Wien, ohne Schmäh #5
Ich glaube, ich muß mich erst einmal orientieren, ist ungefähr der Satz, den ich in Wien am häufigsten äußere. Wer ständig träumt, ohne zu schlafen, Bären auf Motorrädern und bildschöne Frauen sieht, nimmt spontan leicht die falsche Abzweigung. Dabei führen doch bekanntlich alle Wege ins Nichts, man kann bis dahin aber auf den unterschiedlichsten Wegen unterschiedlich Schönes erleben. Wenn man nur nicht vergißt, sich wenigstens ab und an in aller gebotenen Ruhe zu orientieren.
Den Kummer binde ich einfach am Naschmarkt mit nachlässiger Ruhe an einen Laternenpfahl. Vielleicht wird er gestohlen, hoffe ich, der Dieb mag auch das Halsband behalten. Vielleicht hat es geklappt, in der Nacht wird viel getrunken und noch mehr gelacht. Alles im Dreivierteltakt, mit konspirativen Geschichten, blitzenden Augen und... einer Selbstverständlichkeit, um die man keine Worte machen muß. Dann sitze ich auf einmal in einem verwunschenen Garten, genieße Kaffee und Kuchen, die Sonne unter einem blühenden Apfelbaum - und die Herzlichkeit eines echten Wiener Drei Mädlhaus. Später besichtigen wir die tolle Werkstatt, die tatsächlich in einem alten Kloster liegt, man spürt die Ruhe, und ich stelle mir vor, wie ich mit einem Aufsitzrasenmäher tagein, tagaus über die Wiesen tucker und das Gras mähe. Ich atme den Geruch von Papier, sehe, wie das Sonnenlicht die alten Maschinen streift. Überhaupt: das schöne Licht, das durch die hohen Fenster fällt. Ich darf mir etwas aussuchen zum Geschenk, ein wunderbares Leerbuch, und ich wähle das mit Böcklins "Toteninsel" als Cover, denn zweifelsfrei hat es dort auf mich gewartet. Lieben Dank, ich habe mich sehr gefreut.
Als ich beim Abflug beim Check-in nach meinem Reiseziel gefragt werde und mit zweifelsfreier Bestimmtheit "Wien" sage, mußte ich mich aber nicht erst einmal orientieren. Das, ich sage auch dies zweifelsfrei, war schlicht ein Freud'scher Versprecher. Nach der Landung in Hamburg entschuldigt man sich für den turbulenten Anflug. Ich nehme es gelassen zur Kenntnis, schließlich bin ich Wirbel am Ende meiner Tragflächen gewöhnt. Ich selbst orientiere mich weiter ganz in Ruhe.
Gut, daß Sie wieder da sind ! In der Zivilisation !
Wiener Blut Luft führt ja bei längerem Aufenthalt in Österreich un-zwei-fel-haft zur Verformung:
Man redet plätzlich komisch, bewegt sich langsamer, findet Genuß an der Provinz und absonderlichen Geschichten (und Tänzen), will Hofrat werden und nimmt noch mehr als in anderen Landstrichen Bestechungeld an !
Frische Seeluft hilft desinfizierend !
Meine Versuche, Weanerisch zu reden, werden dort immer höflich belächelt. Auch ansonsten ist man meist außerordentlich liebenswürdig zu mir. Die österreichischen Frauen würde ich ja am liebsten alle sofort heiraten. Auch das Herz ist immer dabei, morbid, süße & verzückt. Dem Land fehlt halt ein Meer, für die Seeluft und das Wasser. Hier in der jodhaltigeren Luft... ach, ich bin noch gar nicht richtig wieder angekommen. Daß die Käsebrote dort alle überbacken oder paniert sind, ist natürlich ein Problem auf Dauer. Vielleicht sollte man schöne Österreicherinnen nach Hamburg entführen. Fortan glücklich sein, sieben Kinder, solche Sachen.
Ich müsste dort wahrscheinlich alle meine Einkäufe auf Händen und Armen balancierend aus dem Laden tragen. Ich leide da an dem gleichen Defekt wie der große Max Goldt: Auch ich würde es bei Billa an der Kassa nicht über das Herz oder gar über die Lippen bringen, a Sackerl, bittschön zu sagen.
Und dennoch: Ich muss da irgendwann auch noch hin.
Ham's a Sackerl dabei?
Machen Sie mal. Ich war da mal romantisch, ist auch schön zu zweit.
Dann merke ich mir/uns Wien mal vor für die Zeit, wenn die Kleine für die Zeit bei der Kinderlandverschickung unterkommt.
