Mittwoch, 29. Juni 2011


Gerade geht auch alles immer schneller. Es liegt so ein schnaufendes Stampfen in der Luft, als hinge man zwischen großen Zahnrädern an einer dampfbetriebenen Pleuelstange, so hilflos wie an einem Kleiderbügel, während man auf und ab und rundherumgeschleudert wird. Zisch! Pfff! Zisch! Pfff! - so geht das hier den ganzen Tag. Zisch! Pff! Zisch! Pfff! Herr Kid! bellt es durchs Telefon, Panik im Maschinenraum, während ich gerade hochgeschnellt werde und hilflos an der Decke zapple, die Ärmel hochgerutscht, die Hosenbeine hochgerutscht, die Sockenhalter entblößt, die mageren Arme, die nicht weit genug hinabreichen zum hitzestrahlenden Telefon. Bis ich wieder hinuntergestoßen werde, wie ein abgeschossener Nagel aus einer Druckluftpistole, auf dem schwer ächzenden Drehstuhl lande, der empört wie ein bockendes Wildpferd den Rücken krümmt, mich wieder hinaufwirft, wo die Maschine schon wieder an meine Gurgel faßt, schnaufend und mit ölverschmierten Zangen.
Dabei könnte ich längst schon aufsitzen, Auf Wiedersehen! sagen, freundlich in die Runde nicken, mich an den Strand setzen, auf einen Rettungsschirm warten, weil pünktlich zum Feierabend der große Regen kommt.

Sonntag, 26. Juni 2011

Jetzt, also im direkten Vergleich, kommt mir ein Gedanke, warum dieser Miniapfel, den ich billig auf dem Flohmarkt gekauft habe, nicht so leistungsfähig ist, wie das Original, von dem er - das muß man zugeben - täuschend echt abgekupfert wurde. Ich meine, da wäre doch jeder drauf reingefallen!
Zuerst dachte ich, er sei einfach nur kaputt. Jetzt aber habe ich Zweifel, ob es sich wirklich um eine lizensierte Fertigung, ein Sondermodell im Öko-Look oder schlicht um eine sehr, sehr dreiste Kopie handelt.

Dienstag, 21. Juni 2011
Mein Roman Mein Kännchen ist draußen, eine grotesk-anmutige Farce über das Leben eines alternden Erotomanen an der Südküste einer bekannten deutschen Großstadt, entstand in zahlreichen erinnerungsreifen lauen Abenden im mit allerlei Reizen gefüllten Vorsommer, der meinen alten Bekannten T. und mich oft genug in die Zeit nach Mitternacht warf. Man kennt das: Man redet, trinkt etwas, lungert herum wie zerknüllte Kippen in einer Jackentasche, redet wieder was und kommt den großen Geheimnissen des Lebens und dessen Gefühl auf die Spur.
Ich also, sage ich in dieser Zeit dem T., und versuche in Schönschrift ein paar Zeilen zu schreiben, wo eigentlich Seiten um Seiten um Seiten folgen sollten. "Astra ist auch ok", höre ich den T., der mir nicht ganz bei der Sache zu sein scheint. "Hören wir zu?" frage ich. "Natürlich," sagt er, "aber die nächste Runde geht auf dich."
"Guck mal die Ische", ruft er, setzt nach mit einem dreifachen "Wow! Wow! Wow!" Ich lausche angestrengt, denn gerade hatte ich noch einen Gedanken, der sich nun aber wie auf trippelnden Freiersfüßen an der Straßenecke davonmacht. Der T. winkt irgendwohin, ich mache etwas genervt so eine Art von Geräusch, er so: "Was denn?!" Ich fahre fort in meiner Rede an niemanden. "Man muß es mal so sehen", sage ich. "Da ist so ein Gefühl. Du weißt doch", wende ich mich direkt an den T., "was das ist, Gefühl." Klar, sagt der. Gefühl. Logo. Haben wir doch alle mal, sagt er und nimmt noch einen Schluck.
"Boah", höre ich ihn, wie von Ferne. Ob das noch ein Gürtel sei oder schon ein Rock, es sei ja noch nicht einmal Mai. Himmel, denke ich, jetzt geht man einmal aus. Vorstadt, ruft er vergnügt oder verächtlich, ich kann das nicht immer unterscheiden. Die kommt aus der Vorstadt. Ich sage, Hallo, also so ein streng-ermahnendes "Hallooo", sind wir heute wieder 16, was ist los, ich wollte doch was sagen.
"Klar", sagt der T. "Sag, Mann." Ich hebe also an und eine große Grube aus, stecke sozusagen den Claim ab, den umzugraben ich mir vorgenommen habe. Ein fetter Schlitten röhrt vorbei, eine Hand hängt daußen, die Finger zu Teufelshörnern geformt, der T. kichert, sagt: "'Tschuldigung, daß ich unterbreche, aber..." Ich denke, aber, aber, wasdennaber, ich habe ja noch gar nichts gesagt. "SPACELOOORD, MOTHERFUKKER!" brüllt der T. ganz laut, schwenkt sein Bier dem Wagen hinterher und bricht in Gelächter aus. "Geile Karre!" Ich mache ein Geräusch, vergnügt oder verächtlich, ich kann das nicht immer unterscheiden.
"Ok", sagt der T. "Du wolltest doch was sagen." Schon gut, sage ich mit einem Seufzer. "Laß uns mal weitergehen. Wird eh bald alles abgerissen."

