Sonntag, 14. März 2004


Schimmelreiter

Die milde Luft und die angenehm dezente Sonne lockten heute hinaus auf die Deichanlagen. Ein Hauch von Vorfrühling bei der Rothenburgsverortung. Billwerder Bucht, runter zum Holzhafen. Stichwort: Unterwegs morsches Holz und Schrottteile gesammelt. Öbszöne, anthropomorphe Formen wispern schon Frühlingserwachen ins Ohr. Die Erde weich und feucht. Fett. Lange kann es nicht mehr dauern. In der nächsten Vollmondnacht lungern sicher blutdürstige Wicca-Horden im Schilf und praktizieren sexual magick.
Der Wind aber weht alle düsteren Gedanken fort. Der Wind packt einen am Kopf und schüttelt alles Schlechte links und rechts aus den Ohren raus. Noch ist also Mützenwetter.

(Und wäre es nicht bizarr, beim nächsten Vollmond nackten, blut- und matschbeschmierten Hexen im Schilf zu begegnen, die alle noch ihr Strickmützchen tragen?)

Auf dem Deich von einem Spaziergänger gegrüßt werden. Ein Zugezogener, denke ich. Nein, der nächste Jogger schwenkt mir ein freundliches "Moin!" entgegen. Verblüffend. Das kenne ich nur aus meiner Heimat, dieses Grüßen im Gelände. Als ich vor Jahren mal in der Zone spazieren war, grüßten einen nicht einmal Spaziergänger, wenn man sich auf schmalen Kaninchenpfaden begegnete. Schlimmer, man starrte mich seltsam indigniert an, als ich es tat. Gut, dafür kann man dortzulande splitternackt durch den Busch laufen, ohne daß es merkwürdig auffällt.

Grüßen sei dort ungebräuchlich, wurde ich aufgeklärt. Aber ist es nicht merkwürdig, fragte ich. Man stolpert durch einsames Gelände und begegnet in dieser weiten Landschaft plötzlich einem anderen Menschen und geht dann schweigend aneinander vorüber?

Was sollte man sonst tun, wurde geantwortet.

Wie unheimlich. Wo man doch weiß, daß der Mensch des Menschen Wolf ist. Da sind Friedenszeichen doch lebenserhaltend. Aber der Osten ist rauher. Der Westen ist weichlich. Heute wehte der Wind, und ich hatte mein Mützchen vergessen. Aber ich habe "Hallo" gesagt.