Der Tod, das Mädchen und ich

Honey, I'm a prize
And you're a catch
And we are a perfect match -
Like two bitter strangers

(Pavement, "Spit On A Stranger")

"Bau mir ein Haus aus den Knochen von Cary Grant" (Foyer des Arts).
Den Abschied vom Palast der Republik begleitet die Fraktale IV, die sich diesmal mit dem Thema Tod auseinandersetzt. Da sieht man eine Fliege auf dem Seziertisch, die auf eine Nähmaschine (aber keinen Regenschirm) trifft, vermüllte Bastelzimmer wie bei Dieter Roth, ein angeschnittenes, etwas körperweltliches Mammut, Fotos von toten, wenn nicht gar zerstörten Kriegs- und Gewaltopfern mit der undekorierten Offenheit von Rotten.com, dazu allerlei Skulpturen und Gewerke, deren inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ausstellungsthema sich erst auf dem zweiten oder dritten Blick erschließt.

Oder auch gar nicht. Von der Terrasse der Fraktale-Lounge jedoch kann man einen Sonnenuntergang genießen, der sich offenbar gewaschen hat. Es liegt nämlich überhaupt kein Grauschleier mehr über der Stadt.

"In den 80ern hatte ich sogar Sex", erkläre ich meiner Begleitung, die in diesem Jahrzehnt in die Grundschule kam, gewichtig. "In den 90ern nicht, da hatte ich keinen Sex. Bis auf den heißen Sommer 1995, da hatte ich sogar zweimal Sex. Einmal davon habe ich es mir allerdings selbst gemacht."

Meine Begleitung mag die 80er nicht, und ich merke, daß meine Generation auch bereits ein Thema für diese Fraktale-Ausstellung wäre. Gerade aber spiegelt sich mein schales Gesicht golden in der verrotteten Außenhaut des Glaspalastes.
Ich sage, ich könnte das Hermetische Café verpfänden und von dem Geld ein Schiff kaufen. Das würde ich trunken machen und den großen Fluß hinuntersteuern. Wie in dem Film Drei Blogger und ein Boot.

"Mach mal", sagt meine Begleiterin und hält ihr schönes Gesicht in die letzten warmen Strahlen der Sonne. Ich beschließe, noch in der ersten Nacht die beiden anderen Blogger über Bord zu werfen, gleich hinter der ersten Schleuse. Dann würde ich mein Schiff nur noch von schönen Begleiterinnen entern lassen.
Als das Gewissen mich wegen der Schlechtigkeit meiner Gedanken übermannt, beginne ich ein wenig zu weinen. Meine Begleiterin sieht mich aufmerksam an, und ich rede etwas von der Sonne, die mich irritiert hätte.

A connection was made
Through a shared love of science

(The Faint, "Birth")

Ich merke, wie ich manche Fragen nicht beantworten kann mit Worten. Weil ich dazu lieber eintauchen würde in eine orgiastische Wolke aus Lärm. In eine diffuse Wand aus dem Feedback einer sehr lauten elektrischen Gitarre. Sie würde unter meinen Händen wimmern und stöhnen, die harten Membranen der Lautsprecher mit einem Ächzen nach außen stülpen und einen Klang schweben lassen, der sich nicht beschreiben ließe. Er würde mich einhüllen wie ein schützender Mantel aus reiner Energie, eine Welle bilden, die mich forttrüge, Segel mit Wind füllte - und zwar solange, wie es mir gelänge, den Sog des Klangs, das Feedback nicht abreißen zu lassen.

Aber gleich wie man nie Zeugen aus Zeit und Geschichte, auf die man sich für seine absurden Behauptungen beruft, bequemerweise am Nebentisch sitzen hat, so steht nie ein solches Instrument in Griffweite, wenn man mal eins braucht, um ein Gefühl zu erklären. So trägt man Rätsel, weicht aus in Sprachen, unentzifferbar wie der zeichenhafte Flug der sich sammelnden Zugvögel am abendlichen Himmel. Ein großes Fragezeichen.

