Kalt, aber nicht so sehr

Another head aches, another heart breaks
I am so much older than I can take
And my affection, well it comes and goes
I need direction to perfection, no no no no

(The Killers, "All The Things That I've Done")

Tief in der Nacht spuckt es mich aus, das rauchige Café, und durch frostige Straßen geht der Weg, der letzte des Abends. Immer zu lang, immer zu weit. In der U-Bahn der Plunder der Nacht: trunkene Jugend, verbrauchte Gesichter, schlafende Schönheiten. Die letzten Versprechen sind bereits vergessen. Das letzte Lied hängt noch in den Köpfen nach. Im fahlen Licht des Wagens indes kein Platz für Gnade. Schäbige Taschen, kaputte Schuhe, ein Rest verstreuter Glitter: Wenn die Nacht in Trümmern liegt, gilt es, das nackte Ich nach Haus' zu bringen. Hungrig kriechen wir noch ein wenig tiefer in die abgewetzten Mäntel.

Ich betrachte die Wimpern, das müde Blau in den Augen des Mädchens gegenüber. Ihren Freund, an dessen Arm sie sich schmiegt, wird sie bald verlassen. Noch weiß sie es nicht. Doch in einer Nacht, die ihm frostiger scheinen wird als diese, wird sie ihm sagen, daß sie nun gehen muß.

Was macht es schon. Die Züge fahren die ganze Nacht. Man muß nur wissen, wo man aussteigen muß. Und wo man bleiben kann.

The Mercy Seat | 06:08h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
pappnase - Sonntag, 15. Januar 2006, 09:58
sie haben ihre bleibe offensichtlich gefunden...

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bartleby - Sonntag, 15. Januar 2006, 12:34
Keiner fährt so sinnleise prosaisch, so aposiopetisch & zugleich katachretisch Nacht-Bahn wie Sie, um endlich ein Gespür für die Anagnoresis der Vergänglichkeit über die Gestalt der blauen, müden Wimperntierchen eines schmiegen Mädchens pikto'Gram im Leser zu erwecken. Wir treiben den Bruder des Todes in den öffentlichen Verkehrsmittel vor uns her?! Wir epiphanisch gelenkten NachtGeister.

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autodidakt - Sonntag, 15. Januar 2006, 13:29
Die Herausforderung besteht darin, wach zu bleiben. Hier in Rom schlafen die Busse und der Fahrer schreibt müde Nachrichten in sein Mobiltelefon, während er durch die leeren Straßen navigiert. Hält er an, dann weißt Du: Du bist gemeint, hier ist Deine Haltestelle. Der Rest der Meute wird aufwachen, wenn der Morgen graut. Sie werden sich die verquollenen Augen reiben, wenn sich die Bustüren hustend öffnen, der Fahrer für einen Morgenkaffee zu seinen Kollegen an den Straßenrand springt und die ersten bangladesischen Rosenverkäufer mit riesigen, in Plastikfolie verpackten Sträußen in die Wagen drängen. Die Anzeigetafeln des Busses springen um. Das "N" verschwindet, der Tagbetrieb wird aufgenommen. Die letzten Schläfer torkeln verkatert aus dem Bus und nehmen die erste Metro nach Hause.

(Ja, es ist nicht schwer, in Nachtbussen einzuschlafen, hier in Rom. Dann pendelt man stundenlang durch die Nacht und niemand weckt einen auf, wenn mal wieder eine Endhaltestelle erreicht ist, der Bus wendet und die gleiche Strecke zurückfährt.)

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kid37 - Montag, 16. Januar 2006, 21:22
Eine Fahrt mit dem Nachtbus durch Rom stelle ich mir natürlich wesentlich abenteuerlicher vor als das gemächliche Ruckeln durch Hamburg. Aber Sie werden natürlich auch nicht ewig um den Trevi-Brunnen gondeln.

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texturmutant - Donnerstag, 19. Januar 2006, 00:41
In Paris bleibt man einfach,
bis die erste Metro wieder
fährt und mischt sich unters arbeitende Volk,
das ebenfalls verschlafen wach ist; selbst ist man nicht
müde, denn man weiß, die Nacht will ihre Stunden
ebenfalls vergessen.

