Wohnen am Wasser



Das geht hier ja so: Alter Baubestand (und nicht nur der) in öffentlichem Besitz wird jahrelang sich selbst und den Vögeln überlassen, dann heißt es, oh, kaputt, müssen wir weghauen. So lange die alten Kapitänshäuschen in Oevelgönne stehenbleiben, schiet egol, der Rest kann weg. Im Nachbarviertel kamen letzte Woche engagierte Bürger in einer alten, leerstehenden Villa in städtischem Besitz zu Besuch, Tag des offenen Denkmals zu feiern. Aber irgendjemand hatte sich durch die Zeitumstellung im Kalender vertan, die Besucher vielleicht oder die Polizei, möglicherweise also war gar nicht Tag des offenen Denkmals. Immerhin aber kamen abends noch zwei Hundertschaften aus Sorge um die engagierten Bürger - denn wer weiß, wie man aus den wenig erschlossenen Gebieten im Osten Hamburgs abends wieder nach Hause kommt. Diese Stadt läßt einen nicht allein.

Ich kannte diese Villa zuvor gar nicht, sovieles, auch in uns, steht dieser Tage still und starr wie gefrorene Seen. Daher versuchte ich am Wochenende, weitere vergessene Objekte zu finden. Wie diese kleinen Backsteinschlößchen im schicken Industriecharme, die mitten im und am Wasser vor sich hinrotten. Wunderbare Studentenbuden könnten das sein: Lofts mit 8 qm Größe, idyllisch am Wasser gelegen, Wasaland mit Anleger, gleich nebenan ein Café und Toiletten. Ein gewisse Sanierungsrückstand muß eingeräumt werden, aber junge Leute sind oft erstaunlich begabt und engagiert und für Projekte zu begeistern. Spätestens die Ansichtskarten, die sie von dort in ihre Netzwerke schicken, werden die Kommilitonen in Neid versetzen und die Tanten im Ländle entzücken.

Ich habe alles kartographiert und dabei die eigene Reichweite vermessen. Acht Kilometer, dann ist ein Bänkchen ganz schön. Zum Entzücken genügt das nicht. Man muß dabei aber unverdrossen murmeln: Immerhin!

Homestory | 21:18h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
gaga - Dienstag, 6. November 2012, 21:39
Wie heißt bitte die Pflanze mit den puscheligen Eiern?
(wg. Heimatkunde!)

Das Backsteinschlößchen sieht mir ein bißchen aus, als ob ein Kreuz oben drauf gehört. Eine kleine Andachtsstätte bestimmt.

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kid37 - Dienstag, 6. November 2012, 22:10


Immerschön: Die Puschel sind steinhart, die Stile verrostet.

Es sind tatsächlich alte Betriebsräume, aus der Zeit, als man noch für den industriellen Fortschritt betete.

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zy - Mittwoch, 7. November 2012, 01:31
At the sight of this charming historic building a famous city planner may have said:
"Wenn dann zwischen den Schiffen einzelne Lichter aufflammten, die einfallende Dämmerung alle Dissonanzen aufzulösen begann und das Ganze mehr und mehr zu einem atmenden technischen Wunderwesen zusammenwuchs, wachte der Wunsch mächtig in mir auf, in dieses unbestimmt wogende Gebilde eine feste Masse hineinsetzen zu dürfen, die wie ein unerschütterlicher Wächter darin aufragte." (Fritz Schumacher, Stufen des Lebens)

P.S.: I like clinker bricks!

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zy - Mittwoch, 7. November 2012, 19:55
Cool!
C'est toujours et encore une fois une pièce du ciel:
L'Ile de Froidhofe! - Très romantique!

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montez - Mittwoch, 7. November 2012, 21:37
Ach, ich werde versuchen, mir das alles nicht mehr so zu Herzen zu nehmen. Sonst werd ich noch mal verrückt.

Und das ist eine hervorragende Idee mit den Studenten, natürlich muss aber der Renovierungsvorgang streng reguliert werden. Sagt die Ex-Restauratorin. Begabung hin oder her.

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kid37 - Mittwoch, 7. November 2012, 23:46
Man muß auf jeden Fall die Nerven bewahren. Dann durchatmen und jungen Menschen Perspektiven zeigen. Man trägt ja auch Verantwortung.