Vielleicht aber ist die Antwort diesmal auch ganz einfach. Vielleicht nämlich ringt man dem Tod einfach etwas Zeit ab.

(Fraktale IV: Tod. 25 Positionen zeitgenössischer Kunst zum Phänomen Tod. Palast der Republik, Berlin. Noch bis zum 22.10.2005)

Flanieren | 01:42h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kid37 - Montag, 10. Oktober 2005, 01:58


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l9 - Montag, 10. Oktober 2005, 21:06
Das Mammut erinnerte mich im ersten Moment an ein überdimensioniertes Eichhörnchen.
Und "Bau mir ein Haus aus den Knochen von Cary Grant" - alleine die Textzeile katapultiert mich direkt in die 80er. Ich liebe die 80er. Hängengeblieben? Nein.

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kid37 - Montag, 10. Oktober 2005, 21:38


Wohl eher eine Bisamratte. Jedenfalls ein recht ungekämmtes Tier. Paßt perfekt in die Nische eines Jahrzehnts, in dem Blixa-Bargeld-Frisuren und solche, die aussahen wie eine verkümmerte Topfpflanze, Furore machten.

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shinuna - Montag, 10. Oktober 2005, 02:37
beeindruckt..
...bin ich sehr von eurer sprachgewalt &-gewandtheit. habe heute euren blog entdeckt & konnte mich nicht sattlesen an den worten& den versteckten zeichen&links...die mir immer wieder ein manchmal gar erstauntes lächeln in mein gesicht zauberten...
...ich sehe mich ja noch als blutingen anfänger (in vielerlei hinsicht;-)...doch ihr habt mir nun die latte hoch gelegt mit eurem blog - für den meinigen...ich werde mich daran machen. dank euch für eure worte. gehabt euch noch wohl... shinuna

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kid37 - Montag, 10. Oktober 2005, 16:57
Vielen Dank, auch wenn ich noch rätsel, wer alles hier im Pluralis angeredet wird. Aber da ich ja immer öfter über mich in der dritten Person rede, wundere ich mich nicht lang.

Ach so: Einfach machen. Die Latten der anderen sind völlig uninteressant.

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mark793 - Montag, 10. Oktober 2005, 17:17
Yep.
Schwanzvergleich ist eh out, hab ich grad irgendwo anders gelesen.

Der Pluralis von Herr/Frau Shinuna bezieht sich eventuell auf Ihre Ansage, andere Blogger aus dem Boot zu werfen, oder? Die könnte man leicht dahingehend fehlinterpretieren, das Café sei ein Gemeinschaftsbetrieb...

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blocksplitter - Montag, 10. Oktober 2005, 22:47
Fra-giles &Frak-Tales
Dicht … dichter … der Text, fragil & fraktal wie ein Schwanengesang der Apfelmännchen über den Tod, der mit Notwendigkeit das Leben bindet und über das Wort, das tötet, immer wieder den Sinn neu aufzustellen versucht, gleich der SignifikatsSpinne im Netz-Zentrum der ausgleitenden Signifikanten.

Aber dann ... das ... :

The Diaries of Kurt Cobain -

Die Aries from Love to Death
Courtnesy of frozen Breath
Sings
No birds
No words
Today
SuiSides shown by delay
Till a lauving bursted brain
Cracked away

… B(e)y Kurt Cobain …
(Pseudo)

M N
M MM
@ HM
HRHNHMMM N M@HH#@
M@ AN
==== ==&=
MR== FRACTALS UNLEASHED
H&$ &@M
MHH# &HHHM
HR @N
MHMMMM MM M MMMMNM
N H
R HM
MHM

Herr Kid37 ... Sie wissen, dass wir (besonders Pseudo) Sie bewundern(t) ... auch & im Besonderen sing - où - laris!!
(Die drei Infernos, die jetzt ihren DuldungsBlog gefunden zu haben scheinen ... scheinen ...? Fast wollte Pseudo neidisch werden!)

