Vampir



Der rührige Berliner Avant-Verlag hat zum Ende des Jahres die vierbändige Reihe Vampir herusgebracht (also "Der große Vampir", es gibt ja noch eine entsprechende "kleine Vampir"-Reihe Desmodus, die sich eher an Kinder wendet). Lese ich gerade. Kann man hier zur Probe auch. Ist von Joann Sfar, dessen etwas krakeligen Zeichenstil ich insgesamt gar nicht so sehr mag, dessen Professor Bell-Reihe aber ganz goßartig ist, schon allein, weil ich mich mit der Hauptfigur gut identifizieren kann.

Ferdinand, Schallplattenliebhaber und Turmbewohner, ist in das etwas oberflächliche und flatterhafte Baummädchen verliebt. Deren Beziehung ist so, wie Beziehungen oft halt sind ("Ich habe dich nicht verlassen, nur betrogen. Es hätte gar keine Probleme gegeben, wenn du es nicht erfahren hättest.") - also von unterschiedlichem Verständnis von Wahrheit oder Pflicht, Logik und Benimm geprägt.

Das Baummädchen sucht sich pfff! aus einer Mischung aus Konfliktscheu und Erlebnishunger einen kräftig gebauten Kerl, der grollende Ferdinand neue alte Chansonplatten. Dabei lernt er eine borderlinige oder einfach auch bloß dauerpubertierende Vampirbraut (seit 200 Jahren 17, was will man machen) kennen, die ihn all zu rasch bedrängt und dem nach Ruhe strebenden Vampir zur Plage wird.

Dinge, die passieren, wenn man das Haus verläßt! So möchte ich also empfehlen, lieber daheim zu bleiben, Chansonplatten hören, mit Klebstoff basteln oder besinnliche Geschichten lesen.

(Joann Sfar. Vampir. Berlin: Avant-Verlag, 2013.)

Ex Libris | 16:00h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
gaga - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 21:01
Vampire sind ja nicht so mein Kerngeschäft, insofern eine doppelte Empfehlung, den gestern angelaufenen, sehr poetischen "Only Lovers Left Alive" von Herrn Jarmusch zu gucken. Obwohl Sie den wahrscheinlich schon längst kennen. Aber auf Breitwand dreht sich die Anfangssequenz noch mal so schön. Auch ein schöner Film für Leute, die zwei bis zehn E-Gitarren im Wohnzimmer herumzustehen haben und tolle Ausstattung (im Hermetischen Café geklaut) und Bilder aus Tanger mögen. Ich habe mich gleich wie daheim gefühlt. Das mit dem Blut hätte dann auch Bordeaux sein können, der Vampir-Aspekt war eher insofern wichtig, als man schon alle Zeitalter erlebt hatte, also die beiden Hauptprotagonisten, von Pythagoras über Shakespeare zu youtube. Unerwartet amüsant das Ganze. Aber keine weinerliche Love Story, wie zunächst gedacht-befürchtet. Mich hatte das Plakat sehr angesprochen und bei Jarmusch werde ich immer ein bißchen sentimental. Wegen früher am Tresen. Berlin und Ex und Pop und der ganze Kram.

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kid37 - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 22:01
Berlin und Ex und Pop und der ganze Kram
Da bin ich natürlich im Thema. In Berlin gab es eine sehr hübsche Eröffnung mit Musik der teilnehmenden Musiker (Zola Jesus u.a.) im Anschluß. Ich war eingeladen und hätte Sie mitgenommen, ja, wenn... Ich bin noch ein wenig kinobehindert und wußte auch gar nicht, daß es in Berlin ein Ki... na ja, lassen wir das mal ausnahmsweise. Jedenfalls, wie soll ich sagen, ich freu mich auf die DVD. Denn das liest sich alles ganz erbaulich.

