Das verflixte siebte Jahr

Looking so sweet to me
Please come to me
With your cold flesh
My cold love
Hissing - not kissing
A happy go lucky chap
Always dressed in black
He’ll come to you, he’ll come to you

(Siouxsie and the Banshees, "Nightshift")

Über die Banshees habe ich immer viel zu wenig geschrieben. Ich rede - streng genommen - auch wenig über sie, und wenn dann nur in (meist nur für mich) bewegenden Momenten. 1980 kaufte ich mir "The Scream", es war meine erste selbstgekaufte Punkplatte. Wie aber Siouxsie mal sagte, Once a Banshee, always a Banshee, verlor ich die Band aus verschiedenen Gründen nicht aus den Augen. Erst führten sie mich gemeinsam mit The Cure in meine Goth-Phase, dann fingen sie mich auf, als ich The Cure ab Mitte der 80er ihren Stadionrockweg alleine gehen ließ. Die Banshees hatten einen unschätzbaren Vorteil: Kaum jemand nahm sie ernst. Schon gar nicht Blätter wie die Spex. Für die meisten war das die "unhörbare" Band mit dieser Sängerin, die mit ihrer Frisur und ihrem Make-Up als Proto-Goth galt. 1984 oder so sah ich sie in Bochum und geriet ein wenig heftiger in eine Meute britischer BesatzungssoldatenAlllierter, die ihre Ellbogen in mich keilten, ihre Rotze dankenswerterweise aber nur Richtung Bühne schleuderten. Muß ich nicht haben, aber wenn man sonst keinen Kontakt bekommt? Tolle Zeit, aber.

Die Banshees haben alles überlebt. Robert Smith, der einst als ambitionierter Frontmann einer unbekannten Supportband den Banshees willig auf Tournee aushalf, unternahm später etwas verpennte Versuche, die Band kaputtzuspielen. Mitten in der Produktion von Hyena stieg er aus, um anschließend über die Presse mitzuteilen, wie "enttäuscht" er von dem Album wäre (den Kardinalfehler, seinen Beitrag, sah er lieber nicht). Aber da hatte er sozusagen noch einen gut.

"Was macht ihr mit euren Gitarristen?" wurde Siouxsie mal gefragt, und sie antwortete "Wir hängen sie an den Eiern auf". Ich fürchte, das ist wahr. Irgendwann gab ich das Zählen auf, gegen Ende wurden die Gitarristen auch immer farbloser - ein weiteres Problem der Band. Im Nachhinein finde auch ich, daß die Besetzung der ersten beiden Alben - trotz aller handwerklicher Mängel - die beste war, genuin Banshees. Das spätere Kerntrio, Budgie, Siouxsie, Severin, erreichte musikalisch ganz andere Dimensionen - aber selten noch die Wucht, Energie und schrille Dimension der frühen Alben.

Technische Expertise - ein weiteres Stichwort. Weshalb ich die Banshees liebe? Ganz einfach: Weil sie immer wieder scheiterten. Hoch hinauslangten und stets knapp vorbeischrammten. Und doch alles überlebten, immer neugierig blieben, Wagnisse eingingen, weitermachten...
Steven Severin betrieb lange Jahre die schrecklichste Webseite im Internetz - ein von ihm stolz selbstdesigntes augenkrebsförderndes Machwerk aus Pink- und Cyan-Tönen, wie eine CGA-Grafikkarte auf Extasy. Ich schrieb ihm mal eine Mail dazu und forderte Besserung, was er britisch höflich, aber unnachgiebig ausschlug. Nun hat er was Neues - und versteckt den Menüpunkt "News" irgendwo weit unten.

So sind sie: Immer gut gemeint, immer interessiert an Mode, Kunst und Diskursen - aber wie früher bei der genial-dilettantischen Arbeit an ihren Instrumenten, fehlten am Ende ein wenig die Mittel. Aber man muß wissen, anders als Robert Smith waren das Leute, die quasi ohne Schulabschluß loszogen, um bei den Konzerten der Sex Pistols abzuhängen, sich von irritierten Bürgern verdreschen und später jahrelang auf der Bühne anspucken zu lassen. Na, das hätte ich doch längst hingeschmissen! Aber ich habe ja auch Abitur, und deshalb kann aus mir nichts werden. In der Hinsicht.