Sonntag, 19. Juni 2011
Jetzt hätte ich beim Rausschauen aus dem Fenster fast eine Herbstattacke bekommen.
(die gute Nachricht: In sechs Wochen kommt schon wieder die neue Herbstmode.)

Montag, 6. Juni 2011

Vor der Sommerpause noch einmal Bewegungsprogramm. Musik zur Nacht, flirrende Lichter, Mädchen in engen Sixties-Kleidern, schwubbernder, krächzender Soul unten am Hafen und Wehmut im Herzen. Im Goldenen Salon läuft Beatprogramm, das Publikum ist sehr jung, die Ponys sehr gerade, die Kleider kürzer. Hier wird die Hoffnung herbeigetanzt: Bei "I Saw Her Standing There" von der Gruppe aus Liverpool ist die Tanzfläche schweißtreibend voll. Diese Jugend ist nicht verloren.
Nächster Tag dann schneller als die Sonne zum Frühstück nach Eimsbüttel, es ist bereits unangenehm heiß, als ich ankomme. Auf dem Flohmarkt (jetzt also: Eppendorf, man muß es leider so sagen) schleicht der Chefredakteur einer großen Hamburger Wochenzeitung in dicker Cordjacke durch die sengende Hitze. Kurz darauf sehe ich noch Deutschlands großen Kameramann mit schicker Sonnenbrille und verweile wenig später kurz vor dem Geburtshaus von Jan Delay, das eine illustre Geschichte aufweist und überhaupt sehr schön ist. Man sollte geführte Touren anbieten: Hamburg, wo man kennt. Auf den glühenden Tischen hingegen finde ich nichts, bemerkenswert viel Plunder hat den Weg aus den Kellern und Abseiten nach draußen in die Sonne gefunden. Es muß alles da liegen bleiben.

Sonntag, 5. Juni 2011

#1 Österreicher 1 - Marmeladinger 2, das soll wohl die Ordnung der Dinge darstellen. Die Tagesereignisse ziehen nach ihren ganz ähnlichen gerechtigkeitsfernen Gesetzen vorbei. Am Ende watet man wie ein Metzger im Blut, giert nach einer Fluppe und dem Heulen der Fabriksirene, geht hungrig hinunter zum metallenen Tor, wo mir Frauen Gurken schenken. Ich bin doch nicht Jeck, sage ich, da pfeife ich doch drauf. Der Tag indes liegt da wie heiße Rotze im Tee.

#2 Alles ein aufgewärmter Schlotz. Ich sage, ich esse nichts, ich trinke nichts, ich atme eine Erinnerung. Hinter den Kulissen malt eine unverfroren an der nächsten Fälschung, ich tippe ihr auf die Schulter und sage, das kenne ich nun schon, diese Geschichten, gleich klimpern Sie mit den Augen, lachen eine Spur zu laut, malen ein falsches Datum darunter oder erklären, da sei nix, ich würde mich täuschen, wo ich doch ganz genau sehe, wer hier der Täuscher ist.