Bei mir gibt es heute was aus Lirac zu Kalb und Wurzelgemüse. Der ist sehr hübsch und bestimmt so gesund wie Blut. Dazu wie immer gute Musik. Der Ferdinand aus dem Buch von Sfar jammert ja gerne so rum ("Ich bin ein depressiver Vampir") und in Fußnoten steht dann drunter: "Morgen geht's wieder". Das erinnert mich an wen, muß nachher mal in den Spiegel schauen. (Aber Vampire sieht man darin ja nicht. Schwierig.) Sehr amüsant. Tilda dürfte mich auch mal anfassen. Aber nicht zu lang, da bin ich genant.

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gaga - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 22:50
Der Film ist aber fast mit ohne Anfassen. Deswegen hat er mir wahrscheinlich auch so gut gefallen. Das hatte gleich etwas Anheimelndes. Nur 1 x sieht man Tilda und ihren Kollegen wie Gott sie schuf. Ein bißchen wie auf dem Leibowitz-Foto von Yoko und John, nur dass unser Vampir-Rocker nicht wie ein Baby die Beine angezogen hat. Tilda sieht für 53 vor allem körperlich sehr frisch aus. Und der Kollege ist ja fast 20 Jahre jünger, was man aber nicht so empfindet. Sie sind jedenfalls beide extrem sophisticated und auf eine herzerwärmende Art cool. Mich erinnerte in dem Film ganz viel an Situationen, die ich selber erlebt habe. Gerade dieses Herumsitzen in schummrigen Räumen mit E-Gitarren auf dem Sofa und einem guten Getränk in der Hand. Ach, es ist schon ein Augenschmaus.

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gaga - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 22:55
P.S. die verlinkte Rezension von Frau R. trifft ganz vieles sehr auf den Punkt, entschieden jedoch muss ich Veto einlegen, wenn ich die folgende Einlassung von ihr lese:

"Vampir Adam (Tom Hiddleston) wohnt in einem mit Musikuntensilien vollgemüllten Haus"

Ich verbitte mir solche Äußerungen. Die Wohnung von Adam ist tipptopp in Schuss, ein mit viel Liebe zum Detail in Perfektion aneinandergereihtes Sammelsurium von Preziosen, wie man sie sich nur wünschen kann. Als könnte man mit "Musikutensilien" einen Müllhaufen verursachen. Adams lauschige Unterkunft ist ein Märchen, ich möchte da zwar nicht dringend saubermachen, aber ihn gerne jeder Zeit zur Mitternachtsstunde besuchen. Wahrscheinlich wohnt Frau R. extrem minimalistisch. Was natürlich auch sehr toll ist, aber einfach nicht zu unserem Vampir-Rockstar passt. Adam hat mit seinem Boudoir alles richtig gemacht und ist in keinster Weise zu rügen.

Bitte den Film dringend im Kino anschauen. Ist einfach effizienter! Verstärkt den Rauschzustand. Ich habe ihn gestern Nachmittag im "International" in Mitte in der Originalfassung mit dt. Untertiteln gesehen. Da waren dann nicht so viele Leute, riesiger Kinossaal aber kultiviertes Publikum, das selbstverständlich mucksmäuschenstill war. Keine Kau- und Raschelgeräusche, zwei Stunden voller Andacht. Ich hatte die Karte ja geschenkt gekriegt und lange hin- und herüberlegt, wo ich mein Nikolausgeschenk investiere. Ich hätte es nicht besser treffen können. Der Wein dazu war auch prima. Gabs auch gratis! Zwei Gläser Silvaner. Als Proviant für zwei Stunden auch ausreichend. Ich meine: toll, dass es jetzt auch Kino in Berlin gibt. Lange mussten wir darauf warten!

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kid37 - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 23:07
Das kann sein, diese Menschen, die in das internet schreiben, haben oft Wohnungen, in denen nur eine einzige Lampe von Eileen Gray ein Utensillo mit einem Apfel drauf beleuchtet. Aus dem Trailer entnehme ich, daß er eine Menge sehr gesuchten Vintage-Recording- und Musikmachkrempel gesammelt hat. Kunststück, bei der Zeit! Andererseits: wieviele Nachtflohmärkte gibt es schon? Bleibt nur *bay-Kleinanzeigen ("Ich kann's aber erst spät abends abholen!"). Lustige Paralellen übrigens: Irgendwann werde ich ja auch so alt wie Frau Swinton sein, nicht so frisch aussehen dabei, aber sicherlich auch nichts gegen 20 Jahre jüngere Partner haben. In diesem Fall möchte ich sogar das Femininum bemühen und von Partnerinnen sprechen. (Da ist mir Frau Swinton bereits wieder voraus.)

