The Log Lady, rev.

There is a sadness in the world,
for we are ignorant of many things.

(The Log Lady, Twin Peaks.)


Für die meisten Dinge im Leben gibt es - so verspricht uns die Werbung - die Bankkarte der eigenen Wahl, vieles andere aber bleibt eben unbezahlbar. Dieses Stück Holz beispielsweise, das ich heute eigenhändig und den besten Anzug vergessend aus einem Baucontainer in St. Pauli zog.

Als ich routinemäßig in den Wir entsorgen alles - dich, mich und richtigen Dreck - und das auch noch diskret-Behälter spähte, sah ich gleich: dieser rostige Haken, der ebenso rostige Nagel, diese Patina... das gibt es nur ein einziges verdammtes Mal - und zwar hier und jetzt und greifbar nah vor meinen Augen im schönsten Stadtteil der Welt. Glücklicherweise ist St. Pauli ein Viertel, in dem keinen wirklich interessiert, wenn man am hellichten Tag in Stapeln voller Bauschutt wühlt. Mißtrauischer Aufmerksamer wird man eher, wenn ein staubiger Mann mit einem nagelgespickten Stück Holz durch die Straßen zieht. Ich kann es aber niemanden verdenken, sieht dieses Artefakt doch in meinen Händen aus wie eine Waffe. Dabei sollte jedermann auf Anhieb und -stich klar sein, daß es sich um ein extramuseales Kunstwerk bloß handeln kann, wenn eine verschluffte Gestalt mit schwarzer Feuilleton-Hornbrille damit durch die Straßen ueckert.

Schlimmer wäre es nur, handelte es sich um meinen einzigen Freund. In der nachbarschaftlichen Enge des wochenbeendenden U-Bahn-Ersatzverkehrs argwöhnte ich nämlich für kurze bange Minuten, mein mir bereits stark ans Herz gewachsenes Holzstück könnte ehemals die Reviermarkierung eines von Leichtbier und Dönerresten sich ernährenden Straßenköters gewesen sein. Ein Odeur lag in der Luft, dessen leicht urinale Kopfnote mich weniger holzig denn geriatrisch enthemmt anwehte. Doch nach dem Aussteigen stand mein tapferer staubiger Scheit glücklicherweise in sozusagen blütenfrischer Unschuld da - und jeglicher Verdacht muß leider auf meinen angegrauten Sitznachbarn zurückfallen, laut Auszeichnung seines Käppis zudem ein Fan des Hamburger Sportvereins. Ein Fall doppelter Stigmatisierung also, weshalb man pietätvoll schweigen muß.

Unter den Anwohnern meines von manchen gutgelaunt und mit leichten Schmunzlern onduliert als avantgardistisch bezeichneten Rentnerviertels gab es immerhin großes Hallo. Wenn hier sonst schon nichts passiert, kann man wenigstens diesen auch nicht mehr so richtig jungen Mann beobachten, wie er sich wieder anschickt, arbiträren Schrott in die pastorale Idylle seiner hermetisch abgeschotteten Dachwohnung zu schleppen. Wenigstens das.

>>> Behind all things are reasons.

Homestory | 18:55h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
sunny5 - Sonntag, 14. September 2008, 19:38
Ich werde mich dieses Mal an einem adäquaten Kommentar versuchen, um dieses liebliche Stück Wesen artgerecht zu würdigen. Ich finde es großartig und hätte es ebenso mitgenommen. Derzeit ruhen meine Blicke jedoch auf diversen Welteinzelteilen - namentlich Blättern, Blumen, Steinen und kleinen Hölzern. So etwas menschengeschaffenes bräuche ich auch mal wieder. :-)

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kid37 - Sonntag, 14. September 2008, 22:03
Das ist nett. Ich habe ihn heute tüchtig geschrubbt und ihn sozusagen hinter den Ohren von allem Dreck befreit. Jetzt strahlt er wie ein goldener Herbsttag. Ich bin sicher, er wird sich prima einfinden zu den anderen Gegenständen in dieser Wohnung. Die Blätterzeit geht ja jetzt richtig los. Ein rauschendes Erntedank der Sammler.

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kelly mg - Sonntag, 14. September 2008, 22:47
Die Log-Lady rezitierend, werden Sie natürlich bereits wissen, dass die Eulen nicht sind, was sie scheinen. Was aber derartig wunderbare Fundstücke aus der Rubrik "Nicht verloren, aber trotzdem gefunden" angeht, so habe ich gerade eben die passende, als Kinderbuch getarnte Drucksache für einen surrealen Sammler & Jäger wie Sie gefunden: "The Lost Thing" von Shaun Tan (siehe http://www.shauntan.net/books.html ). Das ist eine dicke Empfehluing.

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kid37 - Sonntag, 14. September 2008, 23:49
Wie wunderbar! Darüber werde ich gemeinsam mit meinem Holzscheit und einem Stück verdammt guten Kirschkuchens sitzen. Allerdings nicht diese Version. Für 276 Euro muß ich erst noch eine Menge Brennholz finden. Aber die Taschenbuchausgabe wird mich auch erfreuen. Zufälligerweise blätterte ich neulich in Shaun Tans The Arrival; mir war der gar nicht bekannt.

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cabman - Montag, 15. September 2008, 01:34
Fraglich indes, so scheint mir, allein: Warum? Also welches Ansinnen über Verwendung oder Gebrauch hat Sie dazu bewogen, all dies Aufgeführte auf sich zu nehmen?

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kid37 - Montag, 15. September 2008, 03:33
Aber Herr Cabman, fragt denn Liebe jemals nach dem Woher und dem Warum? Muß man nicht, von dem man sich angesprochen fühlt, einfach so nehmen, zu sich und in sein Herz einladen, grad so wie es kommt - und sei es auch staubig, verdreckt und etwas rostig gar? (Aber wer weiß, ich habe da ja manchmal regelrecht ein Brett vor dem Kopf bin da ja manchmal etwas naiv, meinen Sie, ich hätte meinem Objet du désir etwas tiefer in die blauen Augen schauen sollen? Es fragen sollen, ob es auch mit mir lustig sein will oder nur mit den anderen Brettern?)

Schauen Sie mal, wie gut es sich an meiner Wand machen würde:


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frl.deville - Montag, 15. September 2008, 14:40
also zu so grünen wänden
passen ja grüne augen viel besser.
nur ma so sagn jetz, nä.

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kid37 - Montag, 15. September 2008, 14:52


Stimmt, die sehen gut dazu aus. Ansonsten späht da schon ein blaues.

(Ja, den Rand male ich noch nach, sobald ich meine Farbe wiederfinde.)

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frl.deville - Montag, 15. September 2008, 15:17
Vielleicht will ich Ihre 1ladung doch mal annehmen.
Nur mal kucken. Nix anfassen.

Natürlich nur, wenn es regnet.

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schein - Montag, 15. September 2008, 15:59
ueckern ist das neue flanieren!

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