#3 Alles bloß annagen. Die Momente festhalten. Manchmal, so erkläre ich später, sei es mir fast schon zu viel. Weil ich denke, die meinen das womöglich wirklich ernst, an den Stellen, wo sie mich aufziehen könnten oder einen Hintergedanken haben. Man muß auch das aushalten können. Man muß das auch aushalten können. Man muß da ganz tapfer sein.

Montag, 2. Mai 2011

Den Maibaum umtanzt, der heuer ausschaut wie eine vergessene Weihnachtsdekoration und etwas welk über der Reling hängt. Wellenglitzern in der Abendsonne (das kann nur Hamburg, Baby, sag ich so zu einer Unbekannten), scharf geschnittene Sixties-Anzüge und der dringende Wunsch, nach Jahren mal wieder eine Zigarette zu rauchen. Die trotzig ertragenen Widrigkeiten. Tanzen gehen.
Die alten Geschichten sind die alten Geschichten. Und immer noch eine wertvolle Lektion.
>>> Geräusch des Tages: Baby, It's You

Mittwoch, 27. April 2011

Also folgendes, man denke sich das so in der Kurzversion: Herr Kid versucht, Frau Gaga Obstblüten mitzubringen und kommt auf den Hund. Nachdem es zuletzt nämlich nicht mit dem Übersetzen ins Alte Land geklappt hat, unternahm ich es nun, weiter östlich den Stadt- und den Weltkreis zu befahren und der Frau Gaga die blaue Blume der Ostbaumblüte zu fnden. Das Spadenland ist da allerdings nicht so ergiebig, der Rhythmus aus Deiche, Felder, Deiche, Felder wird dort eher von dem ein oder anderen Windrad synkopisch durchbrochen, denn von einem Apfelbaum.
Dafür schießt ein kleiner aufgebrachter Hund aus einem Wohnmobil, dem Radler nach der Wade schnappend, verfolgt von einem Rentner mit hochrotem Kopf. Warum, schreit er, man nicht anhalten würde. Und, noch nie in freier Wildbahn, sondern immer nur im schlechten Sketch gehört, auf meinen Protest und Vorhalt setzt er tatsächlich nach mit: Der wolle "doch nur spielen". Allein dafür lohnt es sich ja schon, ab und an wenigstens die heimische Bibliothek und Dunkelkammer zu verlassen und auf Menschen in der sogenannten Realität zu treffen. Demnächst, ich bin fast sicher, werde ich irgendwo unten am Deich auf eine Mario-Barth-Type stoßen (haha, "stoßen"!), der mir was von einer gewissen "Uschi" erzählen will. Hömma.
Zuerst aber betrat ein weiterer Hunderentner die Bühne und behauptete, ich hätte den Hund ja "selbst herangepfiffen". Was für ein gut erzogener Hund, denkt man still bei sich und mit augenrollendem Blick zum Himmel, läuft in Radfahrer, läßt sich von Fremden heranpfeifen... innerlich aber habe ich mich in solchen Momenten längst zurückgelehnt, weil ich denke, daß ist jetzt ein absurdes Theaterstück, schreib mal schnell die Dialoge mit, gleich erzählt jemand was von Nashörnern, die auf einen gewissen G. warten. Pfiffe also. Tinnitus vielleicht oder ausgedehntes Sitzen in der Sonne, ohne Obstbäume fehlt es dort eben auch an Schatten.
Ringsum zudem eine Badeseestimmung: eine ins Endlose geparkte Autokarawane, Ostermotorräder, auf dem Uferstreifen Decke an Decke an Decke. Der Mitmensch als seine eigene soziale Plastik am Wegesrand, aber ohne weitere Wärme.

Mit der schwimmenden Tanzdiele durch den nächtlichen Hafen, andere Eindrücke, andere Spacken. Durch einen Studenten, Ende 20, Typ Sauberbravgeleckt, letzteres aber nur von der hütenden Mutter und einem spuckegetränkten Taschentuch, spricht sein eigener Vater, Typ BenzvorderTür. Die Freundin deutet ans Ufer, fragt, ob es Hausboote seien, er antwortet wie fest ins verengte Weltbild gemeißelt: "Das sind so Spinner." In Fahrt gebracht, moniert er die angeblich "katastrophalen hygienischen Zustände an Bord" und kommentiert die hier und da im Hafen untergebrachte Aktionskunst mit "entartet". Zum Glück macht seine Freundin eine spitze Bemerkung, so daß bald Ruhe eintritt, während ich schon denke, noch ein Wort, Junge, und du gehst über Bord. Ist Hamburg hier, das geht ganz schnell.
Die Ufer sind dunkel, nur vereinzelt schlackern kleine Feuer durch die Nacht. Mich hält die Reling fest und die Sehnsucht über Wasser.
>>> Vamos!

