Die Jüngeren können das nicht wissen und werden dieses Gemälde aus dem damals noch frugalen Frühbarock nicht enträtseln können. Ältere erinnern sich. Man machte Besorgungen oder einen Ausflug, bummelte irgendwohin und verweilte dann zum Abschluß in einem sogenannten "Eiscafé" (oder einem anderem Ausschank). Gern mit einer geschätzten Person, sonst halt nur mit dem Eis. Auf dem Bild hier ist das Eis bereits geschmolzen, also - vanitas vanitatem - vergangen, Past Tense oder Retrofutur II: Es wird gewesen sein.
Ein Hinweis des (unbekannten) Malers auf die Pestjahre. Zeit ist begrenzt, man steht irgendwann auf vom Tisch, geht seiner Wege, ist wieder maskiert, vielleicht innerlich vereist, sagt Adieu oder "so long", wie im Mittelalter üblich. Der Betrachter sieht Pokale und plundrige Silberware und fragt sich, ob man da auf dem Tisch nicht gerade noch Pfirsich-Maracuja oder Vanille-Schokolade gesehen hat, einen ausgestreckten toten Fasan und eine Sanduhr (hier als Aschenbecher ausgeführt) dazu. Ein Stundenbuch. Das Bild als Erzählung.
Interessant sind die verrätselten Spuren. Die Dinge, die nicht stimmen, nicht am Platz sind, so die Menschen, die hier fehlen. Ein Löffel akkurat platziert, ein anderer aber auffällig im Becher. Ein sexuelles Symbol vielleicht, sicher eines vom Regelverstoß, eine augenzwinkernde Geste gegen Recht und Ordnung. Man denkt, vielleicht liegt eine Maske unterm Tisch oder ein vergessener Schuh.
Das "Gleichnis vom leeren Becher", so der in der Kunstgeschichte etablierte Titel des unbekannten Meisters, hat die Menschen seit jeher beschäftigt. Es wird verglichen mit großen Werken wie "Der umgestoßene Pokal" oder "Das letzte Brot vom Vortag", ihrerseits von Geheimnissen umrankte Gemälde aus den großen Sammlungen von Fürsten und Kanonikern. In den Sprachgebrauch das Bildnis als Metapher eingegangen von der Flasche, die leer ist. Außer Puste sein, erschöpft, die Beschreibung des Gefühls, daß man für 100 Jahre schlafen möchte. Und dann ein Eis.