...ein Weib dreht ihren Hals auf einem
scharlachfarbenem Tier

Er steht auf, schlurrt durch das Lokal,
die Wollstrümpfe hängen ihm über Bord.
Elend sieht der Mensch aus, gelbblaß,
die klaffenden Linien um den Mund,
die schrecklichen Querfalten über die Stirn.
Er holt sich noch eine Tasse Kaffee
und eine Limonade.

(Alfred Döblin. Berlin Alexanderplatz. 1929)

Auch schon zurück (auf Strümpfen) aus der großen Stadt. Das Biest empfing mich natürlich wie immer mit Regen, Kälte und Abweisung. Und schicksaltrotzenden Fußballfans. Erst sangen die Frankfurter "Zieht den Bayern die Lederhosen aus". Später am Abend sangen allerdings die Bayern "Mer ham noch da Lederhoasn an". Und immer rund um den Bahnhof Zoo. Die armen Kinder dort, was sollen die denken.

Dann aber 1. Mai, schnell ein Arbeiterlied gesungen unter der Dusche, an die jungen Menschen gedacht, die in Kreuzberg grillen und an die älteren, die zur selben Zeit im Internet surfen. (Heute in der FAZ gelesen: "Die komplementäre Redensarten der Industrie, ältere Arbeitnehmer könnten mit dem rasanten Wandel der Wissensgesellschaft nicht mehr Schritt halten, stammen im allgemeinen von Leuten, die älter als fünfzig sind, und sollten entsprechend eingeschätzt werden." - Jürgen Kaube)

Berlin tat dann ganz freundlich (drauf falle ich nicht mehr herein, eigentlich) und lüpfte die Wolkenröcke, um ein paar saftige Sonnenstrahlen kokett hervorzuschieben. Mir zur Freude. Also schnell raus, mich an die Hand begeben und leise und anteilnehmend mit Blogger-Tours ("Da beginnt der Spaß schon auf der Anfahrt") die heimlichen und unheimlichen Tränken und Absackstätten der A-List-Blogger-Schickeria angeschaut. Von "Laß uns mal schön nach Hause geh'n" über "Plüschmutti 3000" und "Mach meinem Kumpel ein Nest" hin zur "Gute Wohnstube", einen Kuchen essen. Überall zaghaft das Baumwollleinentäschchen aufs Trottoir gestellt, umständlich den Fotoapparat herausgewrungen und andächtig mir ein Bildnis gemacht. Zur ehrfurchtsblühenden Erinnerung.

Kuchen also bei "Hier wohnen wir, bis wir 30 39 sind". An den Nebentischen kann man Gesprächen lauschen und dabei wertvolle Tips für sich selbst destillieren. Da erzählt eine ihren zusehends (~hörends) stiller und ungläubiger werdenden Begleitern von dieser Geldanlage. Weil ja "alles nix bringt" und sie doch bald die Wohnung kaufen wolle, habe sie sich mal umgehört. Und dieser seriöse Typ, dieser Immobilienmakler (es gibt Menschen, für die wäre das schon ein Oxymoron), der hätte nun wiederum einen gekannt, Geschäftsmann und gut betucht, der brauchte schnell einen privaten Kredit. (Leider, leider sei der gute Mann nämlich nicht liquide, all sein vieles Geld so feste angelegt, mit Fischerdübeln verschraubt, daß er nun glatt acht Prozent bieten wolle.) Und während man noch denkt, gleich lacht sie laut und ihre Begleiter mit und sagt so was wie "netter Versuch", fährt sie mit unverrückter Miene fort. Bald nämlich bot man ihr sogar zehn Prozent, wenn das Geld nur sofort überbracht würde. Und "natürlich" hätte sie das gemacht, war ja alles ganz seriös und einen Zettel hätten sie auch aufgesetzt, also so einen Vertrag und ob denn - hier ein kurzer nervöser Blick zum Begleiter - private Darlehensgeschäfte hierzulande verboten wären?

Im stillen dachte ich, nun kürz' es schon ab, erzähle die Pointe und laß uns Mitleid schenken. Aber es folgte eine längliche erzählerische Odyssee über vergessene und verschlampte Rückgabetermine, geplatzte Überbringungsversuche, die allesamt plötzlichen Todesfällen in der Familie, Krankheiten oder Motorschäden anderer Art geschuldet waren. Und während bei mir Geduld und Kuchenstück immer kleiner wurden, wartete ich auf das Bekenntnis und die Einsicht, dieses Mein Gott, puta madre, die Kohle ist weg und ich ein Idiot!, und auch die Begleiter rutschten immer peinlicher berührt auf ihren schmalen Sitzen hin und her, starrten mal hierhin, wünschten sich bald dorthin und warteten mit offenem Mund auf das Ende der Geschichte.