Sieben Jahre schwiegen sie, sieben Jahre hieß es "Siouxsie and the Banshees 1976 - 1996 R.I.P." Aber 2002 gab es tatsächlich eine weitere Tour durch Japan, Nordamerika und Europa. Am 9. und 10. Juli spielten sie in London, wo auch das Konzert für die DVD gefilmt wurde. Dabei verzichteten sie weitgehend auf platte Hits zugunsten früher und verquerer Stücke. "Nightshift", zwar ziemlich nachlässig zersägt von Gitarrist Knox Chandler, aber immer noch ein Stück, das "Tomorrow Never Knows" von den Beatles als harmloses Psychedelic-Frühstück klingen läßt. Apropos Beatles: "Helter Skelter" haben sie schon gecovert und natürlich "Dear Prudence" ihren größten Hit in England. Aber auf so einer Sentimental Journey von Tournee ausgerechnet das eh schon schwer genießbare "Blue Jay Way" als Zugabe zu bringen, zeugt schon von einer Menge Witz - und Verstand. "Icon" kommt mit derbem Patzer, aber he, immerhin, "Monitor" war wohl für MTV geplant, so viele Schnitte, Zooms und Schwenks tauchen da urplötzlich auf, "Metal Postcard" mit ausufernder Ansage von Siouxsie auf Deutsch... überhaupt Siouxsie. "Die heirate ich auch mal", brabbelte ich einst in jungen Jahren, bis ich etwas klarer denken konnte. Was soll ich sagen? Es ist noch mal gut gegangen für Susan Janet Dallion und mich. Jetzt ist sie auch schon 37 oder so und nicht mehr ganz bei der Stimme, mit der sie früher Glas zum Zerspringen bringen und Bäume von Krähen befreien konnte. Aber müßte ich heutzutage Singen... ach, süßer Vogel Jugend, lassen wir das.

Ja, der Konzertmitschnitt legt alle möglichen Stolperer und Schnitzer bloß und noch viel mehr großartiger Momente, kurzer Andeutungen, was je und immer möglich (gewesen) wäre, hätten sie und wir unsere Jugend irgendwie zielgerichteter in nur eine Ecke getreten, geboxt, getrieben - und die ein oder andere Flasche dabei links liegen gelassen (Von Mäusen, Menschen und Alkohol). Und wenn am Ende dann alle verschwitzt und verschmitzt auf der Bühne stehen... dann kann ich ein Stück weit immer auch mich selber sehen: Bruised, battered, ever tried, ever failed.

Aufgestanden, weitergemacht.

Und um es mal nicht so pathetisch ausklingen zu lassen, da hat ja auch keiner mehr Bock drauf: Zur allerletzten Zugabe holen sie das japanische Mädchen-Trio Exgirl auf die Bühne - in quietschbunten Froschkostümen - um gemeinsam "Peek-A-Boo" anzustimmen. Können diese Menschen schlecht sein?

Radau | 13:45h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
ana - Freitag, 12. Mai 2006, 16:10
Es ist doch recht tröstlich, dass die Musik, die Kunst ganz allgemein, auch in ihrem vom Bürgertum akzeptierteren Varianten, Menschen ohne Abitur eine Möglichkeit zur ( öffentlichen ) Selbstentfaltung bietet. In Punkto Punk kenne ich mich nicht besonders aus, aber manche frühen Enfants terrible, Frank Zappa zum Beispiel, sind am Ende sogar in der sogenannten klassischen Musik gelandet.

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Lu - Freitag, 12. Mai 2006, 16:47
ich habe meine schlimmsten, längsten und auch sonstwie gearteten drogen und jugendexperimente ausschließlich auf "spellbound" gemacht, und kann dieses album selbst heute noch nicht ohne aussetzer nach früher hören.
sensationelle musik.

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ana - Freitag, 12. Mai 2006, 19:03
"spellbound"
Ich kenne selbiges Album leider nicht, nur den gleichnamigen Hitchcock-Film. Zappa finde ich immer noch sensationell. Schade, dass er so früh verstorben ist!

