Auf der Flucht

...and therefore never send to know
for whom the bell tolls; it tolls for thee.

(John Donne, "Meditation XVII", 1624.)

My home is my castle, sagt der Brite, und ich muß nicht meine schottischen Wurzeln bemühen, um aus vollstem Herzen zuzustimmen. Das Heim als Fluchtburg - Tür zu, Bosheit draußen, Klappe zu, Affe tot - ist mir wichtiger denn was. Wenn mit sattem Geräusch drei Panzerriegel über der Tür einrasten, weiß ich mich angekommen an einem Ort, an dem ich nicht mit dem Rücken zur Wand umherschleichen muß, wo Hunger, Harm und Haderlumpen und überdies auch Häscher der Fiskalbehörde mich nicht finden werden.

Als ich vor über drei Jahren hierherzog, war es wie das Aufatmen nach einer langen Flucht. Wo ich zuvor gewohnt, am Ende bloß gehaust hatte, war ein Ort, der mir von vorneherein mit muffigem Karma beladen schien. Vielleicht lag es daran, daß bald schon merkwürdige Träume sich einstellten, in denen Wörter und Sätze wie mit Blut geschrieben an den Wänden erschienen, um bald darauf wieder zu verschwinden. In denen nachts die Todesfee in den Bäumen schrie, manchmal wie vor meinem Zimmer, an dessen Türklinke wild gerüttelt wurde.

Ein langer, böser Traum. Ein kranker Traum. Einer, der mich hinabzog in einen Mælstrom aus Hohn und Gewalt, von der schwache Narben als gut sichtbare Merkwürdigkeit blieben, so als sei alles gar kein Traum gewesen, sondern bloß eine andere Wirklichkeit.

Ich übertreibe nur milde, wenn ich behaupte, daß diese Wohnung mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat. In einem der ödesten Teile der Stadt entpuppte sich ein kleines Idyll, lichtdurchflutet, genau auf mich zugeschnitten, immer warm (meine Erfahrung: Stacheldraht wärmt nicht, Südseite und Heizung sind besser), mit einem Raum für die Dunkelkammer und einem schlicht gefliesten, großzügigen klinischen Reinraum Bad, in dem ich morgens sogar unbefangen meinen bleichen Körper entblößen mochte.



Ich übertreibe noch weniger, wenn ich behaupte, die direkte Lage am Wasser ersparte mir einen Haufen Therapiestunden. Auch wenn ich in manchen Nächten trunken auf dem Vordach hockte und versuchte, die Zeichen zu lesen, die sich auf dem schwarzen Wasser bildeten. Aber dann hatte ich ja ein Blog, das ich nicht im Stich lassen durfte und das ich morgens leicht schuldbewußt wieder sauberwischte, wenn ich zuviel Rotz und salziges Wasser hineingeträufelt hatte.

Natürlich war mir klar, wie fragil die Idylle war. Wie bei allen durchaus liebevollen Beziehungen galt, es ist nicht meins, es ist nur geliehen und wir sind alle nur auf Zeit an diesem Ort oder jenem. Und so soll man tatsächlich nicht fragen, für wen das Glöcklein schlägt. Heute morgen meldete es der Depeschendienst: Die Besitzer dieses Luftschlosses, dieses Adlerhorsts vier Stockwerke hoch, planen den Verkauf.

Und so warm kann keine Fußbodenheizung sein, daß mich nicht ein kalter Hauch, nicht von Verfall, aber von Eigenbedarf erzittern machte. Wer wird die Bude wollen? Ein amerikanischer Immobilienmagnat? Ein zartes Mütterlein? Eine Blonde, frisch vom Schlagerproduzenten abgefunden? Was Kyrill mir ließ, reißen Heuschrecken mir über dem Kopfe weg.

