Freitag, 6. November 2009


Gleich acht davon





Gestern abend, beständiger Regen pendelte das Gemüt auf Normal Null, dann aber doch noch schnell zur Eröffnung von Katharina Fritsch. Die Reden waren zum Glück schon vorüber, gute Gelegenheit also, zwischen klirrenden Gläsern und schwarzen Feuilletonrollkragen durch die Ausstellung zu huschen. Monochrom Buntes, Gesiebtes, hoch Ironisches. War das ein augenzwinkernder Hieb auf Damien Hirst, dieser Totenschädel inmitten eines Apotheken-Ensembles? Und diese pseudo-viktorianischen Penny Dreadfuls-Illustrationen, die Max Ernst atmen, während auf der anderen Seite blasse Drucke eine schwule Softpornoidylle ohne Cowboyhüte beschwören. Aber ich war ja wegen des Tintenfischs gekommen. "Eight arms to hold you" jubelte eine Marketingaktion in den 60ern für die Beatles. Eine faszinierende Vorstellung, mit acht Tentakeln Armen Nähe zu schenken. Der orangefarbene Oktopus von Katharina Fritsch ist so freundlich, einen Tiefseetaucher wie eine Actionfigur zu bespielen. Ein Freund, fest umschlungen und verläßlich, bis zum Tod. Und niemand muß mehr traurig sein.

Die schönen Frauen, die man gemeinhin auf Vernissagen trifft, standen in schicken Kleidern, gewagten Strümpfen und mit offenen Mündern wie festgesaugt vor dem tentakeligen Getüm. Die anderen wagten sich an den lebensgroßen grünen Elefanten mit dem beachtlichen Rüssel, der gleich um die Ecke thront.

Eine Pop-art-Wunderkammer, sehr glatt in der Form, aber voller kleiner Widerhaken. Ein Jahrmarkt-Abenteuer. Als ich hinaustrat, hatte der Regen zum Glück schon aufgehört. Die letzten bunten Lichter glitzerten in den Pfützen.

(Katharina Fritsch. Deichtorhallen, Hamburg. Bis 7.2.2010.)


 


Donnerstag, 5. November 2009


Mythenkritzeln


Die beiden hören Pochpochpoch, stehen aber zu nahe dran, um Orpheus zu sehen


Nein, das könnt ihr nicht


Die simple Kunst des expressiven Nagelns


Leider nur Platz drei im Cy-Twombly-Ähnlichkeitswettbewerb

Im Wiener Mumok konnte ich schnell noch die Cy-Twombly-Ausstellung "Sensations of the Moment" sehen, ich mag ja diesen Kritzelkünstler, diesen abstrakten quasi-Arte-povera-Expressionisten, der große Gesten in unaufgeregte Formen darstellen kann. Das ist alles offen wie nichts, Sex, Gewalt und große Mythen verzwirbelt zu bindfadendünnen Linien, zusammengedengelten Fundstücken, nervösen Eiskunstlauffiguren auf Leinwand und übrigens Fotografien, die wiederum eine beseelte Ruhe ausstrahlen. Ich glaube ja, daß er ein sehr ernster Witzbold ist, ein Hymniker der kleinen Form, der einen rostigen Nagel in die Verkleidung eines Marquis de Sade stecken kann, also ihn derart verkleiden, nicht den armen Marquis durch die Kapuze quälen, jedenfalls ...sind wir die Hörenden jetzt und ein Mund... - wie es auf einem seiner Orpheus-Bilder geskribbelt steht - staunt man stumm vor lauter Materialität, den großen Poren und kreidigen Flächen, durch die man wie Yves Klein am liebsten eine nackte Ariadne ziehen möchte, dem bitteren Witz am Ende einer langen, verwickelten Kordel entgegen. Eine endlose Echolalie von Fragmenten, brutal, zart, summend. Wie Liebende neigt man nur lächelnd den Kopf, zieht die feinen Linien wie eine zarte Körpersilhouette mit den Fingern nach.