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kid37 - Dienstag, 11. Oktober 2005, 00:00
Aries
Als die Sonne im Widder stand, hat sich der Mann, der zuvor noch sang "And I swear that I don't have a gun" ("Come As You Are"), in den Kopf geschossen. Am Geburtstag einer Freundin, mit der ich mich so gut verstand, daß wir in den 80ern Sex hatten. So fügt sich alles zusammen. Das ist übrigens der Trick (nicht Geschichtsklitterung), die fraktalen Fäden immer wieder zu einem neuen fragilen Geflecht zu verweben.

Übrigens stutze ich, weil ich zuerst "Ampelmännchen" gelesen hatte. Dessen überaus phallische Ausstülpung in der Ostvariante fiel mir nämlich erst neulich bewußt auf. Auch daraus, und dem Geflecht aus Sex&Tod, ließe sich eine zebraringelstreifige Geschichte weben, in der die Liebe unter einem 10-Tonnen-Tanklaster auf dem Überweg endet.

Das schreibe ich beim nächsten Mal, denn ich spüre schon das Unbehagen meiner Leser, die in letzter Zeit zunehmend den Jammer-Content entbehren mußten. Leider fühle ich mich gerade ein wenig als Serge Gainsbourg der Blog-Szene. Ich gehe lieber mit den YéYé-Girls singen.

Gelegenheit, mir ganze Gedichte in den Unterarm zu ritzen, wird es dann später noch geben. Vielleicht.

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arboretum - Dienstag, 11. Oktober 2005, 11:56
Am Geburtstag einer Freundin, mit der ich mich so gut verstand, daß wir in den 80ern Sex hatten.

Meistens heißt es bei solchen Geschichten hinterher ja obwohl, aber eigentlich ist das ohnehin eher selten, dass man sich noch mit denen versteht, mit denen man in den 80ern oder irgendeiner anderen Vergangenheit 'mal Sex hatte.

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kid37 - Dienstag, 11. Oktober 2005, 12:12
Das liegt sicherlich daran, daß ich Herr Kid ja gar kein Sexleben hat (*schwitz*, *schnell Image wieder aufbau*).
Der muß ja immer weinen und klagen und jammern, da bleibt keine Zeit für so was. (<RobbieWilliamsMode>)

Ehrlich gesagt ist es aber so, daß die Frauen bei mir regelmäßig wegpennen einschlafen. Ob aus Wohlbehagen oder Langeweile, ich bin da zu schüchtern, um nachzufragen.
Aber sie behalten das dann in guter Erinnerung oder haben es halt schlicht vergessen.

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mark793 - Dienstag, 11. Oktober 2005, 12:12
@arboretum: Echt?
Also ich krieg immer noch waschkorbweise Dankesbriefe.

OK, so extrem isses natürlich nicht. Aber meine Studi-Liebe aus den 80ern ist kurioserweise auch hier im Hessischen gelandet. Und so schieben wir ab und zu unsere jeweiligen Kinderwagen gemeinsam durchs Gelände...

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arboretum - Dienstag, 11. Oktober 2005, 13:05
Ob mit oder ohne Kinderwagen, wenn es erst einmal wirklich vorbei ist, begegne ich ihnen nie wieder. Nicht einmal denen, die noch oder inzwischen wieder hier in der näheren Umgebung sind, so wie der, in dessen Arm ich so gut schlief.

Aber gut, ich habe ja auch schon einmal in einem dieser Gespräche, die dann zur Trennung führten, und in dem er so erbärmlich log, dass mein Respekt vor ihm komplett dahin ging, diesen Mann angefaucht, "Wenn Du jetzt sagst Lass uns Freunde bleiben, dann knall' ich Dir eine". Und da er genau das hatte sagen wollen, machte er den Mund lieber schnell wieder zu, meine Drohung wirkte wohl sehr überzeugend.
Das war eigentlich das Schlimmste, dass ich ihn nicht mehr respektieren konnte. Als es darauf ankam, wie ein Mann zu seinen Taten zu stehen, benahm er sich wie ein Vierjähriger, der einem mit saftverschmierten Mund weismachen will, er habe die Himbeeren ganz bestimmt nicht aufgegessen. Mit der Freundschaft haben wir es danach sogar noch versucht, aber es hat nicht funktioniert. Wie auch.