Pünktlich setzte heute der Winter ein. Es wird kalt werden für uns Unbehauste, furchtbar kalt. Der Sommer war sehr groß. Doch wer im Herbst kein Haus baute, wird nun lange den Immobilienteil studier'n.

Homestory | 22:50h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frau klugscheisser - Donnerstag, 8. Februar 2007, 23:36
Da heißt es nun das Schicksal am Schlafittel packen und gut mitmischen. Wäre doch gelacht, wenn Sie keine reiche Alte wohlhabende Mäzenin unter Zurhilfenahme Ihres morbiden männlichen Charmes für dieses Objekt gewinnen könnten. Ich traue Ihnen da jede Menge zu...

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 11:04
Ja, aber die will dann womöglich selbst einziehen. Und selbst kleine Frauen wie, lassen Sie uns ein willkürliches Beispiel nehmen, Dita von Teese, die - frisch zu Hause ausgezogen - womöglich eine neue Bleibe sucht, hat Unmengen von Gepäck dabei!

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neo-bazi - Freitag, 9. Februar 2007, 09:08
Drehen Sie doch mal ein bißchen an der Flasche. Madeira?

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 11:05
Wenn nicht gerade verlorene Ladung durch den Kanal dümpelt, komme ich an feinere Sachen nicht heran. Ich schätze, das war irgendsoein Italiener.

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neo-bazi - Freitag, 9. Februar 2007, 15:46
Ich dachte nur wegen des lütten Glases an Portwein oder Sherry.

Ich hätte da noch so'n Tipp für Sie. Sie wissen ja, wer den Schaden hat ...

(Draufgekommen bin ich nur wegen des Bildhintergrundes)

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 17:42
Bei meinen Werftarbeiterfingern hält kein richtiges Rotweinglas lange. Im Grunde gehört bei mir alles ins Wodkaglas.

So eine Gartenparzelle wäre natürlich auch toll - Bootsanleger inklusive. Ein Stück weiter gibt es eine Insel, auf der sich nur Kleingärten befinden - mit zum Teil zweistöckigen, festgemauerten Häuschen!

Das Beste wäre sicherlich, mich wie Captain Jack Sparrow zu kleiden, dieses Boot zu entern und fortan die Kanäle in Hamburg unsicher zu machen. Als erstes würde ich diese Touristenbarkassen ins Visier nehmen.

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kaltmamsell - Freitag, 9. Februar 2007, 21:37
Das ist, mit Verlaub (oder ohne), ein viktorianisches Weinglas und damit einhundert Prozent passend in des kids Händen.

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thenoise - Freitag, 9. Februar 2007, 09:42
Ach Herr Kid,
Wenn es so ist, wie es zu sein scheint, und die Aussicht legt das auch für Aussenstehende nahe, würde ich mich doch gleich nach dem Kaufpreis erkundigen. Und wozu eine Mäzenin, die bestehenden Mieter helfen ja beim Abzahlen des Kredits mit.

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 11:09
Es wird nur meine Wohnung verkauft, die haben hier alle verschiedene Eigentümer. Das nutzt also nichts, hier mit Fremden enger zusammenrücken zu wollen. Aber spaßeshalber werde ich mich nach dem Preis erkundigen. Vielleicht kann ich den Kredit absingen. Man ist in solchen Lagen irgendwie ja doch sehr allein, aber dann singt man halt was lauter.

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frau stella - Freitag, 9. Februar 2007, 11:38
Werter Herr Kid, wenn sie einen unbefristeten Mietvertrag haben und die Wohnung erst jetzt in eine Eigentumswohnung umgewandelt wird, kann sie in den nächsten 10 Jahren, niemand aus dieser Wohnung rauskriegen. Ich habe das selber erlebt. Vor gut 2 Jahren wohnte ich noch in meinem venedischen heruntergekommenen Stadtpallais, welches ein paar Jahre zuvor von irgendeinem Schnösel käuflich erworben wurde, um dort allen Charme zu zerstören sanieren und selber zu residieren können. Er musste mich herauskaufen :-) , um einziehen zu können.

