Montag, 16. August 2010
Und todgeladner Drähte Kreuz und Quer
Sieht man die Spatzen flattern, nisten,
brüten, mausern, picken,
Als ob die Welt ein Schutzpark war!
(Carl Zuckmayer, "Lob der Spatzen")
Die Geschäftsauslagen zeigen es, die Wetterkarte auch, in den nächsten zwei Wochen wird im Supermarkt Spekulatius in die leer gewordenen Brutregale der nun gen Süden ziehenden Sommersaisonartikel rücken. Die Spatzen indes fallen bereits von den Dächern - kurz: der Herbst ist da. In der bei jungen Damen wie griesgrämigen Herren gleichsam wie die wöchentliche Prospektbeigabe beliebten und für zahlreiche Schmunzler sorgenden, ebenso fröhlichen wie lockeren Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr kommen wir diesmal zum Sperling (Passeridae).
Ich habe da mal etwas mitgebracht, was man heute leider in vielen Gärten finden kann. Dieses Exemplar der verbreiteten Vogelfamilie mit 37 Arten nun kam auf eine Weise zum vorzeitigen Ableben, die wir dem Allroundgenie Thomas Alva Edison zu verdanken haben, dem Mann, der uns auch die Glühbirne schenkte. Dieser Spatz ist starr: Er landete sozusagen auf dem elektrischen Stuhl. Er flog, so meine akribische Tatortanalyse, gegen einen stromführenden Weidezaun und hat darüber wohl wie ein Flugzeug im Gewittersturm die Kontrolle über seine Bordinstrumente verloren. Man sieht daran, wie wichtig der Überspannungsschutz für Aviatoren im modernen Luftverkehr ist! An diesem Simulator kann man übrigens die kritischen Phasen nachvollziehen - ich komme in meinem mehrseitigen Untersuchungsbericht aber vorab zu dem Schluß, der muntere Geselle aus Avion Avignon hatte keine Chance. Man kennt das Problem der kurzzeitigen Bewußtlosigkeit des Piloten aus anderen Extremflugsituationen, die Verantwortung für diesen Flugunfall an höherer Stelle wird also nicht von der Hand, in die der Spatz ja bekanntlich besser gehört, zu weisen sein. Darüber wird also nüchtern noch zu sprechen sein, denn wie sagte Monaco Franze weiland so treffend? "Geh, Spatzl, ich tät mich doch niemals über ein so ernstes Thema lustig machen."
Dienstag, 25. August 2009
Oh, herrlich ist die Reisezeit! In der wie eine in einem heruntergekommenen Wohnmobil zusammengekochten kristallinen Droge süchtig verfolgten, dennoch bloß flüsternd weitererzählten Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr kommen wir diesmal zum Fisch. Dieses von allen Wassergeistern verlassene Exemplar wurde - mit dem Strom schwimmend, wie es nur tote Fische tun - in Neuseeland an den Strand getrieben und dort von einem Kollegen entdeckt.
Es sind diese kleinen Begebenheiten, die einem das Herz ganz butterweich machen können. Da fährt jemand um die halbe Erdkugel, überfliegt Wüsten und Ozeane und denkt, zwölftausend Kilometer entfernt, inmitten tückischer Gewässer und schönster Sonnenuntergänge gleich an mich, wenn dort ein Ex-Fisch liegt. Andererseits, wer fühlte sich nicht manchmal vom Gedanken an ein Ex verfolgt, gerade auch an unzugänglichen Orten tief im Herzen der Finsternis und anderen touristisch ebenso unerschlossenen Gebieten?
Ein wenig kess schaut er ja schon, dieser Kugelfisch, der in seinem flossenbewegten Leben möglicherweise kein Kostverächter war, so sinnlich wie die vollen Lippen tun. Man sollte aber nicht, wie manche irren, vom schönen Äußeren auf die inneren Qualitäten schließen. Vielleicht war er ein Hallodri, kam notorisch zu spät und dann auch nicht daheim. Wir wissen es nicht, die Toten sind bekanntlich stumm wie der sprichwörtliche Fisch. Tautologisches Schweigen blubbt einem sozusagen entgegen, atemlos dazu. Aber gibt es einen besseren Reisebegleiter als solch einen Fisch, der sich aufblasen kann wie ein Badeboot und beim Sonnenuntergang garantiert nicht dazwischenquatscht? Er hat seinen Urlaub hinter sich. Mir soll es Mahnung sein, nicht lange zu trödeln. Mal die Füße ins Wasser halten, die Flossen.
