110:75

Heute morgen, sehr früh, hieß es wieder Frohe Miene, böses Spiel. Kein Kaffee, aber Blut und zehn Euro bitte. Ich bin da ja nicht so für. Diese bei manchen ja offenbar schwer beliebte Extremsportart "Frühaufstehen" (die U-Bahn war voll von solchen Fanatikern) hat nur einen einzigen mir ersichtlichen Vorteil: Ich schaffe es im Anschluß auffallend zeitig ins Herz der Finsternis Gartenzwergfabrik. Kollegen, der Chef, alle entzückt oder erstaunt, Herr Kid, so früh! oder Brav, Kollege, brav! schallt es durch den langen Flur, ganz im Stil der alten Comics aufgesagt: "Super, Herr Gaston!"

Vorher war aber Aderlaß. Leider saugte diesmal nicht die interessante Emo-Punkette an meiner Ellenbeuge. Doch war es auch so sehr schön, denn auch zwischen der ebenfalls sehr charmanten Laborantin und mir paßt allenfalls ein Latexhandschuh. Danach endlich hinein ins Sprechzimmer - zu ihr.

Na, fragt sie. Wie geht es ihnen denn mittlerweile. Besser als beim letzten Mal? Ich mache einen auf norddeutsch und sage "och-jo" und "muß ja" und außerdem sei "Fußball", das lenke ab vom Kardiologischen. Sie findet das schön, ich denke, denkste. Die Werte seien auch viel besser, sozusagen top. Sie strahlt mich fröhlich an dabei, und ich bin wieder gleich entzückt. Betasten will sie mich heute nicht, lieber reden. Ohne Kaffee fällt mir das morgens schwer. Ob ich nicht trotzdem noch einen Kollegen aufsuchen wolle? Nein, sage ich. Ehrlich gesagt (und wann ist man das schon, so beim ersten oder zweiten Treffen?), könne ich keine weißen Kittel mehr sehen. Sie schaut kurz an ihrem herab, lacht dann aber erneut und meint, das könne sie gut verstehen. (Kurz denke ich, tun wir doch leger, ziehen das Ding aus, ich hole einen Kaffee und dann reden wir noch... ein bißchen. Aber für zehn Euro bleibt dafür keine Zeit.)

Mir sei mehr nach Insel, setze ich nach. Da wird sie aufmerksam. Hiddensee, sage ich knapp, als sei damit alles gesagt. Sie kennt die Insel nicht, hat aber viel davon gehört. Und gleich hört sie noch ein wenig mehr: Ich lobe den Landstrich, die Menschen und das Klima, die Ruhe. Die Ruhe vor allem. Oh, meint sie und schaut schmerzlich. Ruhe tue bestimmt gut. "Nur ein Internetcafé!" trumpfe ich auf. Über ihre schönen Augen legt sich ein Hauch von Sehnsucht. Es würden ja viele Künstler dorthinfahren, habe sie gehört. "Ich, zum Beispiel", nicke ich. Manchmal liefen Menschen Gedichte deklamierend am Strand entlang. "Und abends sitzen alle im Wieseneck." Ob es so sei wie auf Sylt, will sie wissen. Ich protestierte, bin entsetzt. Kein SchauSchau und kein SchiSchi. Keine Leute, die tagsüber schauspielern und abends nicht damit aufhören. Mit denen hätte ich schon beruflich genug zu tun. Alles ganz bodenständig. "Perfekt für ein Projekt", sinniert sie.

"Kommen Sie mit", schlage ich vor. "Wir könnten gemeinsam das Drehbuch für eine originelle Arztserie entwickeln." Wir lachen und glucksen entzückt, beschließen, den Kontakt nicht abbrechen zu lassen und verabreden uns für das nächste Quartal - während sich surrend die Blutdruckmanschette um meinen Oberarm schnürt. Rrrrrrrr.

Anschließend bin ich zu wilden Experimenten bereit: Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich so einen Kaffee zum Mitnehmen. Das ist, sollte ich vielleicht besser erklären, ein Pappbecher mit Kaffee, darüber kommt ein Plastikdeckel, der ein wenig an eine Schnabeltasse erinnert, und das kann man dann kaufen und mitnehmen und unterwegs trinken. Sehr modern, gibt es sicher bald überall.

Draußen vor dem Café, der Pulsschlag hat sich beruhigt, zeigt der Himmel eine scharf getrennte Wetterfront: links Sonne, rechts eine dunkle Wolkenformation. Ich zögere keinen Moment und gehe in eine Richtung los. Muß ja.

