Ist auch schon über zehn Jahre her, als die Modefotografie, angeregt womöglich durch die Bildwelten einer Nan Goldin oder eines Wolfgang Tillmans, mit dem Heroin chic eine Welle lostrat, die eifrig aus dem häßlichen Fundus einer reichhaltigen Gossenmetaphorik sich bediente, während die Protagonisten zumindestens noch vorgaben, Evian als einziges Stimulans an ihren Körper zu lassen. Kokett also, Fake, und immer schon zweifelhaft, was das "Ausbeuten" von oben und das "Nachahmen" von unten anging, aber das ist halt das Los jeder noch so schäbigen Subkultur. Blogger werden das auch noch erleben. Demnächst dann auf den Catwalks von Mailand und Paris.
Zehn Jahre später, Kate Moss ist immer noch dabei, inszeniert die Mode endgültig ihre eigene Welt, statt mit grobem Rechen die Straßen nach dem shocking moment abzugrasen. Die Spirale hat sich weiter gedreht, nun sind es die Eskapaden der Models, die der Inszenierung die Themen vorgeben, selbstreferentiell, meta-metaphorisch kurz vor dem Umkippen aus der selbstverschuldeten Langeweile wie es den meisten abgekaspelten Welten droht. Blogger werden das auch noch erleben.
Erstmals ist der Zusammenbruch schick, die Klinik noch schicker, und das gefallene Sternchen soll als neuer, besserer Mensch wiedergeboren werden. Die Medien ersetzen den Beichtstuhl und die Anstalt das Purgatorium oder zehn Ave Marias, je nachdem. Der Mainstream-Erfolg einer Amy Winehouse mit "Rehab" ist nur der bescheidene Soundtrack, und Mode wäre nicht der unbekümmerte Spiegel, würde sie den selbstgeschaffenen Trend nicht gleich wieder um- und zurückdeuten. Steven Meisel, Hausfotograf der Vogue, dessen Werk in meinen Augen zwischen haarscharf genial und Krach-vor-die-Wand oszilliert, hat für die italienische Vogue eine Strecke abgeliefert, die alles zugleich ist: zitatreiches Spiel, lustige Parodie und zeichenreiche Referenz. Der Rehab-Chic ist gleichzeitig oberflächlich und dumm, im Grunde ein zynisch bis bissiger Kommentar zu den off stage-Fotos von Britney, Paris, Kate & Co., die sich allen in den letzten Monaten ins Hirn gebrannt haben. Das Spiel mit dem Spiel der Selbst-Inszenierung, der höschenlose Ausflug hinter Glas und Gitter als folgenlose Fummelparade und weiterer Ausverkauf. Blogger werden das auch noch erleben.
Die Fotos sind ein starkes Stück, das vorerst letzte Aufbäumen postmoderner Zwinker-Ironie. Morbide sexy allemal. Und gelacht habe ich schon.
via Foto Decadent
Blogger werden das auch noch erleben.
Herr Meisel kann fotografieren, und die Stimmung und das Licht zu zaubern ist handwerklich eine feine Sache. Meisterhaft. Aber wozu? Was soll das, ausser verkauft zu werden an die Modetussen-Fütterungsautomaten?
PS: Physische Belastung des Fotografen? Haben Sie ein Schwiele am rechten Zeigefinger, vorne an der Kuppe?
:-)
(Die psychische Belastung darf man ebenfalls nicht unterschätzen, bei dem ganzen Gequatsche und Betüddeln unterschiedlichster Leute am Set.)
Z.Zt. sieht der staunende Laie ja eher eine "androgyne" Darstellung, die irgendwie am "Beuteschema" der meisten weiblichen/männlichen Normalos vorbeigeht.
Wenn Mode als "Spiegel der Gesellschaft" gilt, dann wird die Modefotografie wohl selten wirklich "originell" sein. In der Tat bedient sich Meisel einer gewissen, gut tradierten "Irrenfolklore" - "Einer flog übers Kuckucksnest" läßt grüßen (Mitte August läuft übrigens noch mal "Girl, Interrupted" im Fernsehen) -, inklusive abgeranztem, morbiden Charme des Interieurs. Schade, er hat Lederriemen und Hinweise auf Elektroschock vergessen.
