Should I crawl defeated and gifted?
(Patti Smith, "Pissing In A River".)
Zu meinen guten Vorsätzen für 2008 zählt, jede Woche eine neue Welt zu erforschen. Oder auch eine alte, vergessene. Der letzte Ausflug unter dieser Flagge führte mich nun in ein schummrig beleuchtetes Reich, das wenige Menschen über 27 Jahren je betreten haben. Eine Welt aus Klang, Frisur und etwas, das früher von Lehrern und Kulturreportern Lebensgefühl genannt wurde.
Manche ahnen es bereits, am Wochenende war ich in einem großzügig ausgestatteten Hamburger Bedarfsfachgeschäft für Musikinstrumente, vorzugsweise aus dem Rock'n'Roll-Sportbereich. Selbst ins Alter gelangt, da man sich blonde Frauen und kleine rote Sportwagen zulegt, hänge ich seit einiger Zeit einem weiteren Jugendtraum nach: "I don't need six bullets", sang ich schließlich einst. "All I need are six strings". Endlich, so mein haarergrautes Denken, sei die Zeit angebrochen, die No-Name-Nachbau-Kopien in die hinteren Erinnerungsecken zu schieben und sich was Richtiges™ zu gönnen, solange die gichtigen Finger nichts anderes mehr würden halten müssen.
In meinem Schundroman Die Nacht der blutigen Finger (Verkaufsrang #20337 bei einem bekannten Buchversender) zieht bekanntlich ein mordender (was sollte er anderes tun?) Killer mit einer schwarzweißen (was sonst?) Rickenbacker von Tatort zu Tatort, klampft seinen Opfern (er nennt sie "Klienten") filigran (er ist kein Stadionrockposer) sein persönliches Lied vom Tod und schleppt nach einem rückenmarkserschütternden Powerakkord (dann also doch!) eine applaudierende oder auch nur zufällig im Weg stehende, sogenannte Ische ab.
So weit, so Fiktion. In meinem echten™ Leben schlich ich aber denkbar stiller und vor allem unauffälliger, zudem unter Vorspielung falscher Tatsachen Geldbeutel, in oben erwähnten Gitarren-, Schlagzeug- und Verstärkershop, in dem man einer Gestalt wie mir aber seitens des jugendlichen oder betont jugendlich gebliebenen Fachpersonals keine weitere Beachtung schenkte. Ich hatte also zwar nicht das Geld, dafür aber alle Zeit der Welt, versonnen die ein oder andere Gretsch zu streicheln. Ein schönes Gefühl, wie mir jeder Kenner bestätigen wird. Es ist und bleibt erstaunlich, welche haptisch und visuell beglückende Ausstrahlung diese kurvigen Modelle auch ohne Botox, Cremes und Schummerlicht auch nach dem Ablauf vieler Jahre zustande bringen. Hingegen schaue man an sich selbst herab - und schweige still und andachtsvoll.
Um mich herum war, es war nicht mehr wirklich früh am Morgen, bereits der ein oder andere Ko-Interessierte eingetroffen. Ernsthaft schauende Buben mit großen Kopfhörern über den schmächtigen Koteletten, verpennt wirkende mittelalte Taxifahrermänner mit Bin-grad-aufgestanden-Frisur, bei der die Haare staubig versträhnt in alle Fis- und Cis-Tonarten verstreut liegen. Mit Jeans auf halb acht kramten sie in obskuren Schachteln nach noch obskurerem Gerät, während ich gedankenverloren und unbeachtet einer 2000-Euro-Vintage-Fender ein helles Pling und dann ein trockenes Plong entlockte. Vor zwanzig Jahren, so dachte ich so halb von mir selbst berauscht, wäre ich auf meinem Wagemut neidisch gewesen. Jetzt habe ich eine Haftpflichtversicherung - und tue solche Dinge einfach! Yeah! Rock and Roll!