Mittwoch, 13. April 2011
Von meinen bislang 37 Romanen hat sich ausgerechnet Wer liebt den Wasserfall, wenn er ganz unten ist? am besten verkauft. Ein kitschiger Schinken, eine Gelegenheitsarbeit, gespickt mit Kalendersprüchen und abgewandelten Benjamin-Franklin-Lebensweisheiten, die mich wie lästige Fliegen umschwirren und ebenso schwer abzuschütteln sind.
Trost allerdings spenden sie mir in diesen Tagen, alldieweil die elektrischen Rechner in meinem Haushalt sich wie trotzige Teenager aufführen, wichtige Betriebsbestandteile vor mir verborgen halten und steif und fest behaupten, von einer Veranstaltung namens "Internet" noch nie etwas gehört zu haben. Wenn ich darum bitte, im virtuellen Haushalt mitzuhelfen, den Blogmülleimer runterzubringen beispielsweise, neue Fotos einzukaufen oder eine MP3-Datei fürs Abendbrot vorzubereiten, heißt es nur Pfff, es wird gelangweilt an der Festplatte gedreht oder sie vor meinen Augen aufreizend und provokativ hochgejault, daß man gleich schimpfen möchte, He, laß das bitte, die geht kaputt, aber man weiß ja wie das ist mit pubertierenden Systemen: schreit man sie an, schreien sie bloß lauter.
Mit Hilfe der therapeutisch arbeitenden Super-Nanny Linux allerdings, eine warmherzige Mama vom Stamme der Ubuntu, die mit gütigen Händen und erstaunlichen Einblicken in die vor den erziehungsberechtigten Administrationseltern verborgenen Systemdateiwinkel der Windowsseele dem verbockten Familienmitglied das ein oder andere bedrückende Problem entlockt und mit ein, zwei, drei Kopierschritten wieder geraderückt, ist immerhin bereits so etwas wie Friede am Frühstückstisch zurückgekehrt. Zersplitterte Ini-, Def- und Sys-Dateien liegen zerschlagenem Geschirr gleich noch herum, dafür sind die offenbar zum Haarefärben zweckentfremdeten guten Handtücher nur leicht lädiert im Schrank wieder aufgetaucht.
Kurz gesprochen, die Rechenmaschinen benehmen sich wieder einigermaßen wie verläßliche und nicht nur von Launen gesteuerte Mitglieder meines kleinen Haushaltverbunds. Ein bißchen Aufräumen, vielleicht noch einmal väterlich über diese merkwürdige Frisur reden oder den pöbelhaften Ton, der sich hier und da noch einschleicht, dann aber heißt es hoffentlich bald wieder, wir sind one family, ein Team und können bald gemeinsam wieder diese kleine Bloghütte befüllen.

Montag, 11. April 2011
Zuletzt wieder Schüsse hier im Ghetto, nachdem neulich erst einer seinen Wagen nach einem während der Fahrt erlittenen Kopfschuß in die benachbarte Grünanlage lenkte. Von wegen Rentnerviertel. Diesmal ist alles noch schlimmer, "Beziehungstat" sagt man dann, und: er war so ein harmlos wirkender, unscheinbarer Nachbar, und man fragt sich, wann endlich diesen "Sportschützen" die Knarren abgenommen werden.
Vor zwei Jahren wurde im Parkhaus des gegenüberliegenden Fitneßstudios auf einen Luden geschossen, später feuerte einer mit einer MP auf der nahen Tankstelle herum. Ein Nachbar ballert manchmal nachts raus auf die schlafenden Enten unten am Kanal, das wiederum hat fast schon so was folkloristisch-hinterwäldlerisches, demnächst wird er auf seinem Balkon Eichhörnchen grillen.
>>> Ria van Dijk sammelt seit 1939 bis ins hohe Alter ihre Selbstporträts vom Foto-Schießstand auf der Kirmes.