"Ja", meinte die Frau. Es hätten sich wohl bald einzelne Unstimmigkeiten gezeigt, glatte Lügen auch, die den mantrisch wiederholten "Geld kommt Dienstag"-Formeln zusehends so etwas wie Glaubwürdigkeit absprachen. Sie hätte mittlerweile Nachforschungen angestellt (Mittlerweile! Nachforschungen! Auf eigene Faust!) und einen Hauch verspürt... Zweifel schlichen sich wohl ein. Jedenfalls, nun wurde eine Meinung erbeten, fragte sie sich, ob sie denn nun noch warten solle, vielleicht doch eine Frist setzen oder... oder einfach mal zur Polizei gehen? Oder, schlimm, lachten die sie am Ende nur aus?

Meine Begleitung, deren längst verdrehte Augen nur durch einen medizinischen Trick wieder anatomisch einigermaßen korrekt in die Höhlen zu bekommen waren, röchelte: "So redet nur eine, die dieses Geld nicht selbst verdient hat." Während ich noch überlegte, mir vielleicht selbst ein wenig Geld von dieser Frau zu leihen. Wenigstens für den Kuchen.

Ausfallschritt | 17:03h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
eins60 - Mittwoch, 3. Mai 2006, 20:15
Puh
Meist verfügen diese Menschen auch noch über ein Talent, ohne jegliche Satzzeichen zu reden, sodass man sie noch nicht eimal mit einem „Weißt Du eigentlich, wo hier die Toiletten sind?" oder sonstigen Ausflüchten unterbrechen kann.

Und doch hat mich der Text dazu angeregt, mich demnächst mal wieder in ein Café zu setzen, um anderen Gesprächen zu lauschen. Manchmal sind sie ja auch ganz spannend.

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ana - Mittwoch, 3. Mai 2006, 20:42
Geld-rat-geber
Lassen Sie sich den Kuchen lieber nach Möglichkeit von der netten Dame spendieren, als dass Sie sich die 2 Euro 50 von ihr leihen! So vermeiden Sie es, vielleicht bald vor der Frage zu stehen, ob Sie entweder ein Kuchenschuldner bleiben oder die letzten Ringelsocken verhökern wollen. ( Geldverleih unter Privatpersonen wird rasch zum Problem. ) Zudem wären 25 Cent Zinsen für die Dame sicher nicht attraktiv. Auch dem Makler, falls Sie ihn einschalten wollten, würde die Kreditvermittlungsprovision ..., obwohl bei Maklern weiß man ja nie. Spendiervermittlungsmakler gibt es meines Wissens noch keine. Vielleicht eine bislang unendeckte berufliche Möglichkeit für die Zukunft.

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frau klugscheisser - Donnerstag, 4. Mai 2006, 11:28
Offtopic: "Mer ham noch da Lederhoasn an" müsste orthographisch korrekt lauten "Mia ham no de Ledahosn o". Ich hoffe, Sie lernen das bis zur nächsten Münchner Bloglesung noch ;o)

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kid37 - Donnerstag, 4. Mai 2006, 15:19
Hauptsache, ich singe da nicht die falschen Fanlieder ab. (Naiv wie ich bin, fragte ich mich in Berlin, ob Werder Bremen auch im Pokalfinale stand, als Schmähgesänge mit "Was ist Grün-Weiß und xxx xxx" erklangen. Bis ich die Einsatzwagen sah.)
Ich übe das mal.

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cabman - Donnerstag, 4. Mai 2006, 11:42
Ha Ha Ha
sehr schöne Geschichte Herr kid und wenn einem solche Leute nicht immer wieder begegnen würden, tja, dann, ...wie sah sie denn aus, die Frau Privatie?

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waschsalon - Donnerstag, 4. Mai 2006, 14:15
schöne gschicht. und ich bewundere (mal wieder) den analytischen scharfsinn deiner begleitungen. deinen natürlich auch.

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kid37 - Donnerstag, 4. Mai 2006, 15:26
Alles was ich weiß, weiß ich von meinen Begleitungen. Ich glaube ja an das Gute im... ach, egal.
Herr Cabman, das war schon eine Nette. Scharfsinnig auch.

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burnster - Donnerstag, 4. Mai 2006, 17:47
Die wahren Bloggötter gehen in die 8mm Bar und hören Joy Division und The Jesus & Mary Chain bei Pernaud und Absinth. Und auf der Leinwand: Kinski würgt Herzog. Kommense doch mal da hin.

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kid37 - Donnerstag, 4. Mai 2006, 22:02
Wenn da keine Geldgeschäfte besprochen werden, bin ich sofort dabei. Super8 oder Normal8? Und darf Suzi 9mm mitkommen?

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burnster - Donnerstag, 4. Mai 2006, 23:01
Da hat keiner Geld. Suzi passt wie die Faust aufs Auge und ich lad Sie auf einen super Drink ein.

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