In den 70er Jahren konnte man in Nordrhein-Westfalen eigentlich nur einen Sender hören: BFBS, den Service der britischen Rhine-Army. Anders als der verschnarchte WDR, der über Mal Sondocks "Hitparade" nicht hinauskam, gab es bei den Briten cooles Top-40-Zeugs und garantiert keine deutschen Schlager. (Leider quasselten die Moderatoren immer in die Enden der Songs, so daß man zum Mitschneiden doch wieder auf Mal Sondock ausweichen mußte.)
Die Tatsache, daß es eben auch nur Top-40-Sachen waren, störte nicht, denn man kannte ja nichts anderes. Bis, ja bis auf jenen Abend als ich BFBS einschaltete, merkwürdig grummelnde Takte Musik hörte und dann diese Stimme, die man nie vergißt:
"Hello, my name is John Peel - and this is some of my music."
Und man sagt das so leicht und vor allem im Nachhinein, aber ich habe es damals sofort gespürt: Hier ändert sich gerade mein Leben. Zum ersten Mal hörte ich Musik, die mich wirklich elektrisierte, die unheimlich war und irgendwie gewalttätig und melancholisch und verzweifelt. Kurz, es war Musik wie ich selber war.
Es dauerte ein paar Tage - und dann noch ungläubige Wochen - bis ich kapierte, daß hier nicht Poltergeister aus meinem Weltempfänger lärmten, daß das ganze kein Versehen war. John Peel kam wieder, Woche um Woche.
Ich hörte Siouxsie, Buzzcocks, Wire, Joy Division, The "mighty" Fall, die Bunnymen und ab und an The Cure. Bekanntes wie die Slits, Cocteau Twins oder später dann die Smiths. Aber auch eher Obskureres wie Ausgang, X-Mal Deutschland oder They Might Be Giants. Später auch Farm Life, Jesus and Mary Chain und die Primitives. Viel Reggae auch und Dance-Hall-Dub und immer laut. Dazwischen erzählte John Peel von den Musikern, die er traf, den Fans, die ihm schrieben, von Sheila und den Kindern, von Reisen nach Jamaica, he got carried away, aber dann merkte er es, unterbrach sich, anyway, here comes... und weiter ging es weiter mit Hits und Misses.
Wochen um Wochen füllte ich billige Ferro-Kassetten aus der Kaufhalle (Stück 1,25 Mark), die schon nach zwei, drei Monaten dumpf wurden. Woche um Woche war John Peel's Music Gesprächsthema auf dem Schulhof; man diskutierte die Trends, die Songs und Bands, die er spielte, wunderte sich über die, die er nicht oder nicht mehr spielte.
Später, als die zeitgenössische Musik sich erneut in Experimente und Belanglosigkeiten, Tanz und Lustigsein vertändelte, verlor Peels Sendung auf BBC 1 für mich seinen Reiz. Techno und D'n'B gab es auch überall sonst. Für nostalgische Menschen gab es andere Geschenke: Die berühmten Sessions aus dem BBC-Studio erschienen auf EPs und LPs und später auf CD. John Peel als der George Martin der späten 70er und frühen 80er Jahre.
Ein tätiger Mensch - und immer ein Forscher, der auch als "Rock-Opa" viel Gespür für junge Bands und neue Trends besaß. Heute führte ich ein Telefongespräch, in dem ich viel von mir erklären mußte. Bei John Peel fühlte man sich immer verstanden.
Dafür Danke.
Jingle angehört werden kann.Aber John Peel war schon immer kuhler, das stimmt.
Es ist immer gut, sich verstanden zu fühlen. Noch besser scheint mir aber, ist es, tatsächlich verstanden zu werden. Auch wenn der Weg dahin beschwerlicher sein mag.
Aber in Ihrem Jahrgang? Da war Mal Sondock doch bereits pensioniert. Hörten Sie damals Nostalgiesendungen?
Verabschiedete sich dann allerdings, ich glaube zum Ende der NDW hin, auch gleich, was ich sehr bedauerte und von dort an bereits bespielte Musik-Cassetten selbst kaufen musste - die billigen, nachgesungenen, versteht sich.
O tempora o mores.
Dennoch, das Hören jener Musik erezeugt auch bei mir angenehme Erinnerungen.
Herzliche Grüße
hätte mich das pralle leben nicht grad fest
john peel. tot. schade. traurig. den rest hab ich in gedanken, und in den tape-kartons.
jaja, man wird älter (nur unwesentlich) aber die vergangenheit holt einen irgendwie immer ein ;-)
Da fällt mir natürlich auch der Rockpalast ein. Essen, Grugahalle. Und nächtliche Ausflüge dorthin, weil man nach Mitternacht umsonst reinkam. Haben Sie das auch "mitgenommen"? ;-)
Juneau
Sehr schöner Erinnerungsrücksturz. Leider besitze ich nicht mehr viele Mix-Kassetten von früher, ein großer Fehler. Je älter man wird - und warum denke ich da gerade drüber nach? - jedenfalls, je älter man wird, umso wichtiger wird das bißchen Erinnerung, das man hat.
Ich war nie beim Rockpalast, meine Peer-Group war zu jung und unmobilisiert. Wir machten in diesen Rocknächten so was wie Pyjama-Parties ohne Pyjama und sahen uns das im Fernsehen an.
Mit River-Cola, Aldi-Chips und dem geplünderten Schnaps aus der Kellerbar irgendeines Vaters.
Einmal durfte ich einem Mädchen draußen im Garten unter den Pullover fassen. Die Sonne ging gerade auf, während sich "das Dach der Grugahalle hob" - wie Peter Rüchel immer fabulierte - und mein Bewußtsein erweiterte.