(Cy Twombly, "Sensations of the Moment". Mumok, Wien. 4.6. - 11.10.2009)


 


Dienstag, 3. November 2009


Künstler sind keine Eventziermöhrchen

Unter Hamburgs Kreativen zirkuliert dieser Offene Brief, der einige der eklatantesten Fehlentwicklungen der hier sogenannten Kulturpolitik und Stadtentwicklung auf einen spitzen Punkt bringt. "Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist", heißt es in dem Widerstandspamphlet gegen die "Markenstadt Hamburg", deren Kulturpolitik in erster Linie Eventsponsoring und in der Stadtentwicklung die Gentrifizierung gewachsener Stadtteile bedeutet, in denen Künstler und Kreative als bunte Alibi-Farbtupfer gerade noch geduldet sind. Neu ist die Erkenntnis nicht. "Hamburg ist das Tor zur Welt", sagte der Hamburger Karl Lagerfeld einmal und setzte trocken nach: "Aber leider nur das Tor." Man sollte dies auch als Mahnung verstehen.

Ich meine, wo sich alles, auch Kultur und soziales Miteinander, kaufmännisch getriebener Wertsteigerungsdenke unterordnen soll, kann die Antwort des angeblichen Aushängeschilds "Kreativszene" tatsächlich nur lauten: "Not in our name, Marke Hamburg!"

via Zentrifugalhafen

>>> Die offzielle Webseite, auf der man auch unterzeichnen kann

>>> Artikel im Abendblatt


 


Montag, 26. Oktober 2009


Nivellierter Realismus





Den ersten oder letzten schönen Herbsttag zum Auslaufen genutzt, Durchlüften, Einatmen, Kind Of Blue, dann hin zu Polke, dritter Teil des Ausstellungszyklus'. Diffuse Kindheitserinnerung, die politischen Jahre, der Pulsschlag aus Düsseldorf, Kapitalistischer Realismus, so hieß das also, Beuys, die Akademieunruhen, überhaupt, diese Unruhe zwischen ausge-x-ten Fahndungsplakaten und dem Busenterror der QuickRevue. Ratinger Hof dann, Charley's Girls, die Katharina Sieverding ("Deutschland wird deutscher"). Heute steht einer vor ihren Fotos und sagt "schöne Brüste". Ein Raum weiter dann wieder Polkes Pornocollagen, Seitenhiebe gegenfür SexismusMachismusMilitanterFeminismusWasweißichmus - die Bilder sind sehr bunt und die Schwänze sehr groß. Vielleicht wurde damals wirklich mit dem Kopf gedacht, heute nickt man mit demselben nur, stehe ich da, also wir Kleinbürger, und sage jaja, was wahr ist, muß wahr bleiben, und wirklich schöne Brüste.

(Sigmar Polke: "Wir Kleinbürger!". Hamburger Kunsthalle. Bis zum 17.1.2010)


 