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mark793 - Dienstag, 11. Oktober 2005, 13:27
Das Lass uns Freunde bleiben ist ja oft nur eine Umschreibung für Hören wir doch auf, in unseren Wunden rumzubohren und uns gegenseitig Vorwürfe zu machen. Unter dieser Prämisse kann das auch nicht funktionieren mit der Freundschaft - zumal, wenn sich einer der Beteiligten jedweden Respekt verspielt hat. Ich denke, zu dieser Freundschaft kommt man auch nur, wenn man sich durch das Dickicht der gegenseitigen Vorwürfe und Verletzungen zumindest so weit durchgekämpft hat, dass beide nach dem Aufarbeitungsprozess ein paar Dinge für sich klarer sehen.

Mit meiner vorigen Freundin dachte ich eigentlich diesen Punkt schon erreicht zu haben in den Jahren nach unserer Trennung. Aber die Tatsache, dass ich inzwischen geheiratet und Nachwuchs fabriziert habe, steckt sie doch nicht so leicht weg. Seitdem hat sie jeden Kontaktversuch von meiner Seite abgeblockt, was ich schade finde. Immerhin hatte sie mir schon vor längerer Zeit meinen Nachfolger präsentiert. Aber wenn es nicht geht, geht es eben nicht, das muss man auch respektieren können.

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blocksplitter - Dienstag, 11. Oktober 2005, 09:43
End - zückt ... sehr!!
Begleiten wir uns auf dem Weg von der Krypta zur Ent-zycktlika der Bedeutungsverflechtungen & SinnVerschreibungen … manchmal?? … & wieder zurück zur Krypta?? ... & lassen dann auch ein wenig convagin die fraktal unberechenbaren phallschen Ampelmännchen laufen? ... & deuten dann wie die Auguren die Zeichen der Vögel am Firm-ahhh!-mental!! Ihr & des unseren auspicium ... eau - ich treidel ab!!

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blocksplitter - Dienstag, 11. Oktober 2005, 09:47
blocksplitter
Dort oben wird der Link geändert werden müssen - er führt ins Leere. Wir werden den Admin benachrichtigen ... bis dahin - wie Sie schon bemerkt haben werden - http://blocksplitter.blogspot.com/

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kid37 - Dienstag, 11. Oktober 2005, 11:42
Ein Café hat viele Gäste. Aber unterschätzen Sie meine Strenge und die goldene Regel des Bloggens nicht: Nie darf ein Kommentator einem Blog seinen Stempel mehr aufdrücken als dessen Betreiber ;-)

(Ihren Link können Sie übrigens in Ihrem Blogger.de-Profil leicht ändern.)

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500beine - Dienstag, 11. Oktober 2005, 15:00
FÖHN 80
die 80er waren hochgeföhnter müll
aber ich war so gut drauf.

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blocksplitter - Dienstag, 11. Oktober 2005, 13:51
Stempelaufdrücken
Wir werden nicht & wollen wir nicht ... einen Stempel aufdrücken!!!
Die "Goldene Regel" respektieren wir natürlich. Schließlich liegt uns ja gerade sehr viel an Ihrer Originalität & Ihrer verdichteten Prosa.
Ich hoffe, dass war nur ein Missverständnis zwischen uns. Der Link müsste jetzt geändert sein. Alles noch zu neu für uns ... das Ganze. Gruß!
... ? - ?? - !! - aber jetzt müsste er geändert sein, der Link ... manno ... alles nicht so einfach!

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