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Donnerstag, 16. Juli 2009
Eigentlich wäre es ein Fall für die mit zuckerübergossener Hingabe verehrten Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr gewesen, zeichnet sich die gemeine Fliege doch als ungewöhnlich anhänglicher, gleichwohl nicht immer heiterer Sommerbegleiter aus. Allein - die Zeit. Die fehlt. Als dieses feiste Exemplar auf meiner Fensterbank verstarb, schien es mir mehr Zeichen und Hinweis auf das stete Bzz Bzz Bzz IN MEINEM KOPF zu sein, das mich den ganzen Tag schon begleitet. Gleich der unermüdlich hartnäckigen Muscida nämlich, die mit penetrantem Geräusch einen Leckerbissen streitbar macht oder nur dumpf wie ein Mittags-Talkshow-Gast gegen eine Scheibe brummelt, zerrt der beruflich veranlaßte Kontakt zu einem Kölner Fernsehfrequenzbefüller seit heute Morgen schwer an meinen Nerven. DIE GEHEN MIR AUF DEN SENDER, möchte man - unterlegt von einem ungewöhnlich hochfrequenten, aggressiven Ton - laut aus dem Fenster rufen, lockte man damit nicht gleich auch die Fliegen wieder herein. Bzz, bzz, bzz, summt es also weiter, während widersprüchliche Meldungen meinen Schreibtisch erreichen und mich wie ein Huhn aus der Suppe scheuchen. Denn dort ist ja jetzt schon die Fliege drin.
Montag, 1. September 2008
In meinem berühmten Roman Ich weiß, eigentlich wolltest du die Welt retten, aber dann war da ja diese Party beschreibe ich bekanntlich, immer auf wohlwollende Weise natürlich, die Jeunesse dorée einer noch bekannteren deutschen Großstadt auf ihrem traumtaumeligen Weg zwischen Sinnsuche, Selbstdarstellung und Applaussucht, kurz - so die Kritik bei einem ebenfalls sehr bekannten deutschen Buchversender - "ein irrlichterndes Leben am Rande des großen man könnte, ein neonflackernder Konjunktiv, eine Jugend im ewigen Zustand des eigenen Projekts gefangen..." usw. usf.
Wie sehr also kann der ebenfalls wohlwollende Leser meine glückshormonpumpende Freude beim Öffnen des Briefkastens antizipieren, als mir der heißersehnte dicke Umschlag in die Hände fällt. Denn Herr Vert nämlich hat nicht nur angekündigt, sondern getan: Ansichtskarten gedruckt, wie sie in den quietschenden Drehständern am Point of Sale erst recht sehr bekannter norddeutscher Badeorte nicht zu finden sind. Da mußten wieder einmal erst Blogger her!
Wunderbar. Ihr da draußen, Urlauber, Reisende, Ansichtskartensammler, müßt das alle kaufen, zehnerpackweise und Ruhm und Ehre dieses Mannes landauf landab verbreiten.
Zum Drehständer bitte hierhin.
Dienstag, 29. Juli 2008
In der wie ein gutherziger Landesfürst verehrten, hosenbundlockeren Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr möchte ich nun das Augenmerk auf diejenigen Verflossenen richten, die man am wenigsten vergißt: die mit den exotischen Namen. Eudyptula minor ist es, der Zwergpinguin, der hier eine letzte Parade ohne Showtreppe feiert. Das gesellige Wappentier eines alternativen Betriebssystems gilt zurecht als einer der bestangezogenen Vertreter von Funk und Fauna, parkettsicher und stets vorzeigbar. Doch dieser Geselle blieb alleine am Strand, vergessen vielleicht von seinen Freunden, die lieber ohne ihn zum Steptanz wollten. Vielleicht hatte er auch keine, vielleicht war er auch einfach nur... alt. Oder traurig. Es ist ja soviel Kummer in der Welt.