Montag, 12. Oktober 2009


Eine andere Währung schaffen



Wenn ich im Leben eins begriffen habe, dann, wie alles mit allem zusammenhängt. Während ich also im strömenden Regen zum Lebensmittelmarkt ziehe, begegnet mir einsam am Straßenrand ein totes Kaninchen, das glasigen Auges und nass wie eine Katze bei Hemingway im Grase liegt. Ich werde noch darauf zurückkommen. Abends dann, ich springe jetzt wie ein Hasenartiger über den Assoziationsrasen, zu Schlingensief, ein Benefizabend für sein Afrikaprojekt. Ich bin dem Mann ja auf vielfältige Weise verbunden, was im Detail auszuführen jetzt aber die Dimensionen eines Schlingensiefabends sprengen würde. In gefühlten fünfeinhalb Stunden führte er das Publikum durch einen launigen Abend, eine Kreuzfahrt durch den Kosmos Christoph, und ja, es waren einige ermüdet, genervt, enttäuscht vielleicht, aber die meisten hätten dem charmant-humorvollen Parcoursritt durch Kunst, Leben, Krebs und Zukunft noch bis in das Morgengrauen folgen wollen. In einem endlos mäandernden Bewußtseinsstrom plauderte er über das Woher und Wohin (aus den Flitterwochen, demnächst wieder Röhre, aus Gründen), nahm seine Tablette, redete dabei aber schon weiter über die Zustände in Berlin, den Öko-Familienterror vom Prenzlauer Berg, die "Künstler-" (bitte mit Anführungszeichen) dort und Vernissagenkultur, die Freundinnen, seine heldenhafte Arschlochigkeit, das Versagen, das Scheitern, die schlechten Filme und immer irgendwie halbgeglückten Projekte. Wie er seine Freundin noch auf der Berlinale verließ, weil sie ihn nicht verteidigen mochte (immerhin, sie ist den Kritikern nicht um den Hals gefallen, da hätte es schlimmer kommen können, sag ich mal), die bescheuerte Vorstellung von Loyalität also, wie aber dann Ms Swinton ("klingeling") in sein Leben trat, sie heulend durch Berlin stapften, in die Arme von Udo Kier, "United Trash" (blöderweise der einzige Film von Schlingensief, den ich hier auf Video habe), überhaupt Filmförderung, Doris Heinze (Danke, Christoph!), Grüne, Piratenpartei (Danke, Christoph!) und natürlich "Chance 2000", Wolfgangsee, und immer wieder Wien. Die Container, die "Ausländer raus"-Aktion, Du Künstler!, das Scheitern und dann doch nicht Scheitern, was ich ja überhaupt so großartig an ihm finde: das Machen, das Tun, der intensive Wille, das rastlose Vorwärts, das für buchhalterische Bedenken keinen Raum findet. Er hätte auch Blogger werden können, mit seinen Fragmenten, den Versuchen, den retrospektiven Erkenntnissen, wieviel Mist man links und rechts produziert. Blogger, hätte er nicht das Theater gefunden, die Bühne als Ort vor dem Archiv, als unredigierter Platz vor der Druckreife. Vielleicht sollten Blogger statt der Politik besser die Theater erobern. Schlingensief parodiert Kollegen, Zadek, genial, bekräftigt seine Liebe zu Dieter Roth (Danke, Christoph!), Beuys, überhaupt, die Liebe, und landet endlich in Bayreuth, dem einzigen Kosmos, der möglicherweise noch durchgeknallter ist als die Welt des Chr. Sch. Und um den Kreis zum Anfang zu schließen: Während über ihm auf einer riesigen Leinwand ein Film lief, in dem im Zeitraffer ein toter Hase zur Musik von Parsifal verweste, pumpte, atmete, seine Wunde zeigte (und ich frage mich, wieso ich für meine Lesungen nicht auf diese wunderbare Idee gekommen bin), las er aus den schrägen Briefen der Wagners an ihn, den Regisseur, eingekauft wegen seiner schrägen Ideen, die dann ganz so schräg aber bitte doch nicht sein sollten. Wenn Gudrun schreibt, so die heitere Erkenntnis, bleibt kein Auge trocken. Ich ahne, warum auch ich für meine Freunde oft so anstrengend bin, wenn ich engagiert bin, endlos erzähle, hin- und herspringe, laut werde, energisch, mit den Händen fuchtel, weit nach Mitternacht noch, aber Schlingensief hatte ja noch nicht angefangen mit dem, um das es eigentlich ging: sein Opernprojekt in Afrika. Ich erinnerte mich an ein Uni-Seminar über afrikanische Literatur, wie dort in vielen Kulturen das Konzept vom linearen Erzählen, dem Abhandeln eines Plots weniger bekannt ist als das Kreisen und Winden der oral tradition, weshalb sein geplantes Festspielhaus vielleicht ganz richtig und konsequent in Form einer Spirale, eines Schneckenhauses angelegt ist. Also genau so, wie er selbst erzählt und kreist und kreißt. ("Der kommt nicht zu Potte", murmelte ein entnervter Zuschauer und verließ den Saal; aber genau darum geht es doch, ich meine, hatte er als junger Mensch nicht auch mal einen üblen Darmverschluß?!) Das Wunden zeigen, das Schwach-sein, das Weitermachen ("Krebs, verpiss dich! Ich hab jetzt keine Zeit!"), die Idee weiterspinnen, ein System in Form zu gießen, das anders als viele Entwicklungshilfeprojekte selbst Teil einer sozialen Architektur, eines Austausches ist, in dem Geld vielleicht der Starter ist, am Ende aber das Schaffen einer neuen Währung steht. Der Beitrag, der Kommentar, das Aufgeben und Überantworten, das Archivieren des Unbekannten, Marginalen, die Förderung des Vernikularen, Vorhandenen, die Symbiose statt einer Belehrung. Ich habe das nicht alles bis ins Letzte verstanden. Aber allen Kritikern und Vertretern des "das wird doch nie was" ins Gebetbuch: Ihr seht einen Mann, der etwas tut.