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kid37 - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 23:14
Ach, Kino. Toll, daß es da bei Ihnen jetzt auch möglich ist. Das ist eine schöne Sache, werden Sie noch sehen. Ich war das letzte Mal bei Moonrise Kingdom im Kino, das war ein schöner Abend. Begleitung schön, Kino schön, Film schön, Bar anschließend auch schön. Jetzt sitze ich ungern zwei Stunden so eingezwängt, das muß ich erst wieder üben.

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gaga - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 23:15
Tilda war schon immer clever. Zur rechten Zeit am rechten Ort!

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gaga - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 23:18
"Moonrise Kingdom" spielt ja 1965, wie ich gerade sehe, meinem Geburtsjahr. Ich bin ja bei so Kostümfilmen immer sehr kritisch, um nicht zu sagen überkritisch. Deswegen hat mir auch der Film gestern so gut gefallen. Unwahrscheinlich authentisch! Okay, das werden jetzt einige Leser als satirische Einflechtung missverstehen. Ist es aber nicht. Die beiden da gestern leben genau wie ich! Außer, dass ich nicht skype. Die beiden ja leider schon. Sie hat so ein Eierfon und er empfängt das Bild auf einem alten Röhrenfernseher. Aber darüber habe ich elegant hinweggesehen. Gab ja genug anderes zu gucken in seiner Wohnung.

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kid37 - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 23:23
Moonrise Kingdom wird Ihnen gefallen. Großartige, wenngleich kleine Rolle für Frau Swinton auch. Und wie Sie an der Brille sehen können, hat man meine Geschichte verfilmt! Der Anderson wieder. Nachher wissen Sie auch, warum ich immer einen batteriebetriebenen Plattenspieler im Rucksack habe. Vorratshaltung! Und französische Schallplatten. Und nur ein altes Telefon.

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gaga - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 23:28
Oh.

Die kleine Reklame hat mich schon verzaubert.
Das scheint mir eine echte Qualitätsproduktion zu sein, die mein kleines Herz erwärmt. Toller Tip! Ich meine, man kann schon sagen, dass Tilda einen unwahrscheinlichen Riecher hat, wo man mitmachen kann, ohne dass man sich später dafür schämen muss. Ich natürlich auch, bin aber trotzdem ein bißchen neidisch. Ich hätte die Eva auch ganz passabel gespielt. Aber Jim steht ja leider nicht mehr am selben Tresen wie ich.

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gaga - Donnerstag, 26. Dezember 2013, 23:42
P.S.

"Berlin und Ex und Pop und der ganze Kram"
"Da bin ich natürlich im Thema"


Ich wollte nur kurz Bescheid sagen, dass nun eine gute Spielfilmlänge später auch bei mir der Groschen gefallen ist!

Wenn auch mit Verspätung, ich lache jetzt ein bißchen dreckig, wenn ich darf!

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kid37 - Freitag, 27. Dezember 2013, 00:54
Ich finde, an Weihnachten können wir das ruhig alle mal machen. Auch über mich, gerne. Immer wieder.

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gaga - Freitag, 27. Dezember 2013, 01:31
Ich dachte eigentlich weniger "über" sondern mehr so "mit"!
Weihnachten ist schießlich ein Fest des Miteinanders!

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kid37 - Freitag, 27. Dezember 2013, 11:19
Genau so wollte ich es verstanden wissen.

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d.martini - Montag, 30. Dezember 2013, 12:00
"Can't Hardly Stand It "
ja, schöner Film , schöne Einrichtung ... aber Gitarre schon verkauft (Altersarmut vorbeugen ). Zombies in den Clubs und Straßen und Dahoam sterbn die Leit.
" Here She Comes...to save the day "
Tilda ist eine weise gute Frau und am Schluß hat alles wieder Biss, DANKE !
( auch wenn es etwas gedauert hat, 122min)

Kleine Quizfragen von Jim an die Snobs :

Die nervige Schwester hat Jacques-Émile Ruhlmann gemeuchelt, nicht wahr ?!?