Das Reisemitbringsel, verdanke ich übrigens dem geschätzten Kollegen Comicneurotiker, der hier 1, 2, 3 von seiner bunten Reise durchs pittoreske Neuseeland berichtet.
Donnerstag, 8. Mai 2008
Et contient tout les extases;
Pour dire les plus longues phrases;
Elle n'a pas besoin de mots.
(Charles Baudelaire, "Le Chat")
Liebe Lu, du mußt jetzt tapfer sein! In der bei meinen naturkundlich interessierten Lesern wie von übertriebenen Liebesschwüren geplagten und immer noch losen Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr möchte ich heute des Bloggers Menschen liebsten Freund vorstellen: die Katze. Eine Leserin, die anonym bleiben möchte, der aber unbesehen unser aller Dank gebührt, hat mir dieses Foto überlassen. Auch wenn die Nähe der Straße etwas Schlimmeres suggeriert - der elegante Jäger hat sich dort selbstverständlich nur zum Schlafen hergelegt. Vielleicht war er vom langen Warten erschöpft. Vielleicht war auch sein Herz ein wenig gebrochen. Vielleicht hat er lange ein Spiel spielen müssen und war darüber müde geworden. Vielleicht hat er vertraut. Katzen, das ist bekannt, haben ihren eigenen Kopf und bestimmen selbst das Ende.
Ich hatte auch mal so einen getigerten Kater, vor vielen Jahren. Der war wie ich, ruhig, ein wenig naiv, eher vorsichtig denn übermütig und Langschläfer. Wir haben viel gelacht, einmal allein zusammen über einer Dose Ravioli Heiligabend verbracht und Silvester auch. Er konnte alle Türen öffnen und die zu meinem Herzen auch. Eines nachts ist er in meinen Armen gestorben, und ich wollte danach kein Tier mehr. Weil ja nie etwas bleibt.
Freitag, 22. Februar 2008
Die reizende Ophelia. – Nymphe, schließ
In dein Gebet all meine Sünden ein.
(Shakespeare, "Hamlet". III, 1.)
In der in der allgemeinen Aufmerksamkeitsgunst wie vom rezeptionsästhetischen Veitstanz befallenen losen Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr möchte ich aus aktuellem Anlaß heute erneut die Möwe vorstellen.
Als die Neigungsgruppe Kummer & Trunk neulich einen kleinen Spaziergang durch den heuer doch eher wie impotent sich gebärdenden Winter wagte, lauerte die Entdeckung dieser fahlen Wasserleiche wie ein schwermütiges Omen am Wegesrand. Ein Wappentier! Denn, sei ehrlich zu uns, kleine Ophelia - hat dich nicht der Kummer dazu getrieben, den ganz großen Trunk zu suchen?
O, verstecke nicht dein rotes Haar. Wir spotten nicht. Wir standen ergriffen und stumm, voller Kummer, ein trunkenes Paar am Ententeich. Geh hin kleiner Vogel. Friß all unser'n Ballast, den Zorn, die Trauer und auch uns're Zweifel und sinke hinab. Zum Grund allen Grundes, und laß unsere Herzen reiner zurück.
Donnerstag, 12. April 2007
Turdus merula, die Schwarzdrossel
Aus der auf der Beliebtheitsskala wie vom Wahnsinn befallenen Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr begrüßen wir den Frühling heuer mit der Amsel. Das Männchen zählt mit seinem schwarzen Federkleid bekanntermaßen zu den Gothics unter den Singvögeln, auch wenn sein Gesang dazu manchmal einen Tix zu lebensbejahend daherkommt. Dieses Exemplar nun ist tot, da singt so schnell nichts mehr. Ergriffenere Leser werden es dankbar zur Kenntnis nehmen, daß der rückwärtige Teil des Vogels auf dem Bild fehlt. Der war zum Zeitpunkt der Aufnahme stark durch Fliegenbesuch abgelenkt, wie überhaupt dieses Tier im noch jungen Jahr bereits bessere Tage gesehen haben muß.
