Das Leben ist keine Loggia. Deshalb lungerten Literaten im letzten Jahrhundert in Cafés und spelunkigen Nachtschuppen rum, zwecks Weltdiskussion und trunkenen Untergangsshantys. Gedichte dann als Après-Pulverschnee: Hier ein Ach! und dort ein Oh! im zehrenden Ringen um A wie Anerkennung bis D wie demütigsten Dank Herr Doktor für die freundliche Überlassung von 100 Mark, die Sie garantiert zum nächsten 1. des nächsten Monats... Usw.
Walter Rheiner (1895-1925) hieß eigentlich Schnorrenberger, was vielleicht Programm war, sich aber nicht gut auf Buchumschlägen machte. Der Kölner trudelte gen Berlin und schrieb, nicht ganz unerfolgreich, Gedichte im hymnischen Exklamationsstil und veröffentlichte in den relevanten Magazinen der Zeit (u.a. Die Aktion, Der Sturm). Von Dresden aus betreute er auch selbst eine zeitlang die Zeitschrift Menschen und kumpelte ansonsten in der Szene: Rheiner, zeitlebens in finanziellen Nöten, war bekannt mit den Golls, Else Lasker-Schüler, Hasenclever und dem Maler Conrad Felixmüller, ergab sich sonst aber seiner Morphin- und Kokainsucht, tourte durch Heilanstalten, träumte vom Erfolg und erlag der Sucht (und Hoffnungslosigkeit) mit 30 Jahren.
Frau und Kind (ein zweites war in einem Berliner Kinderheim) harrten derweil bei der Mutter in Köln auf Fortschritte oder wenigstens Geld für Brot und Marmelade, während Rheiner den Hausstand versetzte und Bewerbungen schrieb, in denen er sich als "großer Dichter" pries. Überhaupt, neben der deprimierend vorausschauenden Novelle Kokain (1918) ist seine Korrespondenz voller faszinierender Einblicke. Stell dir vor, jammerte er nach Hause, da habe ihm ein Kollege Geld gepumpt, hinterrücks (!) aber bekundet, er, der große Dichter Rheiner, ob der sich nicht schäme, solle mal Verantwortung für Frau und Kinder übernehmen, quasi was arbeiten und nicht im Wirtshaus rumhängen. Eine Unverschämtheit! Rheiners Frau Friederike, genannt "Fo", schrieb allerdings statt Trost zu spenden kühl zurück, sie könne diese Anwürfe allerdings Wort für Wort unterschreiben, wie lange er denn noch auf den Durchbruch als großer deutscher Dichter warten wolle und ob es nicht an der Zeit sei, sich um die Familie zu kümmern. Da war der Rheiner ganz zerknirscht und gelobte Besserung, kam aber weder von der Nadel noch von der Selbstverblendung los. Den Rest erledigte das Großstadtgetriebe.
Hundert Jahre später diesem Ehekrach (Friederike ließ sich scheiden) beizuwohnen, ist ein wenig wie bestimmte Blogs lesen und sich - ganz unliterarisch - einen Reim zu machen. Eine fröstelige bis muntere Faszination. Seine Gedichte zeigen einen wohl oft von sich selbst überwältigten Autor, haben dabei aber häufig eine hübsche Schonungslosigkeit. Expressionistische und erstaunlich aktuell wirkende Stadtbeschreibungen sind darunter wie In Wandel-Halle eisig kalter Tage/Erschauern wir. Wir liegen in den Ecken/Uns überfährt (mit grobem Fluch) ein Wagen.
Der schönste künstlerische Nachruf stammt vom Freund Conrad Felixmüller, dessen Bild den Rheiner zeigt, wie er endlich in den Himmel steigt, die Spritze noch in der Hand.
Werde heute um 21 Uhr für Friederike, sowie stellvertrend für jene,welche sich in schwierigen Situationen bef(a)(i)nden und den Absprung geschafft und nicht aufgegegeben haben, klatschen. Machen Sie mit ❓
"Der dumpfe Bahnhof in der Sommernacht
brüllt wie ein Tier, und in der weiten Halle
stehn tausend Menschen, stumm und dunkel alle
und in sich zu,als gingen sie zur Schlacht."
("Ankunft")
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
Rheiner hatte imerhin einen gewissen Erfolg, er hat recht viel veröffentlichen können. Wenn auch "nur in kleinen Verlagen", wie Friederike ihm mal gegen seine Behauptung, ein "großer Dichter" zu sein, vorrechnete. Tat ihm sicher auch weh. Fakt ist, in die relevanten Anthologien wie Menschheitsdämmerung hat er es nicht geschafft. Zweite Liga sozusagen.
Nie Alkohol getrunken, nie Drogen genommen und wegen Pitigrillis `Vegetarier der Liebe` bin ich Veganerin geworden.
Kleine Verlage bleiben kleine Verlage bleiben klein. Find aber feinfühlig wie Sie diese kleinen großen Stiche rausarbeiten.
Mir fehlt das ganze Drogenpublikum derzeit so gar nicht.
Weiß noch nicht, wie ich mich daran wieder gewöhnen soll, wenn sich der Arbeitsweg wieder ändert.
Ab und zu härte ich mich momentan eh ab, und nehme abends den Zug statt der Bim - aber... *schüttel* Die paar Wochen Veränderung haben ihre Spuren hinterlassen ; )
Mit 18 Einserschüler, Athlet (Fußballer, Oberschenkel wie Uwe Seeler), Look wie Elvis, Geld im Elternhaus. Und in puncto Leben täppisch wie zwei linke Hände mit 10 Daumen.
Wär das Kartenhaus eher abgekackt als es ist, hätte das seinem Pfad vielleicht einen Schubs gegeben, was weiß man. Menschen nur durch Worte zu erreichen, klappt fast nie, wenn es um mehr geht als Jux und Dollerei und Kochrezepte.
Pitigrillis Kokain hab ich ausprobiert, fand ich schlaff.
@Glumm: Es ist lange her, daß ich einiges von Pitigrilli gelesen habe. Bin aber froh einige Bände aus dieser hübschen Rowohlt-Ausgabe mit den holzschnittartigen Titelbildern von Hendrik Dorgathen zu besitzen. Ansonsten ist inhaltlich die Erinnerung ein wenig verblaßt, in jüngeren Jahren hat es mir gefallen. Vielleicht sollte ich da mal wieder ein wenig reinlesen.