Die haben wohl gehämmert

Hütten der Kindheit im Herbste sind,
Verfallener Weiler; dunkle Gestalten,
Singende Mütter im Abendwind;
An Fenstern Angelus und Händefalten.

(Georg Trakl, "Gericht". 1914.)

Schummrig, aber schön.

Als ich heute morgen meine Tränenkanäle verödete, um den Tag als gefaßter Mann zu überstehen, fand ich, es sei an der Zeit, mal ein anderes Thema anzuschneiden. Laßt uns also über anderer Leute Häuser sprechen. Immer wieder erstaunlich, was man so beim Renovieren anrichten gestalten kann. In diesem - wirklich nur auf dem schrebbeligen Foto schummrig wirkenden - Haus habe ich einen meiner schönsten Urlaube verbracht. Gerade mal ein paar hundert Meter vom Atlantik entfernt, hoch auf dem Hügel gelegen und von einem angenehm verwilderten Garten umgeben voller Büsche, Tiere und Versprechen. Abends konnte man auf einer kleinen Terrasse sitzen, die nackten Füße auf die noch warmen, verwitterten Steine der kleinen Umrandung legen, die letzte Sonne genießen und Schlangen und anderem Getier zuschauen, wie sie nach Zuflucht suchten.

Das Haus war normalerweise von einer Familie bewohnt; die Fotografien und die Zeichnungen der beiden kleinen Kinder hingen überall an den Wänden. In den langen französischen Sommerferien (En France/les vacances/ce commencent/le premier/Juillet...) räumten sie das Haus leer und enterten mit Kind und Kegel ein Segelboot, mit dem sie ein paar Wochen unterwegs waren. Beneidenswert.

Die kühlen Zimmer waren angefüllt mit kleinen Fundstücken: Treibgut, Steinen, rostiges Metall. Ein paar alte Stücke, Truhen, Schränke - aber nicht zuviel, nichts zu dunkel, nichts zu vollgestopft. Die Küche mit der für die Gegend so typischen verbeulten Pfanne lag in einem Anbau aus Natursteinen. Die Ablagen und Absätze waren mit hübschen pastellfarbenen Fliesen eingefaßt, das schräge Fenster ließ warmes Sommerlicht hinein - da habe ich mit Lust, Liebe und guter Laune so manches wildgewürzte Käsebrot angerichtet. Nachts indes konnte man hoch auf den Speicher schleichen und vom Dachfenster aus das Feuerwerk zum 14. Juli betrachten...

Ein paar Jahre später war ich noch mal in der Nähe, im Nachbarort. Das Haus war inzwischen an Briten verkauft und wurde saniert. Es sollte zu einem reinen Ferienhaus umgestaltet werden. Neulich fand ich beim Stöbern im Netz einen Link. Und mit Wehmut betrachte ich nun die Bilder vom kahlgeschorenen Garten, den sterilen Innenräumen, die man mit Pseudo-Antikkitsch aufhübschen wollte. Flair und Atmosphäre - perdu.

Man möchte sofort losfahren, die 1600 km in einem Stück, und den ganzen Tinnef von den Wänden reißen. Den falschen Putz, den fiesen Teppich, den ganzen Nippes und zusammengekauften Plunder.

Ausfallschritt | 12:17h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
blue sky - Donnerstag, 15. Februar 2007, 12:44
Machen Sie! (Mir wäre ohnehin jeder Grund recht, dorthin zu fahren.)

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fabe - Donnerstag, 15. Februar 2007, 15:02
es sieht halt aus wie briten sich klassischerweise ein lovely coastal house denken. denkt man.

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mouchi - Donnerstag, 15. Februar 2007, 16:06
Eigentlich ist das ganz untypisch für britischen Kitsch, das sähe dann sicher um einiges schlimmer aus.

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kid37 - Donnerstag, 15. Februar 2007, 16:11
So oder so: Ich gründe jetzt die Liga gegen die Pilcherisierung bretonischer Landhäuser.

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diagonale - Donnerstag, 15. Februar 2007, 16:27
Herrje! Ich verstehe nicht, warum man schöne, alte Häuser verschlimmbessern muss. Traurig.

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frau stella - Donnerstag, 15. Februar 2007, 20:19
Pfui Teufel, was haben die dem armen Haus angetan!

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schlotte - Donnerstag, 15. Februar 2007, 20:26
Schlimm,wie man ein Haus versauen kann,wenn man zwar Geld,aber Null Geschmack hat.

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kid37 - Donnerstag, 15. Februar 2007, 22:04
Alles vergeht
Leider habe ich nur weitere Aufnahmen, bei denen nicht klar ist, ob es nun Interieur oder sogenannte Figure studies sind. Die kann ich nicht online stellen, das würde mir einen sportlich unfairen Vorteil vor den Briten verschaffen. Nur soviel: das Haus hatte eine sehr behagliche Atmosphäre - und der zugewachsene Garten war einfach toll.

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saxanasnotizen.blogspot.com - Freitag, 16. Februar 2007, 00:42
Wie sah denn das Bad vorher aus. Der Vorhang neben der Dusche ist doch ganz nett. Aber sonst gefällt mir das erste Bild des Originalhauses schon besser. Das wärs für dich. Man müßte es auf einen Anhänger packenb und neben deinen Fluß stelleb.

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kid37 - Freitag, 16. Februar 2007, 01:08
Ok, lassen Sie uns über französische Installationen reden. Hab ich ja bereits getan, fällt mir ein. Da gab es eine Badewanne und viel Improvisation. Und den blauweißen Nippes hätte ich da auch rausgeworfen. Nun sind englische Installationen ("Mischbatterie? Wofür soll das gut sein, wenn man links eiskaltes und recht brüllend heißes Wasser haben kann?") auch ein beschwingtes Thema, aber hier sieht es ja ganz ordentlich aus. Es ist der Gesamteindruck - und diese, wie nennen die das?, Küche geht gar nicht. Keine Ahnung, wo der gemütliche Anbau hin ist... aber DAS WAR ALLES VIEL SCHÖNER!

Ich glaube, ich baue mir mein eigenes Haus. Notfalls aus den Knochen von Cary Grant, wie es in dem Lied heißt.

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chouette des neiges - Samstag, 17. Februar 2007, 02:22
Quel dommage ... dass das Haus so verändert wurde um einer Vorstellung wie solche Häuser aussehen sollten zu weichen. Viel zu gerade, zu ordentlich ...

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kid37 - Sonntag, 18. Februar 2007, 21:59
Ich sehe ganze Themenparks am Horizont sich aufrichten:

Besuchen Sie das Französische Ferienhaus!
(Wartezeit ab hier: ca. 45 Minuten)

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