Ich vermute, ein Auto kreuzte seine niedrige Flugbahn, ein Thema, das mir aus eigener Anschauung jüngst sehr vertraut ist. Drum warne ich erneut: Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund. Aber - und das ist neu - auch nicht zu niedrig.
>>> Beachten Sie bitte Iris Schiefersteins Ausstellung in Berlin, bis zum 28. Mai 2007 und in Heilbronn, bis zum 24. Juni 2007.
Mittwoch, 17. Januar 2007
Ein Tier blickt argwöhnisch. 1988. Tusche auf Papier. Privatbesitz
Ich weiß nicht, wer sich an den Film "Ein Z und zwei Nullen" von Peter Greenaway erinnert. An manchen Tagen genügt da auch ein Blick in die Gemüseschale im eigenen Kühlschrank. Ich war jedenfalls gleich fasziniert, als ich auf dieses kleine Schweinchen stieß, dessen quickere Tage nun perdu sind. Und doch tut sich was, wenn man nur lange genug wartet. Wie dieses Zeitraffervideo auf Youtube zeigt. (Vielleicht nicht unbedingt gerade nach dem Mittagsmahl anschauen, this piglet is not for eating!)
Mit toten Tieren durch das Jahr, sage ich nur, einige erinnern sich. Bizarr, aber leider nur von einer morbiden Schönheit, die sich bekanntlich nicht jedermann erschließt.
Nach solch einem dekonstruierten Tier, sollte man jetzt Morpheme und Lexeme schwirren lassen aus der Ursuppe der Sprache und ein Video drehen zum Thema Werden/Vergehen, Zerbrechen und Schaffen - aber am Ende ist es wie mit diesen Filmen: man sieht die 26 Buchstaben, die Atome der Sprache, man sieht zerfallende Nature morte, alles zerhackt und alle Elemente ausgelegt. Aber wer, wer setzt das am Ende zusammen, wenn es so einfach ist?
Dafür haben wir ja den kleinen Spanier! Der Rekonstrukteur verkörpert nicht nur die Klaukultur, sondern auch das Movement [mu:hwemang] der direction oppositionelle (haha, ich denk mir grad was aus). Mit kühnem Schwung also in die Gegenbewegung: aus dem Schmodder (womöglich des kleinen Schweinchens) komponiert dieser kleine Schabernaqueur einen Stier! Ebenfalls als Zeitraffervideo zu sehen, diesmal allerdings bei Google. Picassoesk!
Mittwoch, 6. September 2006
Beim Tauben vergiften im Park!
Nimm für uns was zu naschen
In der andern Taschen,
Geh mer Tauben vergiften im Park!
(Georg Kreisler, "Tauben vergiften")
Aus der Reihe: Mit toten Tieren durch das Jahr.
Heute: Die Taube (Columbidae)
Die gemeine Stadttaube begegnet einem ja in verschiedensten Aggregatzuständen. Als gurrende Blähbrust im Frühjahr, pickender Ruckelhals, wann immer es Futter gibt, gut ausgewalztes Etwas, wenn es Mann gegen Mann gegen einen Laster ging oder - und das ist der dominierende Phänotyp - als schwirrender Flügelrausch, wenn das gute Tier beschließt, bakterienschleudernd in Mundhöhe an seinem menschlichen Symbiosepartner vorbeizuflattern.
Man kann ins Sinnen kommen, wenn man den Flug der daunigen Federn betrachtet, die in kontemplativen Spiralen die eigenen Fußspitzen ansteuern, während man so sitzt, auf einer Parkbank, einer Mauer, in einem Straßencafé. Boshaftigkeiten sind in der Regel jedoch verpönt, stehen die fliegenden Gesellen doch im Verdacht, einen Palmzweig im Gefieder zu bergen, den zu überreichen ihr höchster und friedenstiftender Auftrag sei.
Selber friedlich sieht man die kregen Gestalten selten im Stadtbild. Drum nahm ich es als gutes Omen, auf dem sommerlich klebrigen Pflaster Lissabons einem wie sanft schlafenden Exemplar zu begegnen - dem alles Leben zwar entwichen, Melancholie und Versprechen aber um so fürsorglicher um die Flügel gelegt war. Aus der Hauptstadt der Saudade wehte ein stiller Gruß.