Vom Grunde meiner Augen
A G P H E
Der Besuch bei meinem Augenarzt ist mir ein jährliches Ritual, dessen Liturgie einer Taufe gleicht. Ich betrete ein abgedunkeltes Wartezimmer, in dem merkwürdige Gestalten sitzen mit allerhand optischem Gerät im Gesicht, Brillen mit verstellbaren Schrauben, mit Mull verbundene Augen, unter denen langsam eine gelbliche Flüssigkeit sickert. Ringsherum stehen Kartons, postfertig verpackt. Brillen für Afrika? Exzisierte Augäpfel? Auch scheint mein Arzt altes Gerät zu sammeln, neben abgerundeten 60er-Jahre-Arztschränken aus Metall steht allerhand technisches Gewerk, dessen wahre Bedeutung zu ergründen mir das ophtalmologische Wissen fehlt.
Dann heißt es schauen, Augen abdecken und auf eine gegenüberliegende Wand starren. Mein Vater erzählte neulich begeistert von seiner computergesteuerten Sehkraftvermessung - Zeichen und Schriften in die Luft projiziert, dreidimensionale Modelle, die zucken und leuchten und sich rotierend um den Kopf bewegen.
Mein Augenarzt ist anders. An der Wand rate ich Zahlen, 6 oder 8 in Vier-Punkt-Schrift. Dann soll ich lesen, die Assistentin hält mir eine vergilbte Textschablone hin: Vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir die golden scheinende Prairie und beschlossen, ein Lagerfeuer zu errichten, ehe die Nacht...
Am Ende ist es mir ein Schwindel. Mit abnorm geweiteten Pupillen, die Augen aufgerissen, ein kulleräugiges junges Reh, trete ich hinaus auf die Straße. Gleißendes Licht blendet mich, Schmerz fährt wie ein silbernes Messser in meine Augen. Neugeboren, aber blind. Ein torkelnder Großpupillenmann (ein Wachmann schüttelt den Kopf), für einen Moment sehe ich die sonst unsichtbaren Dämonen der Städte, quallenartige Geister, die sich an langen Fäden durch die Straßen hangeln. Mein Schädel pocht, ich flüchte mich hinab in die U-Bahn, angenehme Kühle empfängt mich und angenehmere Dunkelheit auch. Aus der Tunnelröhre flackert ein Licht, ein leises Rumpeln walzt sich näher heran. Auf dem Bahnsteig eine merkwürdige Szene, ein fantastischer Tanz.
Was blieb, ist die Erinnerung: Vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir die golden scheinende Prairie und beschlossen, ein Lagerfeuer zu errichten, ehe die Nacht...
>>> Webseite von Lisa Bufano | Interview mit Vera Little |
Vera Little im Hermetischen Café.
(Die Links dort sind leider nicht mehr aktiv.)
Ein wunderbarer Beitrag! Merci.
ach, herr kid, da möchte man mit. schon als kind habe ich mir sehnlichst gewünscht, brillenträgerin zu sein. (man kann sie vergessen, verlegen, unabsichtlich ...) aber - nichts: wie ein adler stürze ich auch jetzt, auch hier, scharfäugig durch wortschluchten, gleite leichten auges über jegliche schriftgrössen, entschlüssle wie nichts ineinander verschlungenes. ich fürchte, mir ist nicht zu helfen?
Geduld, nur Geduld. Ich warte da auch seit Jahren drauf. Nun könnte es langsam soweit sein. Ich erkenne zwar weiterhin alles, aber manchmal habe ich den Verdacht, ich müsse dafür länger fokussieren als früher...
hat sie noch keine derart fokussierte dame in die schranken gewiesen? sie sehen, schon beginnt die gefahr. das abenteuer...
Frau Calla, Sie könnten sich regelmäßig diese Tropfen geben und Augenhintergrund und -innendruck kontrollieren lassen. Dann tapsen Sie auch hilfebedürftig über die Straße - und wer weiß, welches galante Abenteuer Sie dann erwartet...
die firefox-funktionen strg+ und strg- sind aber bekannt, oder?
Aber ich brauche eine Lupe, die Tasten zu finden!
Das ist ein interessantes Interview mit Frau little. ="We typed 'amputee' and 'sex' into a search engine and eventually found a picture of a woman masturbating with a coke bottle". Auf so was muss man erstmal kommen. Auf beides. Schade, dass die anderen linx nicht mehr gehen, aber irgendetwas klappt ja immer nicht.
+ Ich mag ja Menschen, die im Winter mit Brille auf einen Raum vs. ne Kneipe betreten und nix sehen, weil: alles beschlagen. Dann wird getastet, gewischt, Augen zusammengekniffen und gesoiftzt. Leider geht der Trend hier ja auch bergab. Stichwort: Kontaktlinsen.
Ich hatte das erst gar nicht kapiert, daß es sich bei beiden Künstlerinnen um dieselbe Person handelt. Erst als ich die Biografie las, stutzte ich. Schade, die beiden Projektseiten von Vera Little waren sehr schön. Derzeit scheint sie sich ja hauptsächlich für Tanz und Perfomances zu interessieren.
Vor ein paar Tagen, beim Nachtportier war's, habe ich mich gefragt, ob eigentlich noch wer Monokel trägt. Wenn ich noch ein bißchen faltiger bin, wäre das vielleicht was für mich.
... könntest Du bitte den Namen/Titel Deines Blogs ändern ?
Jedesmal, wenn ich ihn auf der Blogger.de-Seite sehe, lese ich zunächst hermeneutisches Café. Das ist anstregend.
Danke !
Ich kann Ihnen meinen Augenarzt empfehlen.
Verschwommene Blicke, rasierklingenscharfe Worte. Ich war lange nicht mehr beim Augenarzt, erinnere mich aber mit Grausen zurück an die vernebelten, kopfverschmerzten Stunden, die mich verwirrt umherirren ließen, nachdem mir der Arzt Pupillenweitungstropfen auf die Netzhaut getröpfelt hat...
Das erinnert mich zutiefst an den vergangenen Februar, als ich einmal in der Woche getropft und fokussiert wurde, um dann am Ende halbblind in einem OP-Saal zu verschwinden und für die ersten Tage blind wieder herauszukommen.
Aaaah. Das ist ja bunuelesques Chien Andalou für den Eigenbedarf. Keine schöne Vorstellung.
ganz schönes auge
Ach was!! … Sie … - ?! … Sie …., Sie können mir nichts vormachen. Nich'ma'n X für'n U. Mensch, hör'n'Se doch auf, Herr Kid! Ich weiß, dass hinter jedem Ihrer Zeichen sich ein tiefster Sinn verbürgt. So auch hinter dieser Leseübung zur Sehschärfenbestimmung. AGAPE & Abendmahlen wollen Sie sandmannen in katarakte Augen streuen & hab'n's wieder geschickt versteckt. Sie … Sie prosaroter RilkePanther, der hin an Staben schwarzwärz tigert. Sie Georg Düsterhenn aus der Düsternstraße im Hanse-Viertel, gleich neben der Arbeitsgemeinschaft Philosophischer Editionen (AGphE).
Ich stelle dieses Wochenende fest, von Agape allein kann der Mensch auch nicht leben. Ich glaube, ich muß bald mal umziehen, raus aus dieser hanseatischen Starre.