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kid37 - Donnerstag, 19. Januar 2006, 14:22
Gibt es in Paris eigentlich Nachtbusse? Lange Jahre gab es ja in London keine, ich weiß nicht, wie das jetzt ist. Immer ein merkwürdiges Gefühl, wenn sich Metropolen plötzlich so anfühlen wie ein Dorf. Eine der kleinen Köstlichkeiten des Lebens übrigens: Vor den anderen wach sein und ihnen bei der morgendlichen Entfaltung zuschauen. ;-)

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texturmutant - Freitag, 20. Januar 2006, 12:30
Die gibt es. Ein recht dichtes Netz sogar. Das Problem mit diesen Verkehrsmitteln scheint nur zu sein, das sie die Fähigkeit besitzen immer dann loszufahren, wenn man selber noch nicht drinn sitzt.
Ansonsten wäre das eine diskutable Alternative. Die Stadt ist ja Nachts bekanntlich am schönsten.

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20perser - Sonntag, 15. Januar 2006, 13:28
jede menge spass
man muss nur wissen wo man bleiben kann? die pforten der wahrnehmung sagen: keep your eyes on the road, your hands on the wheel - im bungalow hinterm roadhouse gibts noch jede menge spass

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diagonale - Sonntag, 15. Januar 2006, 13:39
Ich weiß nicht ob ich es schön oder beängstigend finden soll: Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die nachts so aufmerksam U-Bahn fahren und unter Umständen auch mich im angetrunkenen/schlaftrunkenen Zustand einmal so beobachten mögen, wie Sie das nun schon wiederholt taten.
Möchte ich so betrachtet werden? Jein.
Will ich es lesen? Ja. Sehr gern.

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mark793 - Sonntag, 15. Januar 2006, 14:06
Ich hab die Räder der U-Bahn richtiggehend rumpeln hören beim Lesen, und mir war, als würde mein Kopf sacht mitwackeln im unregelmäßigen Takt, den das Geschlinger der Waggons im Geleise vorgibt.

Ganz groß, diese fein beobachtete ÖPNV-Miniatur. Da sehe ich mal wieder, was mir so alles entgeht, wenn ich den Heimweg nach solchen Abenden im eigenen Auto antrete. Man muss nur wissen, wo man hinfahren muss. Und wo man einen Parkplatz findet...

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frau klugscheisser - Montag, 16. Januar 2006, 00:16
Bleiben werden wir nirgends können. Immer weiter, immer weiter... ohne Rast. Wenn Tränen den Schnee schmelzen, wird sich neuer langsam darauf senken.

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3und20 - Montag, 16. Januar 2006, 08:57
dazu sag ich mal:

http://3und20.twoday.net/20060103/

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lady.death1 - Montag, 16. Januar 2006, 09:55
..schön, das Du wieder da bist!
Ohne Café am Morgen.. da ist der Tag doch nur halb so schön :)

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phileas - Montag, 16. Januar 2006, 11:02
wenn
von dem, was wir Zivilisation nennen, einmal etwas übrig bleiben sollte und es wert ist übrig zu bleiben, dann so etwas.
Ihre knappe, trockene, desillusionierte, nüchterne, zutiefst sehnsuchtsvolle Bestandsaufnahme.
Man muß wissen, wo man aussteigen muß. Ja. Aber wer weiß das schon?!

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kid37 - Montag, 16. Januar 2006, 12:56
Gemach. Man könnte urteilen, der Nachtbus an sich sei die höhere Errungenschaft ;-)

Ich liebe diese Zeit nach drei Uhr morgens. Wenn die meisten übernächtigten Menschen ihre Filter und Schilde abgelegt haben und das freifließende Lallen aus dem Ur-Ich beginnt. Ist natürlich nicht immer nur schön, was in diesen Stunden die Köpfe aus Schlamm hebt.

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leschroe - Montag, 16. Januar 2006, 13:03
Ich liebe die Verwendung des Wortes indes *hrhr*... und wenn der Nachtbusfahrer einen so lange hinter sich sitzen hatte, dass er sich bereits vor der Endhaltestelle eine Fluppe anzündet, weil er sich allein wähnt...

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modeste - Montag, 16. Januar 2006, 19:28
Ja, diese grenzenlose, falsche Nacht Richtung Morgen, in der alles, was gesagt oder getan wird, unwirklich erscheint, und die Welt im Mondlicht durch die Straßen fließt. Die beste Zeit des Tages.

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moppelchen - Montag, 16. Januar 2006, 23:13
Ich finde es ganz schön kalt gerade. Meine rote Mütze hält meinen Kopf zwar warm, aber es bleibt die Frage, woran man merkt, wann es Zeit ist, zu gehen.

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kid37 - Dienstag, 17. Januar 2006, 00:46
Ein bißchen mehr als eine rote Mütze ist bei diesem Wetter nicht übertrieben. Ein warmer Schal z.B. Ein eigener Stadtplan ist natürlich Gold wert, wenn man nicht immer den Fahrer oder fremde Menschen fragen will.

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