Homestory | 14:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
c17h19no3 - Donnerstag, 12. Juni 2008, 15:26
heute ist wohl männer-weißkittel-tag. der kater war heute morgen auch beim orthopäden-doc. akutes fußballfieber, gepaart mit urlaubssehnsuchtsrückenweh.
aber der kater-kollege verspricht abhilfe. ein wochenende komasaufen auf malle. ohne stress, ohne weiber. soll er ruhig machen, hab ich gesagt.

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kid37 - Donnerstag, 12. Juni 2008, 17:10
Auch eine schöne Insel, da gibt es erholsame Ecken, auch wenn ich selbst als Kind das letzte Mal dort war. Von einer Zwischenlandung abgesehen. Hoffentlich ist es dort angenehm rückenwarm.

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mark793 - Donnerstag, 12. Juni 2008, 15:37
Uuups,
da stand eben noch ein Kommentar, den - so vermute ich mal wohlwollenderweise - die Urheberin gleich selbst wieder gelöscht hat nach dem Durchlesen. Anyway: In diesem Sinne wären mit der Blutdruck-Manschette (je nach dem, wie man gebaut ist) auch durchaus neckische Spielchen denkbar. Aber nicht unbedingt auf nüchternen Magen. Man ist ja keine Zwanzig mehr.

110:75 ist ganz deutlich im grünen Bereich. Ich lasse ja eher selten bis nie messen, denn zumindest meinen systolischen Druck kann ich ziemlich genau schätzen. Im Moment dürfte er etwa bei 140 liegen. ;-)

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kid37 - Donnerstag, 12. Juni 2008, 17:16
Ich hätte zum Löschen gar nicht die Cojones, aber so eine Manschette kann man vielleicht auch mal neckisch um den ein oder anderen Hals legen. Auf etwas anderes wollen Sie hier wohl hoffentlich nicht anspielen! Wir bewegen uns hier ja im durch und durch platonischen Raum, auch wenn meine Ärztin Typ "lebenslustig" zu sein scheint.

Meinen Pulsschlag muß ich noch runterbringen. Angeblich hilft Sport.

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lac - Donnerstag, 12. Juni 2008, 16:22
90:65
hab ich messen lassen, nachdem die manschette meinen arm in michelinmännchenmanier aufquellen ließ - nach vielen versuchen, aufgrund derer (00:00 werte) ich nicht existieren dürfte. jedes mal höre ich danach " ach, sie sind ein kellerkind"
110:75 ist ein traumwert und hört sich so gesund an.

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kid37 - Donnerstag, 12. Juni 2008, 17:18
Das macht meine Tiefenentspannung. Zwei, drei Diskussionen später am Tag sieht das schon anders aus. Mitunter.

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hora sexta - Donnerstag, 12. Juni 2008, 18:05
Nur Hiddensee kommt in Frage in Ihrem Zustand.

(Haben Sie im Wieseneck auch immer diese grünen Heringe gegessen? Und Internet habe ich nur im Hitthim gesehen, sonst kein Gramm davon, nirgends - Sie? Und Sie kennen dann wohl auch diese unglaubliche... also wenn man abends... verliert sich in verzücktem Gemurmel, seufzend)

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kid37 - Donnerstag, 12. Juni 2008, 19:55
Ich denke auch. Die Atmosphäre dort hat mir damals schon sehr gut getan.

(Die Heringe kenne ich nicht, ist vielleicht mal ein Tip. Vielleicht hat sich mittlerweile was getan, mir war einst nur das kleine Internet-Café am Rand von Vitte bekannt. Reicht ja eigentlich auch. Man will schließlich romantisch-verzauberte Plätze genießen.)

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frl.deville - Donnerstag, 12. Juni 2008, 20:33
Hier wohnt das Volleyballteam
Lach mich schlapp.
OK. Anscheinend kann man da auch hübsch baden.
Dann fahre ich da jetzt hin. Ich hab ja Urlaub.

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 02:09
Mit dem Auto kommen Sie aber nicht weit. Die dürfen da nicht hin, zum Glück. Vielleicht haben die Leute deshalb nur knappe Kleidung dabei.

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frl.deville - Freitag, 13. Juni 2008, 02:12
Waaaas? Das kleine Rennbrötchen muss draussen bleiben?!
Und wer soll meine Devotionalien alle tragen?!
Ich muss das überdenken.

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 02:44
Die machen das, damit die Touristen nicht die ganzen Hühnergötter von der Insel schleppen. Pferde sind aber erlaubt.