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cabman - Freitag, 12. Mai 2006, 21:10
Sei mal nicht so streng mit Robert, hat doch seine Musik massgeblich mein Leben begleitet, oder wie Du schon mal hier so treffend schriebst, ist dies mein Soundtrack. Die Banshees finde ich gut, keine Frage, aber die Vielzahl der Erinnerungen sind an Cure gekoppelt.

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kid37 - Freitag, 12. Mai 2006, 22:49
Das Album heißt JuJu und gilt vielen als das beste, eingänglichste und stilprägendste Werk der Band. Hits darauf sind "Spellbound", "Arabian Knights", "Monitor", das oben zitierte "Nightshift und "Voodoo Dolly". In den frühen 80ern kam keine Gothic-/New-Wave-Disco ohne "Spellbound" aus. Die traten damit sogar im ZDF-Sommergarten auf, sehr bizarr.

Robert Smith has a lot to answer for. Ich darf das sagen, ich war zwischen '80 und '86 der größte Cure-Head. Da war ich auch noch jung und beeinflußbar. (Heute nur noch usw.) In der Banshees-Biografie von Mark Paytress kann man einige unschöne Dinge nachlesen. Aber wäre es nicht so gekommen, wäre es anders dumm gelaufen. Ich schätze, den Banshees hat in erster Linie ein beratender, wohlgesonnener Art-Director gefehlt. Jemand wie George Martin, der den Beatles die Flöten- und Orchestertöne beibringen konnte. Oder wenigstens jemand wie McLaren, der die Pistols zum Laufen brachte.

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cabman - Freitag, 12. Mai 2006, 22:54
Warum war? Welches ist das Ereignis, dass einschnitt?

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kid37 - Freitag, 12. Mai 2006, 23:20
Frau Fragmente ist ja gerade im Curelaub, da kann ich es nochmal kurz erwähnen. Das Ereignis hieß unter anderem The Head On The Door und einige persönliche Mißstände dazu. Sagen wir mal vorsichtig: plötzliche Erkenntnis, um das Wort "Erleuchtung" an dieser Stelle zu vermeiden. Ich sage es Ihnen jetzt schonend: The Cure sind... ach, egal. Interessanterweise fand die Spex die Band dann zusehends interessant und wichtig, nachdem dort jahrelang über das "Gejaule und Gejammer" nur abgelästert wurde. Ich als Jammerblogger weiß, wovon ich da rede.

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cabman - Freitag, 12. Mai 2006, 23:37
Ich war auf alles vorbereitet und the head on the door ist so schlecht auch nicht. Nicht so gut wie faith oder pornographie aber immerhin. Frau Fragmente wirkt auf jeden Fall sehr sympathisch auf mich. Ich werd sie mal fragen, ob sie damal in der Alsterdorfer Sporthalle so störend geschrien hat.

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kid37 - Freitag, 12. Mai 2006, 23:48
Superstition von den Banshees ist zugegenermaßen noch schlechter. Aber ab HOTD wurden Cure zur Top40-Band und Smith vollends egomanisch. Dikatorische Züge machen mich bei anderen immer nervös (bei mir selbst merkwürdigerweise weniger). Eine jüngere Cousine von mir hatte Mitte der 80er plötzlich zwei Bravo-Poster überm Bett. Links Robert Smith, rechts Thomas Anders von Modern Talking. You couldn't spot the difference no matter how hard you tried. Heute läuft der Mann als seine eigene Karikatur herum, aber warum nicht? Ich hoffe, es wird weiterhin viele harte Fans geben. Ich besitze noch einige seltene Singles aus der Frühzeit, die dereinst meine Rente sichern sollen.

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Lu - Freitag, 12. Mai 2006, 23:55
juju
stimmt, ich war zu faul, die platte im schrank zu suchen.
arabian nights ... gott, was gäbe ich jetzt dafür, das zu hören.

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kid37 - Samstag, 13. Mai 2006, 00:30
I heard a Rumour
Hier ist das Video . ;-)

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fragmente - Sonntag, 14. Mai 2006, 18:45
Da ist man ein Mal im Urlaub...

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