Mittwoch, 12. Mai 2004


Sacher gibt's

Ein kurzer Bericht aus Wien. Frau Sonne brutzelt gerade ein Käsebrot, und ich spiele mit ihrem Hello-Kitty-Powerbook.

Wenn man von Hamburg nach Wien fliegt, schafft man es gerade, das Feuilleton der FAZ und den halben Sportteil zu lesen, dann heißt es schon wieder: Wir sind im Landeanflug. Erhebend, nach langer Zeit mal wieder in den Lüften gewesen zu sein. Grandiose Wolkenformationen. Sieht plötzlich alles ganz nichtig und klein aus, wie es in dem Lied heißt.

Die Wiener machen ja alle schwer in Kunst. Mein Freund H., bei dem ich wohne, dessen Freundin - und Frau Sonne sowieso. Ich habe mittlerweile Schmucksachen von ihr in natura gesehen und kann nur sagen: Kauft das alles!

H. lebt in einer formidablen Altbauwohnung im Zentrum, unweit des Museumsquartiers. Es ist übrigens immer wieder schön, in Wohnungen zu kommen, die so eingerichtet sind, daß man denkt, das hätte jetzt auch von mir so gemacht worden sein. Man fühlt sich direkt heimisch. Tolle Küche, ein riesiger Eßtisch, bei dem man einen Sehkraftverstärker braucht, um bis ans Ende sehen zu können, großformatige Kunst an den Wänden, ein Gästezimmer voller Bücher.

Frau Sonne wohnt ja passenderweise in einem alten Kloster, sozusagen. Deshalb, Frau Ella aufgepasst!, trägt sie auch immer einen riesigen Schlüssel mit sich herum. Dicke, hohe Wände, schwere, uralte Holztüren mit monströsen Schlössern, ganz großartig. Ihre Küche hätte bei Interieur einen Sonderpreis verdient. Man kann sich wirklich gepflegt dort einen anhängen. Man braucht quasi das Haus nicht zu verlassen, was aber in Wien schwer fällt, weil es so viel zu sehen gibt.

Selbst das Standard-Touristenprogramm ist exaltierend: Am ersten Tag bereits jagte mich Poison Yvy den Turm zum Stephansdom hoch. 343 Stufen auf dem Weg zum Glück. Man geht im Halbdunkel eine enge, steinerne Wendeltreppe hoch und wird nach 15 Stufen schon ziemlich weich in den Knien. Aber immer weiter geht's, hastend, torkelnd. Anfänglich stolpert man noch ineinander, bis die Körper ihre eigene Harmonie gefunden haben und man sich fortan in einem gemeinsamen Rhythmus immer weiter nach oben arbeitet. Der Blutdruck steigt, der Puls ebenfalls, man wird schwach, legt eine Pause ein - und treibt sich und den anderen wieder an. Weiter! Weiter! Höher! Höher! Es wird immer härter. Anstrengender. Aber irgendwann ist man über einen bestimmten Punkt hinaus. Man kann nicht mehr umkehren. Man will jetzt nach oben, zum höchsten Punkt. Weiter, weiter! Man keucht, man hechelt, man schnappt nach Luft. Immer enger windet sich die Treppe, immer steiler geht es hinauf. Immer wieder denkt man, jetzt ist es so weit. Aber dann geht es noch ein Stückchen und noch ein Stückchen weiter. Weiter, weiter! Dann endlich, wie soll man sagen? stößt man hinaus über eine kleine steile Treppe und hat tatsächlich gemeinsam den höchsten Punkt erreicht! Aaah! Keuchend, taumelnd fällt man sich in die Arme, muß sich stützen. Der Puls schlägt hart im Hals. Das Gesicht ist mit roten Flecken übersät. Der ganze Körper ist mit Schweiß überzogen.

Und doch empfindet man pures Glück: Man kann vom Turm die Fernsicht über Wien genießen, die Gedanken treiben lassen. Sehr schön. Ich schlug vor, dies nun jeden Tag zu machen.

Im nächsten Beitrag: Wie ich mich mit Frau Sonne unter dem Riesenrad im Prater traf und wir gemeinsam den dritten Mann suchten. Wie wir die höchst umstrittene Ausstellung des Wiener Aktionisten Otto Muehl besuchten und beschlossen, eine aktionistische Sex-Kommune zu gründen. Wie wir uns im Sigmund-Freud-Museum Frau Ellas Träume erklären ließen. Wie ich mich an die Landessitten anpasste und fortan nur noch im Wiener Dialekt redete.