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lady.death1 - Freitag, 9. Februar 2007, 11:51
So schnell schießen die Preußen nicht.

Da gibts trotzdem Möglichkeiten..
Wenn auch recht unnette.
Schlau machen ;)

Kannst Du die Wohnung nicht kaufen?
Die Kredite über Bausparkassen sind doch bestens -
meist günstiger als Miete ...

Wenn alle Stricke reissen..
ich hab auch noch ein dunkles Kämmerlein für Dich ;)

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 12:40
Hehe, Blogger in residence - "Wir haben da noch so einen Typen in der Garage wohnen, Blogger oder so..." Bei euch ist aber das Meer so weit ;-)

Frau Stella, danke für den Hinweis. Ich muß mich noch ein wenig schlau machen, denke aber, daß da nicht viel zu machen ist. Der Vertrag ist zwar unbefristet, die Wohnung war aber immer schon eine Eigentumswohnung - ich bin sozusagen der, der den Kredit abbezahlt. Muß man mal abwarten, wer hier was kauft und wofür.

Ich fühle mich aber schon durch die Vorstellung bedroht, daß hier demnächst fremde Menschen womöglich über Wochen und Monate hinweg mit Maßband bewaffnet durch meine Räume stapfen, meine Porno Kunstsammlung begaffen, Kommentare abgeben ("hatte ich auch mal") und allgemein unerwünschtes Karma hinterlassen. Das alles gibt mir das Gefühl, auf gepackten Kisten zu sitzen und zu spüren: Das ist nicht mehr meins.

Mein diffuser Plan sah eigentlich vor, in zwei, drei Jahren auszuziehen, je nachdem wie sich meine Auftragslage und andere Dinge entwickeln. Hamburg ist dann vielleicht gar nicht mehr das Thema. Bis dahin eventuell eine "Zwischenlösung" finden zu müssen, behagt mir gar nicht.

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schluesselkind - Freitag, 9. Februar 2007, 12:46
Wir könnten für Sie sammeln, wenn Ihnen das nicht zu peinlich ist. Stilecht im Virtuellen natürlich, "eine Million Pixel für Herrn Kid", etwas in der Art. "Erklicken Sie einen Quadratzentimeter Lebensraum für Geringeltes."

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c17h19no3 - Freitag, 9. Februar 2007, 13:07
ich glaube, in hh muss man sehr froh sein, wenn man überhaupt mal eine wohnung hat. wir haben auch schon überlegt, ob miete oder eigentum (damit sich solche fälle vermeiden ließen). die mieten bereiten mir sowieso ein kleines unbehagliches magensausen - in hh kostet die hälfte des lebensraums, den ich hier habe, einen ganzes hunni mehr.
aber vorerst suchenwajama eine übergangswohnung, so für 1,5 periodisch anwesende personen...

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frau stella - Freitag, 9. Februar 2007, 15:38
werter Herr Kid, wenn die Wohnung schon Eigentumswohnung war, als sie einzogen, können die neuen potenziellen Käufer, so weit ich weiss, Eigenbedarf anmelden und ihnen kündigen. Den Eigenbedarf müssen sie aber beweisen!
Eine gute Adresse, wo man sich Hilfe und Beratung holen kann ist übrigens Mieter helfen Mieter.
Nichts desto trotz kann ich gut nachvollziehen, wie bedroht sie sich jetzt fühlen müssen.

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fishy_ - Freitag, 9. Februar 2007, 16:51
Vertreibung aus dem Paradies... Das schlechte Gefühl, das fremde Eindringlinge (vorallem Handwerker) mitbringen und hinterlassen kenne ich zu gut.
Bald werde auch ich die Kündigung einreichen und dann wird die Zeit der Besichtigungstermine anbrechen. Mir graust so sehr davor. Dies scheint das Jahr des Umzugs zu sein.

