They will see the reason
Why we can't go on
(Sylvan, "We Don't Belong")*
Einem wunderbaren französischen Film zufolge liegt das Glück in der Wiese. Für den ausgezehrten deutschen Großstädter mag es auch einfach in der Vorstadt liegen, abseits womöglich der breiten Straßen, kleinen Freiheiten und großen Hoffnungen. Mir jedenfalls können ferne Sunde, mythische Schlünde und tiefe exotische Gründe gern gestohlen bleiben, gilt es doch vor grauer Städte Mauern eine Welt zu entdecken, die einem mehr eisige Wahrheit entgegenzuschleudern vermag als ein isländischer Geysir an heißer Naturgewalt. Zu pathetisch? Ach.
Wie wäre es mit wollstrumpffeuchter Tristesse und einer unerträglichen Beschaulichkeit, die schärfer schneidet als ein Blatt Papier - und ältere Bewohner hinter zurückgestutzte Rhododendronhecken und die jüngeren hinter die Lärmschutzwälle ihrer MP3-Player treibt?
Kaum ausgedacht, hielt es mich länger nicht zurück, einen Exkurs zu wagen in den Wilden Westen Hamburgs. Recht weit dort bei Sonnenuntergang liegt das schöne Städtchen Wedel, ein weltoffener Flecken mit 32000 Einwohnern und mittelalterlicher Ochsenmarkttradition.
Die Innenstadt zeigt fröhlich dekorierte Spielhallen, mit "top modisch" werbende Dessous-Läden (die Wedeler Frau ist auch untendrunter auf sich bedacht), auffällig viele Filialen von Geldinstituten und Immobilienmaklern, den üblichen gruselig-tristen Lädchenmix der Vorstädte aus Spiegelglas, korrodierten Metallfassaden und einer beschaulich altertümlichen Putzigkeit. Wedel hat Geschichte und der "Roland" legt davon Zeugnis ab. Die etwas trutzig geratene Statue mit Goldhelm dominiert den kleinen Marktplatz und irritiert den durchreisenden Besucher. Dieser Roland nämlich, so fällt auf, hat zwischen den Beinen einen ganz schön dicken, wie sagt man?, Beutel.
Wer hat, der hat, denkt sich vielleicht auch die Freiwillige Feuerwehr, deren moderne Wache von 1971 man auf dem Weg hinunter an die Elbe passiert. Die wird als Inhaberin "der längsten Leiter Wedels" gepriesen, wenn man der Webseite des Ortes glauben darf.
Mit solchen Primärmerkmalen aber will man sich nicht lange aufhalten, gilt es doch, große Pötte zu bewinken. Das Ziel heißt Schiffsbegrüßungsanlage, einer der ertragreichsten Geschäftsideen der Gastronomie, seit Erfindung des reservierungsfreien Schankstüberls. Unten am Fluß nämlich beschallt eine große Lautsprecheranlage noch größere Schiffe auf dem Weg von und nach Hamburg mit frischem Seemannsgruß und der passenden Nationalhymne. Dies beschränkt sich heutzutage zwar meist auf die aus Panama und Liberia, aber bekanntlich liegt auch in regelmäßiger Wiederholung ein gewisser Reiz. Für den, der es mag.
Währenddessen sitzen auf der kleinen Promenade oder direkt am Fährhaus neunmalkluge Blogger Rentner und fachsimpeln über Bruttoregistertonnen, Handelsbeziehungen und die Weltläufte. Es scheint fast wie Urlaub, schließlich ist die große weite Welt zu Gast - so wie man selbst bei den nur scheinbar desinteressiert wirkenden Seevögeln, die aus den Augenwinkeln aufmerksam meine Käsebrote beobachten. Es sind alles Freunde, das merke ich gleich.
Der Rückweg führt am Graf Luckner Haus vorbei. Eine heimelige Ruhestatt für alte Seeteufel, die nah am Wasser bleiben wollen. Ach Wedel, wo "Elbe-Döner" locken, Emo-Mädchen den Kopf noch ein Stück gesenkter tragen, du bist ungeheuer - Gott schütze diese Stadt, vor Not und Feuer, Krieg und Steuer.
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>>> *Sylvan Masons Blog und ihre Erinnerung an "We Don't Belong", einen der mitreißend-düstersten und erstaunlichsten Pop-Songs der Sixties.
meine oma war jüngst auch in wedel , im kreise ihrer freundinnen, von denen die älteste natürlich das auto der kleinen reisegesellschaft steuerte.
das nächste mal, wenn die s bahn wedel sagt, bleib ich einfach sitzen und seh mir das mal an
Trotzdem freuten wir uns natürlich.