Otto e mezzo

...und jetzt habe ich
diesen Traum am Hals.

("8 1/2")

Truth is beautiful, without doubt;
but so are lies.

(Ralph Waldo Emerson)



Am Wochenende endlich Fellinis 8 1/2 gesehen. Ein Regisseur auf dem Lost Highway, verwirrt in diesen ganzen Zirkel aus Oberflächlichkeit, den falschen Versprechungen, den Lebens- und den Liebeslügen, den Zirkus der Schmeicheleien, die Eitelkeiten, die Cliquen, die schalen Possenreißer, bei denen man vorsichtig sein muß, äußerte man laut, man hätte zu ihnen nicht die rechte Relation.

8 1/2 ist natürlich das große Vorbild auch für einen meiner Lieblingsfilme, Stardust Memories, diesen zwar nicht ernsthaften, aber an vielen, den brüchigen nämlich, Stellen traurigen Film, den Woody Allen am Ende seiner eher trivial komischen Anfangsphase machte. Ein Übergangsfilm also, ein Moment des Innehaltens, die im Kino zwangsläufig in Bewegung umgesetzt werden muß. "Ich mag ihre Filme", ruft ein Fan in Stardust Memories dem kriselnden Regisseur entgegen. "Vor allem die frühen, komischen!"

Ähnlich also die Glitzerwelterinnerungen, ins Zwischenreich gelagert, dem Debakel zwischen Losgehen und Durchhängen, leichter Tragik und dunkelmütiger Komödie, in 8 1/2. Blockiert, eingekesselt in die irrwitzige Welt von Cinecitta, wo jeder leichte Sommer wie auf Pappwände gemalt scheint und der mondäne, zwischen surreal und hysterisch schwebende Taumel sich im Kummer zugesperrter Hotelzimmer löst, hält sich der Regisseur (Marcello Mastroianni) eines aus dem Ruder laufenden Filmprojekts in blanker Not den Kopf. Überhaupt, losrudern, weg vom sicheren Terrain, neuen Grenzen entgegen: Im Leben, in der Kunst, in der Liebe. Irgendwann fragt der Regisseur dieses Films im Film seine Ehefrau: "Hat dich etwas verletzt? Es ist doch nur Film?" Am schönsten ist die Liebe im Hafen, heißt es, aber das muß er noch lernen.

Ein Film über den Versuch also, das Leben zurückzuwinden, nach vorne zu holen, dieses Was mach ich hier eigentlich? endlich mit Sinn zu füllen oder wenigstens, man will nicht maßlos erscheinen, mit der richtigen Musik zu unterlegen. Irgendwann versammelt Mastroianni all die Frauen, die er kannte, um sich herum, eine schnurrende Männerfantasie, bei der - nachdem die Katzen erwacht - der Dompteur die lächerlichste Figur abgibt. Das anklammernde Sehnen und Zerren, die Ängste: vor dem Verblühen, dem Altern, den Schatten der Vergangenheit, diese wispernden Geister, hoffentlich ist da bald mal Ruhe. Zum Schluß wird alles ganz groß, Raumschiffe für den Aufbruch zu den Sternen, ein Zirkusfinale zwischen Freakshow und Modenschau im wunderbarsten Schwarzweiß. So als wäre Corbijn der Kameramann von David Lynch, um mal so etwas wie eine These in den Raum zu stellen.

Man kann sich auch den Spaß machen und darin die Worte "Film" und "Filmindustrie" gegen "Blog" und "Blogosphäre" tauschen. Mit ein bißchen Fantasie und weitergehender Vorstellungskraft hat man alle Rollen schnell mit bekannten Internettagebuchschreibern besetzt und hört plötzlich Dialoge, die wie aus dem echten Kommentarleben gefallen scheinen. Aber dann hat man diesen Traum am Hals.

Super 8 | 11:02h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kelly mg - Mittwoch, 2. Dezember 2009, 20:16
Wie schön, Herr Kid: "Stardust Memories" ist auch meiner allerliebsten Lieblingsfilme und hat so viele filmische Lieblingsmomente: Wenn Woody Allen auf der Dachterasse Charlotte Rampling einfach nur anschaut. Wenn die Ballons im Dämmerlicht zu Louis Armstrongs "Stardust" fliegen. Da muss ich mir doch gleich noch mal die Soundtrackscheibe mit den alten Jazzklassikern anhören.

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casino - Mittwoch, 2. Dezember 2009, 21:17
verehrter herr kid, ich werde 81/2 so bald wie möglich mal wieder ansehen. dieses unverstellte und selbstverständliche, das schafft heute gar keine komödie mehr. eine andere erinnerung hängt in dem film: in den achtzigern hatte ich mal eine kurze geschichte mit einem herrn, der asa hieß. seine brüder waren nisi und masa, der vater, ein architekt, hatte seinen lieblingsfilm gefunden, er musste das irgendwie auch kaum erklären, als die söhne klein waren. ich hab mir den film wegen asa zum ersten mal angeschaut! merci für den tipp.

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kid37 - Donnerstag, 3. Dezember 2009, 23:19
Charlotte Rampling ist die personifizierte Brüchigkeit in diesem Film über Brüche. Ganz groß. Da gibt es so absurde Dialoge auch, das unbedarfte Aneinandervorbeireden ("Hast du dein Lithium nicht genommen?"), die Verlorenheit. Ich muß den noch mal raussuchen.

Frau Casino, was für eine schöne Geschichte und Erinnerung. Das Leben, ein Fest. Ich mag das versöhnlich-poetische Finale sehr. Wie sonst sollte es gehen.

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signaleur - Mittwoch, 2. Dezember 2009, 23:54
Lynch und Corbijn, ein Möbiusband in Schwarzweiß?

Corbijn und Blogs/Blogosphäre als Signalwörter, und es spukt mir ein von mir aus dem Kontext gerissenes Zitat von Peter Hook im Kopf herum: None of it's true really. (…) the truth is too boring.

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kid37 - Donnerstag, 3. Dezember 2009, 23:22
Da hat er recht. Und seine Faustformel für die kritische Würdigung von Filmen ist ebenfalls dem Leben abgeschaut. Im DVD-Zeitalter heißt das gern, "Ich mach mal Rauchpause, brauchst nicht anhalten."

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