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 17:36
@ Frau Schlüsselkind: Aber nachher will mich jeder besuchen, dann werde ich wieder unruhig ;-) Super Idee aber grundsätzlich. Vielleicht kann ich mein Blog auch an einen Medienkonzern verkaufen. Eure Nutzerdaten sind natürlich sicher!

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blue sky - Freitag, 9. Februar 2007, 13:00
Wer weiß, wofür es gut ist und was jetzt Tolles auf Sie bla bla Die Krähen und Enten. Dieser Ausblick. Jammerschade.

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maz - Freitag, 9. Februar 2007, 14:26
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin...
Wer zirpt tagein, tagaus, so wunderbar, dem gönnen die Wichser dieser Welt kaum das bisschen Glück...
Ich hatte mich schon mal in dieses Photo, in diesen unglaublichen Ausblick verliebt.
Es tut mir Leid.

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 17:34
Der Ausblick ist wirklich toll - vor allem, wenn man weiß, daß die meisten Hamburger keinen abgestorbenen Fuß in diesen Stadtteil setzen würden. Ich bin auch verliebt und kenne da draußen jede Ente mit Namen.

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mark793 - Freitag, 9. Februar 2007, 20:00
Das wird dann vielleicht
das In-Viertel von morgen oder übermorgen. Meine Schwiegeroma lebte in Ottensen, und als meine Frau noch ein Kind war, galt diese Gegend als to-ta-le no-go-area. Jetzt kriegen Sie da nen Mega-Fön vor lauter Angesagtheit. Weiß der Geier warum.

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bomec - Freitag, 9. Februar 2007, 19:51
eine schöne aussicht, herr kid.
man bekommt lust, auf dem fensterbrett zu sitzen, die beine baumeln zu lassen und bei einem glas wein zu beobachten, wie die farbe des wassers sich ändert, wenns dunkel wird.
in manchen lebenslagen braucht man so ein panorama. ich habe einen großen teil des letzten jahres riojatrinkend auf der dachterrasse gesessen, die wolkenformationen über dem montjuic angestarrt und vorbeifliegende möven gezählt. am schwersten fiel mir der wegzug aus barcelona wegen dieser terrasse und der aussicht.
hier in berlin kann ich vom fenster aus auf den kanal gucken und schwäne zählen. ist auch nicht so übel. aber ich sehe lieber wolken als brackwasser. ich vermisse den freien blick nach oben.
vielleicht findest du ja jetzt eine wohnung mit dachterrasse und blick auf möven und himmel. dann können wir ja ab und zu mal für ein stündchen tauschen, zum therapieglotzen.
bestens, bomec

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 23:25
Ja, das ist das Schöne hier: Wolken, Panorama und Wasser. In Berlin geht das auch, das weiß ich. Aber Berlin ist oft frostig.

Sollte ich hier wirklich rausmüssen (noch ist ja alles offen), betreibe ich hier vorher schnell noch ein Bloggertherapiezentrum.

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ladys smock - Freitag, 9. Februar 2007, 22:35
Saturn
scheint Umbruch mit Umzug verwechselt zu haben.
Ein ziemlich heftiger Einstieg!

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 23:27
Sarturn kann sich echt gehackt legen, wenn er so weitermacht. Heute auch in der Fabrik unschöne Gerüchte gehört. Ich werde mich jetzt plutonisch besaufen und fortan vom Flaschenpfand leben.

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ladys smock - Samstag, 10. Februar 2007, 02:17
wishin´and hopin´
wishin´and hopin´
wishin´and hopin´
wishin´and hopin´
wishin´and hopin´

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kid37 - Freitag, 9. Februar 2007, 23:29
Und unser Opa hat tatsächlich den richtigen Tip parat. Toller Film und tolle Musik dazu. Man sollte überhaupt immer ein Stück Horizont in der Tasche behalten. Der größte Schatz.

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