Vor der Zeit

Dann wälzt ein müderer Gedanke sich durch den schmutzigen Schnee heran. Langsam lenken sich wie von alleine die Arbeitsschritte, die Nicht-mehr-Arbeitsschritte, die verschlurften Prekärverhältnis-Schritte aus dem U-Bahnhof hinaus. Das Abschütteln, die Purifikation, die Dekontamination schluckt immer mehr vom Wörtchen "frei". Früher half ein Schulterzucken. Früher half ein Fingerknacken. Früher half oft noch ein Nachtgebet.

Hartung nicht vorüber, haben sie sich tiefer in die Knochen gebohrt: die Mühle, der Staub, das schrille Geräusch der sprühenden Funken. Horcht, horcht, der Eisenmann kehrt heim. Zagt und fürchtet, der schwere Schritt, die klobigen Stiefel, das dunklere Husten, wenn er eine Weile noch unter der schwarzen Türe harrt. Das Auge lahm, die Ohren taub, im Kopf dräut lange vor dem Schlafe schon der Weckruf. Das Plärren der Fabriksirene, weit, weit vor der Zeit.

Homestory | 00:21h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frau stella - Samstag, 27. Januar 2007, 01:23
Das haben sie wieder einmal sehr schön geschrieben, Herr Kid.

Nach der Lektüre habe ich nun auch die nötige Bettschwere, aber der Gedanke daran wieviel Rost dieser Jenige mit nach Hause schleppt, lässt mich doch etwas unruhig werden.

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gorillaschnitzel - Samstag, 27. Januar 2007, 01:40
"Müderer" ist zwar eine "Vergewalrigung" der deutschen Sprache, aber auch eine großartrige Neuschöpfung derselben. In diesem Sinne: Glückwunsch...

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kid37 - Samstag, 27. Januar 2007, 01:53
Nein. Das ist der sogenannte "absolute Komparativ". Den habe ich leider nicht erfunden.

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gorillaschnitzel - Samstag, 27. Januar 2007, 01:55
Schon klar.....aber gibts das im Fall "müde" wirklich?

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kid37 - Samstag, 27. Januar 2007, 01:58
Ich bin müder als Sie. Vor allem an dunkleren Tagen.

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neo-bazi - Samstag, 27. Januar 2007, 06:30
Das Wort zum müden Sonntag oder Arbeiterdichtung in Vollendung.

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ana - Samstag, 27. Januar 2007, 12:43
Ein hervorragender lyrischer Text in zwei Strophen.
Ich habe ihn, um dem Rhythmus der Sprache und dem Klang der Worte intensiver folgen zu können, einige Male laut vorgelesen. ( Für gewöhnlich lese ich hier nur im Kopf und stumm mit. )

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kid37 - Samstag, 27. Januar 2007, 20:34
Diesem aussterbenden Exot kann man vermutlich nur noch mit romantisch verklärendem Expressivkitsch begegnen. Ab und an fragt mich einer, was man so sammeln könne an aktueller Kunst. Vermutlich liegt man nicht falsch, sich auf die neue Genremalerei zu kaprizieren. Ich sehe da einen Markt für den "Röhrenden Arbeiter" - eine sentimentale Erinnerung an eine bald nur noch aus dem Bilderbuch bekannte Spezies. Danke.

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gheist - Freitag, 2. März 2007, 01:31
"Das Plärren der Fabriksirene, weit, weit vor der Zeit."

Find ich auch nach einer Woche+ noch klasse.

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