Soul II Soul

How can it be that we're so far apart
I want it to be like it was at the start.

(New Order, "Primitive Notion".)



Während Emma durchs Land rast und heftig an den Fenstern rüttelt, wie ein Gast, der spät noch um Einlaß bittet, hängen mir obskure Getränkeexperimente nach. Was im Glas aussah wie frisch geronnenes Ochsenblut, fühlte sich im Mund dann an wie in Schnaps gelöste Erdbeermarmelade. Rechtzeitig erinnerte ich mich an den Sinnspruch meiner Väter: Trinkt nur klare Sachen, Kinder. Ich stieg um auf Wodka und verlebte einen glücklichen Abend, wenngleich am Mittag Morgen die Rechnung mit dem Schlaf nicht stimmt.

Schlapp machen jedoch gilt nicht, denn die famose Lady Grey will mich zum Tanz schleppen. Northern Soul im Hafenklang, vorher noch was interessantes Exotisches essen, dazu Biere aus Übersee. Am Tisch drohe ich kurz einzuschlafen, kann kaum berichten, über dieses oder jenes, von dem mir manches immer noch unfaßbar scheint.

Aber wir haben die Tanzschuhe gepackt und steigen die Treppe hinab in das von kreiselnden Lichtflecken durchbrochene Dunkel, aufblitzendes Lachen, bewegte Körper und eine Woge aus Musik. Man muß sich das wie im Video von Moloko vorstellen, die Mädchen tragen ihre Sixties-Klamotten, hochgesteckte Haare und enge Etuikleider - ganz etwas anderes oder weniger. Frau Grey, tänzerisch begnadet, reißt mich mit, und ich tue so, als wäre Hüftsteife bloß eine weitere Figur aus der Tanzschule. Ich liebe das Schwitzen, die Bewegung, und die traurig-trotzige Musik, die von tiefen Flüssen und hohen Bergen erzählt.

Be young, be foolish, be happy, immer wieder schaue ich auf die kleine Karte mit der Jahreslosung, die ich mir in meine Handfläche geklebt habe. Auf der Tanzfläche übt sich ein Paar im erotischen Engtanz, und ich denke, die machen es richtig. Ich hole noch Bier, schlängel mich durch die Menge, bin zufrieden im schummrigen Licht. Irgendwann, man spürt dort nichts von Sturm und Sonnenstand, ist die Nacht auf einmal kurz gewesen, irgendwann heißt es heim.

Als mich das Dunkel ausspuckt, liegt Hamburg im Regen. Der Wind ist auf einmal still. Ich spüre die kalte feuchte Luft, New Order im Ohr. Die Abende und Nächte, die ich lange vermißte. Für 48 Stunden Leben, stelle ich fest, braucht man nur drei Stunden Schlaf. Ab und an. Andererseits, wie so häufig im Leben gilt: Man wird oft spät erst wach.

Radau | 17:45h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
saxanasnotizen.blogspot.com - Sonntag, 2. März 2008, 20:49
Wie ich Sie beneide "Herr" Kid und wie ich es Ihnen gönne. Endlich, endlich dem Leben wiedergegeben.
Mein Bürgermeister hat gewonnen.

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kid37 - Sonntag, 2. März 2008, 21:35
Es sind ja immer nur sezierte Schnittpräparate, die in Blogs gezeigt werden. Nie das ganze. Aber dann doch, ja, ich versuche, mich langsam zusammenzuschrauben und die schönen Dinge, die passieren, auch zu nennen. Vielleicht habe ich das früher öfter mal versäumt. Glückwunsch zum Wahlergebnis, ich habe es gerade gelesen.

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gelsomina - Montag, 3. März 2008, 13:51
zu spät wach oder zu früh müde..
einen punkt zu setzen ist in jeder hinsicht mutig.
hin und wieder einen schluß zu ziehen wichtig.
die dinge auf den punkt bringen oft schwierig, aber es beginnt immer etwas neues.

passen sie auf sich auf, herr kid !!

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kid37 - Montag, 3. März 2008, 15:26
Die Stille nach dem Sturm
Zu spät wach oder zu früh müde: Auch eine Frage, die den Irrsinn vor Augen führt. Genau wie immer in den falschen Momenten entweder zuviel und dann eben zu wenig geredet wird. Bis irgendwann ein Punkt folgt.

Es gilt, die schönen Erinnerungen zu bewahren, bevor der Reißwolf kommt.

Und: Danke. Es liegt viel Stacheldraht im Weg. Und andere Trümmer.

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twoblogs - Montag, 3. März 2008, 17:43
Ja, K.T. ist ja wie O.T. unter einem Bild. Gefällt mir, weil das die wunderbarsten Momente sind. Jetzt, zum Beispiel ist plötzlich die Sonne rechts im Fenster aufgetaucht. Auf der weissen Wand vor mir ganz fein flimmernde Helligkeitsunterschiede, die mich dazu bringen hinauszusehen. Die Birkenästchen wippen. Auf dem hellblauen Himmel Scharen von Schäfchenwolken. Ich gehe ans Fenster und blicke direkt in die Sonne. Schnell geblendet. Die Augen geschlossen. Blechgeräusch. Gar nicht bemerkt hätte ich den Lkw, der vor dem Nachbarhaus steht, mit offenen Türen. Mann mit orangem Anorak. Er kämpft mit einem grossen blauen Plastikteil, er will es zusammenfalten. Mehr will ich nicht wissen. Audrii
PS: Gehört eine Stufe höher; da war aber Kondolieren nicht möglich, ;-)

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kid37 - Montag, 3. März 2008, 19:18
Ja, vielleicht hätte ich die Kommentare doch gleich offenlassen sollen. Navratil hätte wohl, besonders derzeit, seine Freude an mir. Danke für ihre Sinneseindrücke, Blechgeräusche höre ich schon das ganze Jahr. Und länger. Das große blaue Plastikteil steht wohl für mich. Völlig zurecht.

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rollinger - Montag, 3. März 2008, 18:40
gut gemacht, alles! Machen Sie weiter und bleiben sie bei den durchsichtige Sachen, das hilft.

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kid37 - Montag, 3. März 2008, 19:23
Ich fühle mich schon selbst ganz dünnhäutig durchsichtig. Man kann da viel falsch machen.

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