Avec Maman

Sick people die of the need
of companionshsip,
a stroking hand,
a hungering for compassion.

(Louise Bourgeois über Cell I)



Seit Wochen entzückt die neun Meter hohe Bronzespinne auf dem Platz zwischen der Neuen und der Alten Kunsthalle in Hamburg, Louise Bourgeois' Maman, eine wuchtige Mutter, die über der Stadt ihre Fäden webt. Schönes Ausflugsziel also für Mütterchen Kid, so mein Gedanke, als diese zu Besuch in der Hansestadt war.

Kurz hatte ich Bedenken, ob das Hauptwerk der Ausstellung, wirklich so passend für den Anlaß war. "Passage dangereux" ist eines der größten Installationen aus der Werkreihe Cells (Bilder). Vergitterte Räume, die gefüllt sind mit Objekten wie Spiegel, Stühle, rostigem Tand, zusammengeführt als Transiträume von Kindheit, Trauma, Tod, Sex und Einsamkeit. Da liegen verschieden große Glaskugeln auf Stühlen wie in einer Familienaufstellung, sind die abwechselnden Ausbuchtungen und Erker der Gitterverschläge wie Wohnräume gestaltet, man erkennt ein Bad, ein Kinderzimmer, einen Wohnraum, ein Schlafgemach. Mutter aber ist interessiert, drängt sich nah an die Käfige, um einzelne Gegenstände zu identifizieren, stellt Fragen, die ich adhoc auch nicht beantworten kann (für die das Buch The Secrets of the Cells aber ganz hilfreiche Hintergrundinformationen bereitstellt). Ebenso interessiert betrachtet sie auch die handwerklichen Fähigkeiten in der zweiten Werkgruppe, zusammengenähte Stoffbilder, teils abstrakt, teils mit Spinnennetzen (plattgedrückte Regenschirme?) versehen, teils als Gebrauchsgegenstände wie Schutzhüllen für Bücher gestaltet.

In einem weiteren Raum (insgesamt ist die Ausstellung sehr klein), versuchen wir halb-abstrakte Bilder zu deuten, auf denen sich liebende Paare, träumende Föten und schwingende Äste begegnen. Mutter erklärt, was sie sieht, dort ein Kopf, hier eine Tämnzerin. Ich sage, das sind doch medizinische Aufnahmen, erkenne Nervengeflechte, Darmgeschlinge, hier der Magen, dort die Gallenblase, die Bourgeois war da bereits über 90, erkläre ich, sicher mußte sie mal zum Arzt. Mutter meint, sie hätte Lust auf einen VHS-Kurs, selber was malen.

(Louise Bourgeois, "Passage dangereux". Hamburger Kunsthalle. Bis 17.6.2012)

>>> Rainer Crone, Petrus Graf Schaesberg. Louise Bourgeois: The Secret of the Cells. München, London, New York: Prestel, 2008.)

Flanieren | 17:00h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Freitag, 13. April 2012, 20:35
Selber was malen, da haben Sie ihr aber was Gutes mitgegeben!

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kid37 - Freitag, 13. April 2012, 22:49
Ich war ganz, aber angenehm überrascht.

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mark793 - Montag, 16. April 2012, 15:34
Meine Mutter hat sich vor ein paar Jahren endlich aufgerafft, einen Malkurs zu besuchen - und sich dann fast ein bisschen geärgert, dass sie sich nicht schon früher getraut hat.

Habe sehr gestaunt, was sie da zuwege gebracht hat.

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kid37 - Dienstag, 17. April 2012, 00:59
Das werde ich noch mal als Ansporn nach Hause telefonieren. Ich komme ja zu nichts mehr. Soll sie doch meine Bilder zu Ende malen.

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gaga - Freitag, 13. April 2012, 23:25
Das klingt doch alles sehr vernünftig.

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kid37 - Samstag, 14. April 2012, 00:39
Man kann ja ruhig was Verrücktes machen, aber vernünftig muß man dabei sein.

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vert - Montag, 16. April 2012, 15:19
Opfern und Schänden, schwarze Messen gehen klar
Wenn's danach so schön sauber ist, wie's vorher hier war

ka peh
;-)

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kid37 - Dienstag, 17. April 2012, 01:00
Kein Rambazamba ohne Aufräumen. Sonst barfuß ins Bett!

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vert - Dienstag, 17. April 2012, 04:50
letztlich sind manche dinge schlicht nicht zu überwinden
eine schwäbische hausfrau wird immer was zum putzen finden...

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nuss - Sonntag, 15. April 2012, 15:02
Unter der Mutter stand ich doch auch erst! Also, unter der metalligen, nicht der Ihrigen. Eben war sie noch hier am See. Lange Beine tragen weit, scheint es.

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kid37 - Montag, 16. April 2012, 15:10
Als Blogger denkt man leicht an das uralte Netz-Phänomen der "Brotspinne". Aber das tonnenschwerre Metallgetüme so rasch wandern können... Es muß ein feines Kunstnetz über die Welt gesponnen sein.

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jammernich - Montag, 16. April 2012, 16:53
Klingt nach einem netten Ausflug. Und malen kann auch ohne Kurs Spaß machen, finde ich. Aber so ein Kurs hätte natürlich zusätzlich den Vorteil (oder auch Nachteil), dabei noch andere Menschen zu treffen.

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kid37 - Dienstag, 17. April 2012, 00:59
Ich schätze, ganz ohne Anleitung fängt sie nicht an. Und die Sache mit den sozialen Kontakten ist wirklich ein weiterer Pluspunkt.

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ascentive - Dienstag, 17. April 2012, 04:00
Ich habe die Hamburger Spinne noch nicht aus der Nähe betrachten können, aber tolle Fotos davon gesehen.
Sie steht auf jedem Fall auf meiner Liste bei meinem nächsten Besuch in Hamburg. Das gilt natürlich auch für die Kunsthalle.

~Anja~

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zahnwart - Dienstag, 17. April 2012, 12:18
Interessant - ich sah die Bourgeois-Ausstellung gemeinsam mit Mutter Zahnwart. Sahen unsere Mütter einander vielleicht, beim "Maman"-Betrachten? Und sahen womöglich wir uns?

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kid37 - Dienstag, 17. April 2012, 23:35
Mütter, die Maman anschauen, die Mütter anschaut... eine surreale Spiegelung, das paßt schon.

@Anja: Noch ist ein bißchen Zeit, und dieses Jahr gibt es noch ein paar weitere interessante Ausstellungen in Hamburg. (ich bin übrigens immer noch unglücklich über den unterlegten Link in Ihrem Profil.)

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