>>> Festspielhaus Afrika
>>> Schlingenblog

darin: Hommage an Jacko


 


Donnerstag, 17. September 2009


Ventrikel



Gestern ein paar Gläser und Teller für die Volksküche gespendet, du darfst nicht vergessen/zu essen. Ich glaube, die können da gut noch mehr gebrauchen. Aufräumtage, im Gängeviertel wird eifrig geschreinert und gemacht, mir war das Signal, die ein oder andere taube Ecke meiner runtergewirtschafteten Dachstube ein wenig zu beklopfen, bespachteln und neu zu verschrauben. Es gilt, Hirn und Haus herbstfest zu machen, ich will beim nächsten Sturm kein loses Laub in meinem Kopf mehr wirbeln sehen. Ab und an ein paar zürnende Erkenntnisse, die hölzern auf dem Acker stehen. Aber da war der Gärtner selber schuld. Wie ein Erstklässler sitzt man mit Puzzlestücken und soll Muster legen. Und man hört die anderen verhalten kichern, während man selbst die einfachsten Quadrate nicht sieht. Zu nah dran. Zu wenig Freiräume, um in Ruhe nachzudenken oder ersatzweise etwas anderes zu tun.



Zum Glück gibt es die Prahlsucht, das Plappern und Verplappern, das Verraten und Verräterische aus eitler Selbstgefälligkeit. Sonst würde ich ja immer noch Kreise machen, wo es nur Dreiecke gibt. Mich überrascht meine Langsamkeit. Sonst nichts mehr.

Flanieren | von kid37 um 16:01h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 6. September 2009


Hyvää päivää!




Der King, sollte jemand fragen, lebt. In Finnland. Er verbringt dort eine vergnügte Zeit in einem oft dunklen Land mit einer skurrilen Sprache, die außer ihm nur andere Rock'n'Roll-Sänger sprechen. An Lagerfeuern und den zahlreichen Seen treibt er Schabernack mit bildhübschen lappländischen Mädchen (ich habe heute eines davon gesehen), rudert Boote und begleitet sein Gitarrenspiel mit einem Hüftschwung, der nicht nur unter den Holzfällern dort seinesgleichen sucht.



Woher nun ausgerechnet ich dies alles weiß? Nun, Feinkunst Krüger zeigt derzeit die Bilder des finnischen Malers Markku Laakso. Der malt Elvis hinein in folkloristische Szenen und bereichert seine Genrebilder vom locus amoenus um einen verschrobenen und hintersinnig-lakonischen Witz, wie man ihn nach drei Glas Bier obergärig nach innen lacht. Dazu gab es auf der Vernissage wunderbar verschrabbelten, finnischen Rock'n'Roll. Ich glaube, da gibt es viel zu entdecken, wenn ich DJ Litmanen richtig verstanden habe, und vielleicht sollten meine Tanzschuhe und ich die Urlaubsziele für die nächsten Jahre noch einmal überdenken.



