kalten Atlantiks. Der kühlte ziemlich schnell, Halleluja. Das stolze Baguette, das ich nach wie vor fest umklammert hielt, knickte rasch ein und verfiel in kurzer Zeit zu klumpigem Brei. Ich war sehr stolz auf mich, während ich mit kräftigen Zügen schaumiger Gischt und saugenden Wellen trotzte. Man hat als älterer Herr schließlich Vorbildfunktion. Halleluja.
Am nächsten Tag fand ich Absolution. Für böse Taten und schmutzige Gedanken. Auf dem großen Pardon, einer Art bretonischer Wallfahrt, von Ste.-Anne-la-Palud. Da werden im Anschluß an einen schlichten Dankgottesdienst in alten Trachten Heiligenbildnisse einmal um die Düne getragen. Und das ist wirklich ergreifend. Da findet alles seinen Platz und auch ein Spötter einmal Ruhe.