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ana - Donnerstag, 8. November 2012, 12:04
Meine Heimatstadt nennt sich ja inzwischen Denkmalstadt, das kann man schon an den Autobahnen, die zu ihr führen, auf Schildern lesen. Leider wurde aber auch in Fürth noch in den achtziger Jahren trotz massiver Proteste von Bürgern viel historisch wertvolle und sogar intakte Bausubstanz, wie etwa die Sahlmann-Villa, zu Gunsten von Neubauten vernichtet. Da kann man für das von Ihnen gefundene Backsteinschlösschen nur hoffen, dass es noch lange nur vergessen und nicht abgerissen worden, vor sich hindämmernd das Ufer zieren kann. So wie Dach und Mauer aussehen, trotzt es noch lange Wind und Wetter.

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kid37 - Donnerstag, 8. November 2012, 13:51
Es heißt nicht umsonst Freie- und Abrißstadt Hamburg. Der nachlässige Umgang mit auch historisch interessanter Bausubstanz wird hier aber langsam zum Thema, die Wohnungsnot setzt die Stadt (die oftmals Eigentümerin ist) unter Druck. Die Klinkerschlößchen sind so kleine ehemalige Betriebshäuschen (man mag es kaum glauben) der Filteranlagen. Ein paar sind restauriert, ein paar gammeln vor sich hin. Wirklich bewohnbar sind die natürlich nicht. Andererseits... warum nicht.

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mark793 - Donnerstag, 8. November 2012, 15:00
Industriegotik reguliert. Diese Weihe geht heutigen Profanbauten leider in den meisten Fällen völlig ab (oder es braucht halt eine Distanz von drei bis vier Generationen, um das Besondere der heutigen Industrie-Architektur würdigen zu können). In meiner Heimatstadt steht ein altes Umspannwerk, das von der Straße aus gesehen wie eine neuromanische Basilika samt Campanile wirkt. Leider liefert die Bildersuche von Tante Gu keinen Treffer, das heißt ich muss da selber mal wieder hin und gucken, ob das Ding noch steht.

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monnemer - Donnerstag, 8. November 2012, 15:51
Das da? Isse Pumpwerk! Und steht noch.

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mark793 - Donnerstag, 8. November 2012, 16:02
Ein Pumpwerk - da palmiere mir doch einer die Visage! Kein Wunder, dass die Bildersuche nix findet. Das Satellitenbild, auf dem keinerlei Strommasten und andere elektrische Anlagen zu sehen sind, hätte mich schon stutzig machen müssen,
mannmannmann.

Danke fürs Illuminieren!

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monnemer - Donnerstag, 8. November 2012, 16:22
Danken Sie nicht mir;-)

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mark793 - Donnerstag, 8. November 2012, 16:50
*im Boden versink*

Hat das déja vu also doch nicht getrogen.

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ksarco - Donnerstag, 8. November 2012, 21:15
Info von TU Hamburg-Harburg: Bei vorsichtiger Entwicklung der angezeigten Lokalität könnten durchaus die Ziele der Agenda 21 mit einfließen, als hier primär zu nennen wären: Erhalt der Biodiversität, stadtverträglicher Verkehr, Stadterhalt und Identifikation.

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kid37 - Donnerstag, 8. November 2012, 22:49
Gut, versuchen wir's noch mal.

Ja, so steht es hier in der Arbeit von 2004 auf Seite 4. Seit ungefähr dieser Zeit verfolge auch ich den Wandel dort. Ich sehe die neue Nutzung des Geländes zwiespältig. Jetzt fahren auch Autos dort herum, der Touristenstrom hat immens zugenommen, Angler und Griller und Skater... ob das wirklich so naturverträglich ist? Immerhin wurde die bescheuerte Idee vom illuminierten Mega-Evenpark nicht verwirklicht, Bürgerprotesten sei Dank.

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ksarco - Samstag, 10. November 2012, 00:31
Ausgehend von Ihrer kritischen und detaillierten Darstellung der dortigen und sehr zu beklagenden Verhältnisse wäre für zukünftiges Denken resp. Handeln ein Wertesystem wünschenswert, das zwar sanft moderat Veränderung, aber gleichzeitig rigide Bewahrung und sogar darüber hinaus teilweise Wiederherstellung oder/ und Ausstellung von Tradition beinhaltet.

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ladys smock - Samstag, 10. November 2012, 11:09
Sind Sie in der Politik tätig?

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ksarco - Samstag, 10. November 2012, 12:13
Nein. Erfüllung erfahre ich auf einem anderen Gebiet.

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