Aus der Bahn
Heute morgen dann in der U-Bahn, noch ein wenig schläfrig, weich, viel zu offen. Gegenüber sitzt auf einmal eine junge Frau, ich schaue für einen kurzen Moment, erkenne, korrigiere mich, bleibe gelähmt. Dieses Gesicht, verborgen unter einem Wust blonder Haare, die unter einer Mütze hervorquellen - dazu ein riesiger Kopfhörer, der sie weiter abschottet vor der Welt. Demgegenüber der neugierige Blick, ein waches Blau, das zurückblitzt, wenn das Licht von schräg oben in die Augen fällt. Die Nase. Es ist sie, denke ich, einen kurzen Moment, völlig verschreckt, mit klammen Gefühl und bangem Herzen. Es ist nicht sie. Es ist vielleicht eine jüngere Ausgabe, aber doch genau sie, ebenso schön, schmerzhaft nah, furchtbar, und völlig fremd.
Ich setze mich um, sie registriert es kaum, in ihrer anderen Welt, weit weg. Ich stolpere aus der Bahn, eine Station zu früh. In Hamburg scheint die Sonne. Hier nicht.
Hättste doch was zu ihr sagen können. Wieder eine verpasste Gelegenheit. Nimm Dir was Du brauchst! Das lernte ich vor Jahren und kann es auch nicht. Aber schlau daherschreiben, das kann ich.
Etwas in der Art: "Schönes Frollein, darf ichs wagen, Arm und Geleit ihr anzutragen?" Mit dem Spruch hats ja angeblich mal funktioniert...
Die war Mitte 20 und wunderschön, ich bitte Sie. Die sah durch mich durch wie durch eine aschfahle Nebelwand als sei ich ein halbtransparentes Inkontinenzplakat alter Mann. Dabei bin ich ja selbst noch ziemlich jung. Also im Herzen. Beim nächsten Mal gebe ich ihr meine Telefonnummer, sollte mir die einfallen. (Telefonieren mit mir ist auch gerade anstrengend.)
Dieser Moment. Wie ich ihn kenne. Aus
Veracruz und sie war anfang der 20.
Betonieren oder Verputzen können. Kernkompetenzen, wenn man Frauen beeindrucken will. Die Geschichte ist schön. Nur das Ende muß ich vehement ablehnen.
Es geht nicht um die Geschichte, Ihre kenne ich ja gar nicht. Die Parallele liegt in der Déjà-vu Begegnung.
Die fand bei mir 20 Jahre später allerdings nicht in der U-Bahn sondern im Kino statt.
Muriel in "Knocking on heaven's door."
Kino ist ja noch schlimmer als U-Bahn.
Gefällt mir.
Warum diese Distanz? Was meinen Sie? Weltenflucht, unterdrückte Ängste, Selbsthass oder gar Misantrophie?
Die wollte bei sich sein. Ohne Du - nur Musik und sie. Ängste? Vielleicht. Wer hat die nicht. Nein, in ihrem Blick lagen verträumte Neugier, offenes Interesse und ein kleiner Hauch Wehmut. Den mag ich mir eingebildet haben, aber ich finde, der steht einem gut. Nach vorne gehen, das alte nicht vergessen. Manchmal kann man es auch mitnehmen, ist ja vielleicht erprobt.
Verständlich. Demnach eine melancholische Suche nach ihrer Zukunft, die Vergangenheit im Auge.
Oder vielleicht doch "nur" Liebeskummer oder die Sorge um eine unbezahlte Studiengebühr?
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machen Sie sich wegen dem ALtersunterschied keine gedanken. Hier bei mir klappte das auch und läuft perfekt.
Solange man Leichtigkeit nicht mit Leichtfertigkeit verwechselt, kann vieles klappen. Und was das Alter betrifft: Man muß die Geburtstage zusammen feiern können. Solche Dinge sind sehr wichtig.
Sie brauchen sehr dringend endlich mal eine Rothaarige! Das geht so nicht weiter.
Ich hatte sehr schöne Beziehungen zu Rothaarigen. also auch nicht so schöne, aber auch schöne. Überhaupt, Schwarz-Rot-Gold. Vielleicht bin ich mittlerweile eher so der Brünett-Typ. Eine, die mich am Bahnhof abholt, so was in der Art.
Die Brünette ist die Blonde von morgen. Brünett ist wieder out. Ach, wenn sich so manches Mädel beim Coiffeur ihr Herz einfärben lassen könnte.
Von Liebe darf man nicht nur reden, Liebe muß man auch zeigen. Rotes Haupthaar ist kein schlechter Platz dafür. Oder eben rothaarig im Herzen.