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frl.deville - Freitag, 13. Juni 2008, 02:48
Ach du großer Hühnergott. [Kann man zum Glück alles googeln!]
Na gut. Dann fucked mich das echt ab fahre ich woanders hin.
:o] Ich brauche meinen kleinen Hausstand 1fach überall.

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 03:07
Das Leben wird erst schön mit leichtem Gepäck.

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monolog - Donnerstag, 12. Juni 2008, 20:15
Für 110 : 75 wäre ich mehr als dankbar, ich halte es da ziemlich genau mit Frau lac: Ständig kurz vorm friedlichen Einschlafen. Immerhin eint und alle ein vermutlich langes Leben, zumindest droht der Herzinfarkt nicht so schnell.

Und das mit dem Kaffee, das is ja´n Ding. Klar, dass Hamburg die Nase da wieder ganz vorn hat ;)

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vert - Donnerstag, 12. Juni 2008, 20:35
die kaffeesache faszininert mich auch: letzte woche in hamburg ist mir das auch schon auf der schanze aufgefallen, ich wagte aber nicht zu fragen...

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 02:07
Womöglich gibt es das bald auch schon in Berlin. Dort werden Trends ja schnell aufgegriffen. Sicher gibt es bald einen Bericht bei Polylux.

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vert - Freitag, 13. Juni 2008, 02:11
vielleicht recherchieren wir einfach mal in diesem internet, da steht doch der ganze neumodische kram auch drin!
vielleicht kann man sich das da sogar bestellen!
naja, bevor das dann geliefert wird, ist's bestimmt schon wieder kalter kaffee - in diesen umtriebigen zeiten...

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gheist - Freitag, 13. Juni 2008, 04:32
In den USA, Vaterland und Mutterboden der Einfallsreichen und Vielfältigen, hat das mal jemand versucht. Aber das Konzept des Kaffee-zum-Mitnehmen oder Portable-hot-beverage-for-mobile-delectation (PHBFMD) ist gescheitert, es wird gemutmasst wegen des unhandlichen Akronyms. "One pee haitsch bee eff emm dee, with double cream, two sugars, decaff, please" gelte in der zeitarmen Welt des Finanzreichtums als verbale Verschwendung.
Wie die Hamburger dieses Problem aufs eleganteste bewältigen konnten wird bald in aller Geschäftsweltmunde sein.

ps. Desgleichen wird das hanseatische Unternehmertum nicht Halt machen könnnen vor dem grossen Flop der späten Neunziger, als das Portable-telephonic-device-with-remote-communication-capability zuerst so hysterisch angepriesen ward, nur um als unverkaufbar eingestuft zu werden.

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 11:36
Zu letzterem habe ich gleich gesagt - Schnapsidee! An die Sache mit dem PHBFM erinnere ich mich dunkel. Da gab es, glaube ich, sogar eine Gleichstellungsklage vor dem Obersten Gerichtshof, die auf "equal coffee for the walking and the resting" pochte. Interessanter Trend, mal sehen, ob der sich ausbreitetet.

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kinky - Freitag, 13. Juni 2008, 00:41
Früher hat man für's Blutspenden 10 DM gekriegt. Jetzt muss man sogar dafür bezahlen.

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 02:05
Topsy Turvy!
Die Verhältnisse wurden auf den Kopf gestellt! Dahinter steckt die internationale Ausbeutung der blutbildenden Klasse!

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vert - Freitag, 13. Juni 2008, 02:15
wenn nicht sogar charivari oder tohuwabohu!
- wahrscheinlich liegt das an der mangelnden ausbildung der blutbüttelklasse

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 02:41
Hellzapoppin'!

Dagegen muß man etwas tun.

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kopfherz - Freitag, 13. Juni 2008, 18:27
zufällig in der stadt. zufällig an der gartenzwerg-fabrik vorbei gekommen. gezielt geknickst.
(aber vermutlich hat wieder keiner geguckt.)

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kid37 - Freitag, 13. Juni 2008, 22:53
Ach. Und Sie sagen nichts, wie schade. Ich habe aber zum Gruß kurz die Fahne vor der Fabrik gedippt!

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kopfherz - Sonntag, 15. Juni 2008, 22:20
danke für die fahne ...
na ... die fehlschaltungen im gedankenfach ... erst beim passieren der genannten fabrik dachte ich: also echt blöd mal wieder ... da hätt ich glatt was vorher sagen können und womöglich wär ein kaffee bei raus gekommen.

dann das nächste mal.
:-)

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kid37 - Montag, 16. Juni 2008, 02:49
Hätten Sie aber glatt vorher mal was sagen können. Allerdings.

Und wehe, wenn nicht. Beim nächsten mal. ;-)

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