Donnerstag, 17. März 2005
Als altgedienter Flohmarkt-Aficionado besteht die größte hormonausschüttende Freude im Entdecken kleiner Schätze, ungewöhnlicher Requisiten, Trophäen und Trouvaillen für die hauseigene Wunderkammer und Erinnerungsstücke der verlorengegangenen Jugend. Bei Mai las ich neulich über den kleinen Mirakel- kasten verschollener Kindertage - den View-Master. Auf kleinen Scheiben befinden sich stereoskopische Bildpaare, die einen dreidimensionalen Eindruck von weiter Landschaft, aktionsreichen Filmszenen und hormon- beschleunigendem Gemüse verschaffen.
Als Kind besaß ich nie einen Viewmaster, denn selbstverständlich waren wir bitteram, wie sich das gehört. Aber seit einigen Jahren besitze ich ein Model C aus den 40er Jahren. Der schnieke, "retro"-rufende Bakelitkasten kommt meinem Kindheitsempfinden sehr nahe und verspricht schon beim vorsichtigen Betasten den Zauber einer Zeit, in der alles besser war, selbst die Zukunft.
Vier oder fünf Mark habe ich dafür bezahlt, ein Witz, nach menschlichen Maßstäben. Mittlerweile habe ich einen hübschen Stapel Scheiben zusammengesucht, viel Reisenthemen und Landschaften, aber auch Märchen, die Munsters, olle Western und Zeichentrickabenteuer. Leider aber besitze ich nichts aus dieser großartigen Pinup-Serie. Das wäre ein weiterer Traum.
Sonntag, 10. Oktober 2004
Mein Lieblingsflohmarkt, auf dem ich heute nach längerer Zeit mal wieder war, hat sich weiter verändert. Mehr Stände, mehr Kinderwagen, mehr Gewusel. Mehr "Szene-Pärchen" aber auch. Anscheinend kommen nun nicht mehr nur frühmorgens die Profihändler, um die interessantesten Stücke günstig abzugreifen und auf den Szene-Flohmärkten auf der anderen Uferseite der Alster feilzubieten.
Nun folgt ihnen wie die Junkies dem Dealer bereits deren Kundschaft in die sogenannten unmöglichen Stadtteile.
Ein Umstand, auf den mich neulich bereits ein aufmerksamer Kollege aus der Klebstoffschnüffler-Selbsthilfegruppe hinwies.
Eigentlich suchte ich ein Geschenk für Mütterchen Kid, aber so richtig was passendes wollte mir nicht ins Auge springen. Eine Beinprothese, recht schwer und gar nicht so unansehnlich, ließ ich dann doch stehen. Zu sehr wog noch der Schmerz, daß mir neulich auf einem anderen Flohmarkt eine wirklich sehr schöne, lederbesetzte Handprothese vor der Nase weggekauft wurde. Selten hat es ein eleganteres Dekostück für nur 12 Euro gegeben. Eine dritte Hand! Was ich damit alles hätte anstellen können. Immerhin gab es dann für 2 Euro noch "Resident Evil". Allerdings als Geburtstagsgeschenk für Mütterchen Kid eher weniger geeignet.
Ansonsten viel Krempel und noch mehr Gewühl. Meditative Ruhe fand ich erst auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Der reicht zwar vom Charme nicht an den Wiener Zentralfriedhof heran, aber man soll im Leben nicht immer vergleichen.
Der Herbst ist ja die schönste Zeit für einen Spaziergang an solcherlei Orten. Unter den Füßen knacken die Bucheckern, Laub färbt sich rot, wenn man es nur scharf genug ins Auge faßt. Zweige, wie die Unterleibe einer Hexe geformt, werfen sich einem in den Weg. Phallische Pilze recken keck ihren Hut. Ich erinnerte mich, daß ich mal mit einer Frau, die mir nach langem Werben endlich nachgegeben hatte, die Zukunftsplanung bei einem Spaziergang auf dem Ohlsdorfer Friedhof begonnen hatte. Das hätte einem eigentlich schon zu denken geben müssen. Aber man ist zu solchen Gelegenheiten für schlechte Omen ja völlig unempfänglich.
Ich habe daraus gelernt. Auf dem Friedhof landet alles früh genug. Solange man aber noch einen Arm oder ein Bein hat, findet man geeignetere Orte. Die nächste Zukunftsplanung halte ich besser in einem Keller ab. In der Wuppertaler Schwebebahn. Oder auf dem Wiener Naschmarkt. Oder gleich im Kölner Dom.
Samstag, 3. Juli 2004
Nachdem ich all die guten Ratschläge meine schwere Erkrankung betreffend befolgt habe (außer der Sache mit der nassen Wollsocke. Damit konnte ich nicht so recht warmwerden. Ich war allerdings froh, daß mir nicht empfohlen wurde, einen Tee daraus zu kochen), geht es mir heute besser etwas besser. Schnüff.
Zeit also, sich die Hagebuttenteeinfusionsnadel aus dem Unterarm zu ziehen und den Tropfhalter beiseite zu schieben. (Notiz: Unbedingt einen rollbaren Infusionsständer zwecks erhöhter Mobilität irgendwo abgreifen!)