Gleich nebenan, in der Bernhard-Nocht-Straße, gab es den Tag über noch mehr Musik. Abends spielten die Goldenen Zitronen Lieder vom kommenden Album Die Entstehung der Nacht und traten der drohenden Gentrifizierung des Viertels von der dichtumdrängten Bühne in den Arsch. Das "Lied der Medienpartner" hat mir dabei besonders gut gefallen, beinahe spontan konnte ich jede Zeile mitsingen. Punkfolklore.



Wer am Sonntag nicht zu Múm ins Knust geht (die kommen aber aus Island), darf alternativ um 21.00 Uhr die einzigartige Perfomance von Markku Laakso und Annika Dahlsten in der Meanie Bar sehen. Die greift die Familiengeschichte des Urgroßvaters des Malers auf, der 1928 Folkloredarsteller war bei einer Völkerschau bei Hagenbecks. Minä en puhu suomea, aber so hängt alles mit allem zusammen. Mit aufgeschlagenen Knien.

>>> Bilder der Ausstellung

(Markku Laakso, "Arctic Burning Sensation". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis Ende September 2009.)


 


Freitag, 28. August 2009


Sub-er-Vision




Was ja immer geht, wenn Besuch in der Stadt ist: Hafen zeigen. So zog ich gestern, man kann ja zweimal, nachdem ich zum Schichtende mit dem großen Hauptsicherungshebel die Maschinen stillgelegt hatte, mit Frau Kopffüßler auf das Gelände dieses Subvision-Kunstfestivals. Wetter gut, keine hochbehackten Präsentierteller und deplatzierte Deal-Einfädler unterwegs, da könnte man ja mal einen Blick auf die Kunst werfen. Wir landeten, auch aufregend, in einem halbdunklen Container, in dem Bücher von Frank O'Hara und Thomas Pynchon auslagen und zugleich Dias eines Museumsbesuchs in Berlin an die Wandd projiziert wurden. Fragt mich nicht, es war zum Lesen zu dunkel.

Gleich nebenan hatte jemand eine Hafenkulisse aufgebaut, Liegestühle vors Wasser gestellt und eine untergehende Sonne in den Wolkenhimmel projiziert. Solche Kunst schaue ich mir gerne an, call me loony ("Herr Kid! Total verruckt! Schaut sich an Schiffe und Sonnenuntergang!"). Aber mit charmanten Frauen an der Seite macht man gerne Ausnahmen. Ich möchte also meine Kritik am Subvision-Festival dahingehend differenzieren, daß man wirklich sehr schön dort am Wasser sitzen kann, bis die Nacht ganz Nacht wird. Bier 2,50 plus Pfand. Kartoffelsalat "wie bei Muttern".

Am Vorabend hatte Lu mich gehänselt, weil ich x-mal diesen roten Ball fotografiert habe. Nun kann ich verraten, aus welcher Vorahnung heraus dies geschah. Gestern machte es nämlich plötzlich Bumm - und das war es dann mit dem Ball. Ich nehme an, es handelte sich um eine subvisionversive Kunstaktion, die das Kernproblem der Hafencity auf den Knallpunkt brachte: Die Spekulationsblase ist geplatzt! Toll. Jedenfalls, der Ball ist weg, der Himmel leer. Danach brummelte nur noch das Feuerwerk vom Alstervergnügen durch den lauen Nachthimmel, während vor uns die Hedi mit bunten Lichtern und engagierter Musik übers Wasser schipperte.

"Und da hinten ist das Meer", sagte ich dann noch.


 


Donnerstag, 27. August 2009


Sub & Vision




Was ja immer geht, wenn Besuch in der Stadt ist: Hafen zeigen. So zog ich gestern, nachdem ich zum Schichtende mit dem großen Hauptsicherungshebel die Maschinen stillgelegt hatte, mit Lu zur Eröffnung des Subvision-Kunstfestivals. Auf dem bislang unbebauten Strandkai mitten in der Glasstahlbetonwüste Hafencity hat eine kleine Containerstadt Einzug gehalten, die aber keine Asylbewerber oder Wohnungslose behaust, sondern Kunst.

