She lives in the TV sky
She lives in such pain
She rides in a bulletproof
Stretch limousine
(Neil Young, "Slip Away".)
"Dieser Satz ist falsch." Das ist so ein philosophisches Rätsel. "Alle Kreter lügen", man kennt das. Sagt ein Kreter. Wie also dieses Paradox auflösen?
Ich kann keine Philosophie. Ich habe einiges von Nietzsche gelesen. Einiges von Kant. Als ich auf der Uni war, interessierte ich mich für ein paar dieser Postmodernen. Über Roland Barthes kam ich zu Baudrillard, Derrida, Deuleuze, Guattari, Virilio. Kittler auch. Damals, abgeschieden auf Waltons Mountain hielt ich mich für einen brillanten Kopf, der an eine semiotische Tür klopfte, zu der er keinen Schlüssel besaß. Damals war Verstehen sehr einfach. Man mußte nur eine elektrische Gitarre vor den Lautsprecher eines Verstärkers stellen. Im Feedback der wimmernden Membranen verstand man erst den Skeptizismus von Virilio und landete zwischen E-Dur und a-Moll bei Deleuze.
Wenn man ein Zeitungsfoto mit Nitrolösung überstrich und als Frottage auf ein anderes Papier übertrug, kam man Baudrillard sehr nahe. Manchmal fühlte ich mich als mein eigenes Simulacrum. Und ein kurzer oder besser noch längerer Blick in die Augen eines schönen Mädchens, das im Begriff war, einen unter den Tresen zu trinken, genügte, um selbst zu einem Mythos des Alltags zu werden.
Als der selbstgewisse Rausch der Jugendlichkeit verflog, wurden die Ränder unschärfer. Eine Zeitlang half mir meine schwarze Intello-Hornbrille von Mikli, die ich alsbald benötigte. Nietzscheanische Selbstgewißheit gegen die Kleine Leute Moralität ("Das ist die ekelhafteste Entartung, welche die Cultur bisher aufzuweisen hat" - Über die Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne.) verflüchtigte sich, je mehr ich selbst zum kleinen Mann wurde.
Was war schon wahr, Derrida?
Im Haus der Lüge (Neubauten), der beständigen Interpretation von dem, an das sich andere als wahr klammern mochten, richtete ich mir bald ein Zimmer ein. Sollten andere sich Häuser, Yachten, Pferde und Pferdepflegerinnen erschaffen; ich - in der Hälfte des Lebens - wollte im selbsterrichteten Tübinger Turm eine Hölderin'sche Heimstatt finden. Zeit für morbide Sehnsüchte also.
Vitalisten, Sadisten, Antichristen, Bataillisten - das modische dunklere Ende einer Pubertät ohne LSD-Visionen. Jahrtausendwende und die Hoffnung auf ein eigenes fin de siècle. Aber statt mit Pitigrillis Kokain schmissen die Geliebten im vierten Stock nur mit aufgetragenen Gelüsten um sich. Erstarrtes Bücherleben wird zum Kitsch. Katholischer Mystizismus als Gelsenkirchener Barock im spinnwebumhangenen Herrgottswinkel. Aber den Meister Eckhard konnte ich nicht gut genug rezitieren.
Überhaupt gebrach es mir zusehends an ausschweifendem Interesse. Man schafft es im Leben immer nur bis an diese oder jene Tür. Innerhalb dieses Feldes sollte doch ein Garten abzustecken sein. Man muß doch nicht sein verrücktes Pferd auf eine Prärie treiben, deren Weite man nie gewachsen sein wird.
"Ich als Hörender, zumal wenn ich ein Solipsist bin, bestimme, ob das, was ich beim Hören imaginiere, eine sinnvolle Aussage oder nur ein mir spaßmachendes Geräusch ist." (Steffen Dietzsch. Kleine Kulturgeschichte der Lüge. 1998.)
Mein Problem ist einfach: Alles was Du gesagt hast, ist wahr.
diese aussage ist jedoch unwahr.