Frische Luft war das Gebot des Tages, und so wagte ich mich zwischen zwei Schauern nach draußen. Angenehm mild war es für Herbst und ich konnte die Lederjacke sogar offen tragen.
Die rote Nase rührte bloß vom Schnupfen her. Mir war nach hautschmeichelnder Luft, gesunder Lebensweise, meinetwegen kitschigem Frieden und ein wenig Versprechen. Und ein bißchen bunter Erlebniswelt, aber nicht von diesen rosabepuschelten Teenagern, die heute wegen "Schlagermove" Asti-Spukante-befeuert die U-Bahn besangen. Also auf zum Flohmarkt. (Neuerdings trifft man dort sogar den ein oder anderen Hamburger Blogger, das ist ja dann auch nett.)
So ein Flohmarkt ist ja im Grunde eine begehbare Assemblage. Alle möglichen Ex-Einrichtungsgegenstände, Bücher, Klamotten, Schrott und Konkursmasse liegen einfach auf dem Boden herum. Das sieht man in dieser chaotischen Anordnungen höchsten noch bei Schwitters und Léger im Museum. Anders als im Guggenheim aber, darf man auf dem Flohmarkt alles anfassen. Hätte ich Kinder, die ich als alter Hagestolz nicht habe (ich zähle jetzt mal die zwei Jahre mit "Beutekind" nicht dazu), die würden von mir Woche für Woche gnadenlos auf den Flohmarkt geschleift.
Neben den haptischen und visuellen Sensationen bekommen sie gleich einen Eindruck vom Prinzip der Vielfalt und der Originalität der Dinge. In den selbstähnelnden Fußgängerzonen der westlichen Welt mit ihrer abgenudelten optischen Melodie von Filialketten und dem identisch geklonten Warenangebot kann man diese Erfahrung nicht mehr sammeln. Auf dem Trödel aber läßt sich alles begrabbeln und betatschen und von mir aus in den Mund nehmen. Die Dinge dort bieten einen Überblick über längst vergessen geglaubte Zeit- und Stilepochen. Fälschlich im Müll entsorgt geglaubter Plunder, Reste von Wohnungsauflösungen - alles wird an das oftmals nicht unbrutale Licht offener Plätze gezerrt. Ähnlich wie eine Galerie wird der Flohmarkt zur Wertanstalt: Der einst massengefertigte Schrott der Billigheimer verliert durch Zahn und Zeit seinen seriellen Charakter und wird zum Unikum, zum Einzelstück mit Patina und Sammlerwert.
Daneben gibt es echte Pretiosen wie dieses Gemälde hier. Offensichtlich von Meisterhand gemalt, ohne piefige Rücksichten auf Perspektive und Anatomie, zeigt sich hier eine Szenerie voll hautschmeichelnder Luft, kitschigem Frieden und gesunder Lebensweise. (Wobei nicht klar ist, ob sie in ihrer rechten Hand, die leider, Schnappschuß eben, nicht mehr aufs Bild paßte, nicht doch eine Zigarette hält. Aber dieses nette Frollein, deren Augenpartie ich wegen der Anonymität im Internet extra ein wenig verdunkelt habe, macht so etwas bestimmt nicht.) Hinter sich die offene See sitzt sie naeckisch in den Dünen, den Blick einladend an den Betrachter gerichtet. Was wird sie wohl sagen wollen? "Schöner Mann, verweile doch", oder "Hilfst Du mir, meine zarten Füßchen zu finden?" (Wär der Maler nur einen Schritt zurückgegangen, sie hätten noch aufs Bild gepaßt.)
Wahrscheinlich aber sagt sie in einem solch romantisch angehauchten Moment nur etwas ganz profanes. Etwa: "So, jetzt kannst du Brötchen holen", oder sie sagt etwas kühles. Nein, mein Mädchen, dich hab' ich durchschaut. Mein Schnupfen und ich, wir gehen ungeküßt nach Hause.
Samstag, 29. Mai 2004
Irgendwie komme ich mit meinen Beiträgen nicht so recht hinterher. Heute wollte ich etwas über den schleichenden Niedergang meines Lieblingsflohmarktes schreiben.
Der liegt nämlich in einer unhippen Gegend, wo die feschen St.-Pauli-Szenemobster nicht tot über'm Zaun hängen möchten. Das macht mir nichts, denn ich bekomme dafür coole Teile für'n Euro. Nun ist es aber mittlerweile so, daß die Coyoten dazulernen: Wenn man sich morgens um neun schon auf diesen Flohmarkt begibt, dann sieht man clevere Händler, die die Stände nach günstigen Schnäppchen abgrasen. Die schönsten Dinge erwerben sie dann für einen Apfel und ein Ei, nur um diese Fundstücke dann auf den Szene-Flohmärkten jenseits der Alster für das Zehnfache an verpennte Karo-Viertel-Spackonauten zu verticken.
Die Anbieter meines Flohmarkts, meist gewiefte Händler aus den Balkanländern, haben nun rasch dazugelernt und leider Gottes ein Auge für die Rarissima entwickelt.
Die Preise ziehen an und verderben die Kunden.
Darüber schreibe ich also ein anderes Mal. Meine Aggression darob werde ich nächste Woche niederringen. Danke für die Erinnerung, Herr K.!