Überragt werden die Containerkonstruktionen von einer riesigen Tafel, die illustre Sponsoren dieses Festivals verzeichnet, der Hauptplatz befindet sich in einer Wagenburg aus Getränkeständen, Bars und Imbißbuden. Der Kunst-Imbiß steht etwas abseits. Man wird den Eindruck nicht los, einer Alibiveranstaltung für die Bewohner dieses künstlich erschaffenen Viertels beizuwohnen, die arm zu nennen, von wahrem Mitleid zeugt. Da ist ja nichts! in dieser Betonwelt, außer gläsernen Balkonen, auf denen man gelhaarige Businesshemdträger beobachten kann, die allesamt aussehen als arbeiteten sie bei einer maroden Landesbank.

Jetzt stehen sie an Häppchentischchen, eine Hand lässig in der Hosentasche, die Chipkarte für die ETW, 102 qm, 2 Balkone, umklammernd, in der anderen eisgekühlt Spritziges, Ziermöhrchenpartner an der Seite, großmännischer Blick aufs Hafenbecken. Kunst sehen sie nicht, das Gedränge um die Container ist groß, die Türen schmal, aus einem Zelt dringt das aus der Zeit gefallene Werk eines Musikunterhalters, bei dem wir darauf wetten, daß er gleich "She's Fresh" von Kool & The Gang spielt, damit ein Fransenslipper wippt. Lu wartet auf "Funky Cold Medina".

Die Kunst, das muß man einräumen, hat es schwer, gegen die imposante Kulisse des Hafens anzustinken. Während die Sonne langsam untergeht (über Bali und Shanghai), sitzt man lieber auf einem gemütlichen Platz, schaut aufs Wasser, lacht über Vergangenes, blickt den auslaufenden Schiffen hinterher in die Zukunft, wickelt sich ein in den letzten Rest der warmen Abendsonne, der milden Luft, genießt die Gegenwart des Augenblicks und malt irgendwelche Zeichen in den Sand. ("Subvision". Hamburg, Hafencity. Bis zum 6. September.)


 


Montag, 24. August 2009


In die Gänge kommen





Am Wochenende lockten die Abbruchhäuser des Hamburger Gängeviertels zur umfangreichen Kunstbeschau. Der Block aus Wohnhäusern und alten Fabriken steht seit langem leer, nun ist ein Investor gefunden, der letzte Lücken im umliegenden Glas- und Betongeflecht schließen, solventen Mietern schicke Lofts bauen und in Hamburg dringend benötigte Büroräume in diesen Stadtteil setzen will. Letzte Spieltage also für ein paar spontane Ateliers und Galerien, um Löcher in Boden und Wänden herumzumalen, Bilder zu hängen und Installationen zurechtzudengeln, während unten im Hof die Würstchen schmurgeln und ein Soundsystem wabernde Baßfrequenzen durch die maroden Treppenhäuser schickt.





Im Hof singt eine Dame zum Klavier, in den Häusern gibt es Licht, öfter auch Schatten, das trifft natürlich wie immer auch auf die gezeigten Werke zu, aber am Ende zählt ja auch die Atmosphäre des einmaligen, des besonderen, die Energie, die aus den Wänden schwitzt, die Erinnerung an die alten Bewohner, die Geschichten unter den abgerissenen Tapeten. Im Kinderzimmer noch ein Lichtschalter von Winnie the Pooh, ein Mädchen hat in alle Spülbecken Blumen gestellt. In den alten Backsteinfabriken die unwiderbringlichen Details, schmiedeeiserne Fenster, verrostete Feuerleitern aus Metall, kleine Balkone, Industriesicherungen und Meßgeräte, dazwischen Schmetterlinge, die grazil um die Kunst tanzen.




Für ein Wochenende zeigt die Stadt, was möglich wäre, ließe man kreatives Leben in diesen letzten Nischen zu. Gleich nebenan nämlich glotzen neidisch die toten Glasfronten der um diese Zeit geschlossenen Läden und Büros, ausgestorbene Straßen, die auf die Ankunft der Arbeitsameisen am Montag warten.

>>> Webseite vom Gängeviertel