Wie bei jedem sensibleren Künstler mischte sich bald auch Wehmut in mein fingersteifes Gezupfe. Hätte man vor eben diesen zwanzig Jahren nicht bereits alles klarmachen können, die Richtige vorausgesetzt? Eine richtige Gitarrre, eine vielleicht leicht abgeschrebbelte, aber unbedingt verläßliche - kein aufgelacktes Partymodell, das zu schnell außer Stimmung gerät? Man hätte schnell einen Welthit rausgehauen oder auch zwei, meinetwegen sogar drei, die werden sich schon vertragen. Anschließend outside of society, Tournee mit Stress und Lärm und vollgespuckter Hose, solange man noch Kraft und Energie hatte, jeden marshallverstärkten Humbucker-Sound an die Wand zu drücken. Vielleicht hätte man sich nach halber Strecke auch tüchtig verkracht, ja Mensch, Rock'n'Roll eben, vielleicht mal eine Solo-LP. Jetzt aber wäre dann das Alter für die Re-Union, ein Leben voller Zugaben.
Ich dachte an den alten Leitspruch: "Egal, was du machst. Verwechsle nie die dicke E-Seite mit der anderen" und arrangierte meine Finger mühsam zu etwas, das ich als einen anderen alten Dur-Akkord erinnerte. Wie verlockend doch diese Mollscheiße immer war. E-Moll, zwei Fingerchen, so findet jeder sein kirchengesangbuchgeschmücktes humm-humm-humm. Aber der Dur-Sept-vermindert-Neun-Akkord, da zeigt sich... na ja, was rede ich.
Im Grunde ist das eh eine alberne Geschichte. Weil ich ja eigentlich etwas ganz anderes sagen möchte. Würde ich doch lieber über Liebe schreiben. Etwas über das Finden, das Halten, das Verlieren auch, die Schmerzen, natürlich, wo wären wir hier sonst. Die feedbacksummenden Erinnerungen. Aber eben auch das Glück, das sich oft in unerwarteter Gestalt zeigt. In einer manchmal schwer zu beherrschenden Stimmlage. Und wie ich nicht mehr recht an eine Rickenbacker glaube. Weil ich vielleicht ein Mann für eine Gretsch bin. Aber hier ist nicht der Platz. Dieses Blog ist längst zu große Bühne, nicht länger mein Proberaum.
Jaja, ich weiß, dass Sie es mit der Testosteron-Mucke nicht so haben, aber bedenken Sie, dass man auf einer Rickenbacker auch keinen richtigen Blues spielen kann. Nicht mal im Proberaum.
Ich glaube, für mich ist das Ding mit der Gitarre irgendwie durch mittlerweile. Mein älterer Bruder hat sich vor ein paar Jahren eine Strat (limited US-Edition schieß-mich.tot@vintage-gelöt) gegönnt, sogar Unterricht genommen. Ich hab das Ding, das er mir ganz stolz präsentierte, in die Hand genommen, das Solo Ostinato von Thunderstruck locker aus dem Ärmel geschüttelt und gesagt, "Bruderherz, nimm mir meine offenen Worte nicht krumm, aber richtigen Rock'n'Roll lernt man nicht im Gitarrenunterricht." OK, es hätte schlimmer kommen können, er hätte sich auch eine Harley kaufen können, wie so viele in seiner Altersstufe.
Aber gut, was weiß ich, wozu es mich mal treibt, wenn ich aus der Kernzielgruppe 14-49 rausfalle.
Die geht sogar bis zwölf.
Jetzt aber erstmal die Beatles erfinden.
Dann schon lieber: Glueck, in unerwarteter Gestalt. Glueck als Gestalt! Etwa in Gestalt einer Gluecksfrau, einer Gluecksfee, ja, Fortuna, im Wettstreit mit Verstand und Geld, um ihre Allmacht zu beweisen? Oder doch lieber ein Gluecksmann, ein Gluecksmaennchen, das dahertanzt, durchs offene Fenster, das ich nicht schliesse, obwohl mich froestelt – ein Hauch von Glueck aus der stockdunklen Nacht?
Waere das wie Buehne? Nein, ich moechte ich mehr als nur einen Hauch von Atem spueren! Und ich wuerde sie gern atmen hoeren, diejenigen, die dort draussen unten sitzen, also so etwas wie Praesenz wahrnehmen, Waermestrahlung etc.
Also ich bin eindeutig fuer eine kleinere Buehne, ein Zimmer. Und ein Blog wie dieses, naemlich Ihres, das mich immer wieder ueberraschend trifft!
À bientôt! Audrii