Ganz kurzfristig steht jetzt erst mal Maastricht an, das gilt ja gemeinhin als Geheimtip (und ist von hier aus nur einen Katzensprung entfernt).
Wegen des Buches, das
auf Sie gewartet hat - haben Sie
"Der Schatten des Windes" gelesen? Dann wissen Sie ja, was Ihnen blüht ;)
Schön, dass Sie offensichtlich eine unbeschwerte Zeit hatten.
Turbulenzen oder Wien? Ich kenne den Roman nicht, stehe grad auf dem Schlauch. Barcelona, auf der anderen Seite, sollte auch mal wieder drin sein. Dort gibt es sogar Meer.
Oh, den müssen Sie lesen. Großes Werk, finde ich!
Die Idee mit dem Aufsitzrasenmäher hat sich gerade in mein Gehirn gebrannt. Sicher träme ich gleich davon. Könnt ich mir gut vorstellen...
Kommt gleich nach dem kleinen Weinladen an der Ecke, den ich schon seit Jahren aufmachen will.
Sieh an, eine weitere Empfehlung. Ich werde mir das mal notieren. So ein
Aufsitzrasenmäher gibt einem ein ganz besonderes Gefühl. Von Macht. Und Rasanz. Rasanz natürlich auch.
"Der Schatten des Windes" ist ein ganz hervorragendes Buch. Spannend und liebevoll, feinsinnig geschrieben. Dass es in Barcelona (wo ich mich Ende Mai endlich mal 5 Tage aufhalten werde) spielt, ist ein sehr angenehmer Nebeneffekt.
Auf dem Rasen rasen tut dem Rasen nicht so gut... übrigens.
Jetzt bin ich ganz neugierig. Ich lese ja viel auf meinen ausgetretenen Pfaden. Sozusagen mit dem Aufsitzrasenmäher durch meine Bibliothek. Ich werde einen Seitenblick riskieren.
In letzter Zeit läuft mir dieses Wien immer wieder über den Weg, Künstler die daher kommen und auch noch gut sind, kunstbeflissene Besucher, andere liebe Besucher die Sacher Torte mitbringen, Fernsehberichte, Gedanken das ich da sowieso mal hinwollte und jetzt SIE......
Ich glaube diesen Somer ist es soweit. Könnte ich da evtl. bei einem Besuch bei mir oder sonst in Ruhe evtl. ein paar Geheimnisse erfahren???? fragt sich Herr K.
PS: Eine der schönsten Frauen Hamburgs kommt aus Wien.....
Sie waren noch nicht da? Unglaublich, da müssen Sie hin. Wirklich. Die Kunst tropft da von allen Decken, dann gibt es dort Ideen wie eine einzelne Zigarette in der Kneipe für 30 Cents zu verkaufen und auf einem kleinen Teller zu servieren, geht das noch entzückender? Ich muß Sie dringend wieder besuchen; wir tauschen uns dann aus, – daß eine der schönsten Frauen Hamburgs aus Wien stammt, glaube ich unbesehen, lasse ich mir aber gerne noch mal mit Leuchten in den Augen erzählen.
Den Verkauf einzelner Zigaretten gab es früher auch in Berlin, im "Lass uns Freunde bleiben".
Sehe ich richtig? Burgenland-Porzellan von Villeroy & Boch? Wie charmant, das in Wien zusammenzubringen! Wo die Bewohner doch die Piefkes und die Burgenländer so vehement ablehnen, dort. Man weiss ja, Wien ohne Wiener.
inzwischen sind wir wieder soweit :
man kann sie einzeln kaufen, fast überall.
Interessant. Ich finde das ja schick, mit der Vereinzelung (nur was Rauchwerk angeht), fast möchte man zum Raucher werden. In Wien waren wirklich alle sehr nett zu mir, ganz unkompliziert und charmant. Ich weiß natürlich, daß das nur Eindrücke und Momentaufnahmen eines Touristen sind. Alltag, das gilt nicht nur beim Rauchen, ist ja wieder etwas anderes. Obwohl - ich glaube, die Wiener(innen) sind selbst in problematischen Situationen charmant.
Sie wandern aus? Und gleich so weit?
Wieso weit? Das ist von Hamburg nur eine Stunde mit dem Flugzeug entfernt und damit näher als die 90 Minuten Bahn nach Berlin. Obwohl, die sind für manche ja auch schon zu weit. In meinem Herzen liegt Wien jedenfalls gleich um die Ecke. Und Sie sind natürlich eingeladen.
wie kann es anders sein: natürlich eine Mönchsgrasmücke!
Als Kind hätte ich es noch gewußt. Da wollte ich Ornithologe werden. Die
Beschreibung stimmte ja bis aufs Käppi genau.