Auf der einen Ebene soll das wohl "verrückten", jugendlichen Überschwang suggerieren - schau, wir hatten eine irre gute Zeit! Da wird es tatsächlich flach und dumm (auch wenn ich nach wie vor Anorexie als größtes Problem dieser Branche halte). Auf der anderen Seite, und je länger ich mir diese Bilder anschaue, desto sicherer bin ich mir, ist es eine bloße (Selbst-)Parodie der engbegrenzten Zone der Hochglanzwelt. Wie Sie sagen, bleibt es "in der Familie". Ich behaupte mal, daß unter den Lesern (übrigens auch dieses Blogs) der Vogue ein überdurchschnittlicher Anteil von Leuten mit Therapieerfahrung steckt - und ich schätze, die werden Realität und diese Fiktion, vielleicht mit grimmigem Humor, aber eben doch unterscheiden können. Wirklich "entsetzten" und verstören lassen sich meist nur Außenstehende, die fürchten, eines Tages selbst "zum Fall" zu werden. Die werden aber vermutlich aus selbigem Grund auch kein Praktikum machen wollen.
Wie gesagt, ich glaube, wirklich "böse" in der Hinsicht ist die "Mode" der LindsayBritneys, die Klinik mit dem Beichtstuhl zu verwechseln. Reinhüpfen, raushüpfen, Buße getan, weitermachen, die Story vermarkten, durch Talkshows tingeln. Insofern sehe ich Meisels Strecke als abwertenden Kommentar jenseits irgendeiner politischen Korrektheit: Ihr seid doch alle bekloppt. Vielleicht nimmt er sich selbst nicht aus, aber er läßt sich leider nicht interviewen.
Grundsätzlich bin ich aber völlig d'accord mit Ihnen.
Und "Mode als Spiegel der Gesellschat"...? Ach, ach, das hätten die exozentrischen Dumpfbacken wohl gerne. Jede Gesellschaft kriegt die Mode, die sie verdient, aber spiegeln tut sich darin nur ein kleiner, kleiner Teil, hoffe ich.
Dass unter den Lesern dieses Blogs und der Vogue viele Therapieerfahrene sind, bezweifel ich nicht. Aber zwischen Therapieerfahrung mit ein paar Packungen Fluvoxamin und der Erfahrung in einem Doppelzimmer auf einer Akutstation für Psychiatrie ist schon ein Unterschied. Und da waren sicher die wenigsten.
Aber wie gesagt, ich will hier nicht als Rächer der entrechteten Drehtürpatienten auftreten. Fotostrecken mit folklorebunten Jurten in der Steppe und dem obligatorischen zahnlosen Alten mit dem interessanten wettergegerbten Gesicht neben der 80 cm größeren blonden Schönheit finde ich genauso zum kotzen.
schlummert hinter ihrer scharfsinnigen Intellektualität irgendeine tumbe geilheit, die etwas zeigt und thematisiert, das aus banalitätsgründen
ansonsten -fotolos- unter den Tisch fiele?
fragt dorn-
[] Nein.
[] Vielleicht.
Ehrlich gesagt, verstehe ich die Frage nicht. (Ist halt mit der "Intellektualität" nicht so weit her.) Gegen Geilheit habe ich hingegen nix und banal finde ich die Fotos auch nicht.
Im Gegenteil.
0 Non.
0 Maybe...
(Sie Computerkünstler, Sie! Hätte auch gern so ein eckiges 'O')
Ehrlich gesagt , verstehe ich die Antwort nicht (ist halt mit ihrer "Metrosexualität" nicht so weit wech"). Gegen Gleichheit habe ich hingegen nix Passendes und anal finde ich die Fotos auch nicht.
Im Modeabteil.
(ansonsten ist doch hier alles sehr anregend!)
Sie ahnen vieleicht, dass sie süß sind (für Frauen, barbusig, italiano, schön, nicht lange aufhalten, vor langer Zeit, viele schöne Sachen, Vogue...)
falls da Wein 'drin ist: weinen und rotwerden ist menschenrecht!
Beleidigung: nee, also nich von hier! (nsfw)
bitte schlafe gut, kid37...