Miststück !!!

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kreuzbube - Donnerstag, 2. Januar 2014, 09:50
Jarmusch/Swinton hatte ich zwischen den Jahren auch auf dem Programm. Dann aber doch nicht. Das mag ein Fehler sein, aber "Vampir", das geht dann doch schon seit geraumer Zeit nicht mehr.

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gaga - Donnerstag, 2. Januar 2014, 20:38
Das könnte ein Fehler sein, kreuzbube. Ich kann mit Vampir-Quatsch auch nichts anfangen. Zum Glück geht es darum nur in dem Sinn, um einen Aufhänger zu haben, diese unfassbar lange Lebensspanne der beiden herzuleiten. Da war Jarmusch einfach ein bißchen faul und hat sich wohl gedacht: scheiß drauf, behaupte ich eben die beiden sind Vampire, dann muss man nicht groß erklären, wieso sie dreitausend Jahre alt sind. Es ist wirklich nebensächlich.

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kreuzbube - Donnerstag, 2. Januar 2014, 22:18
Bei den Blutsaugern bin ich bei "Interview mit einem Vampir" stehen geblieben. Seitdem wurde mir das so inflationär, dass es mir fast meine Vorliebe für die schönen altmodischen trash-Vampire ausgetrieben hat.

Da fällt mir aber gerade ein: Schön schräg ist Philly Joe Jones' "Blues for Dracula". Jones war eigentlich Jazz-Musiker, hatte aber ein Faible für Bela Lugosi, das so weit ging, dass er diesen wunderbar imitierte. so auch auf der oben genannten Schallplatte, wo er das anstelle von Musik einfach mal eine halbe Plattenseite hinweg tut.

(Mit Lugosi wiederum muss man unbedingt "The Black Cat" sehen, eine Perle der Filmkunst, sage ich nur. Karloff spielt auch mit)

...nur um mal zu verdeutlichen, wie sehr ich der Zeit hinterherhinke in Sachen Vampire. Aber ich sollte Tilda Swinton wegen wohl doch den Versuch wagen... Sie war ja auch im letzen Bowie-Video klasse.

http://www.youtube.com/watch?v=gH7dMBcg-gE

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gaga - Donnerstag, 2. Januar 2014, 22:27
ich glaube, Sie haben es immer noch nicht recht begriffen: es ist kein Vampir-Film, mit dem Vampir-Film-Fans etwas anfangen könnten. Tilda und der Rocker könnten ebensogut an einer seltenen Krankheit leiden, die das Alterungsgen aushebelt. Aber Sie sind wahrscheinlich in der Jugend in viele Vampir-Film-Vorstellungen gegangen, das klingt irgendwie so fachlich geschult und ausgelotet bei Ihnen. Ich wette, Vampir-Film-Fans finden den Film total unprofessionell und langweilig, weil mega-ungruselig. Jede Menge nerdiges Musik- und Literatur-Geschwafel. Das hält doch kein Vampir-Film-Fan aus. Ich sage: ein Film für Elektrogitarren-Liebhaber und schöne Ausstattung.

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kid37 - Donnerstag, 2. Januar 2014, 23:10
Nein, nein. Kein Genre-Kino. Das wäre wirklich nicht mehr auszuhalten, da gebe ich dem Kreuzbuben recht. Biss zum Abwinken. Oder auch Breaking Yawn. Im Grunde also eine Künstlergeschichte, ein Liebesdrama um ein Paar wie es im Kino häufig, aber häufig nicht so intensiv gibt.

Apropos bedeutende Liebespaare im Kino, Vampire und Musik. Finger hoch, wer wußte, daß es von Nick Cave eine eindrucksvolle, quasi tangereske Version des Akte-X-Themas gibt? Also ich nicht.

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