Freie Zeit am Morgen




Als ich heute morgen unter einer nebligen Sonne am Cembalo saß und ein wenig gedankenverloren herumklimperte, fragte ich mich, wie andere Menschen wohl ihren Tag beginnen. Sport machen einige, das weiß ich. Erstmal weglaufen. Andere führen bereits die ersten durch Mobilfunk übertragenen Telefonate, gerne auch im öffentlichen Raum. Derweil sitzen viele erst einmal nur leblos da, starren mit mühsam geöffneten Augen in eine unfokussierte Ferne und stellen sich existentielle Fragen. "Wer bin ich?" und "Was um alles in der Welt brachte mich hierher?" Anders aber als beim allerersten Mal, als diese Fragen sich durch ihren noch unentfalteten Kopf quälten, haut ihnen niemand zum Wachwerden und Losmarschieren einen ordentlich Klaps auf den Hintern, so daß sie sich nun mit einer oder auch zwei Tassen starken Kaffees selber prügeln müssen.

Ich wechselte zu a-Moll was selbst ein Cembalo seltsam klingen läßt, und dachte weiters über Hobbys nach. Ich selbst habe leider keine, ich bin da wie in so vielen anderen Dingen schwer vermittelbar. Immerhin, ich kann gut Unverständnis ernten, so daß ich immer mal wieder daran dachte, mich zur Entspannung im Gartenbau zu versuchen. Dies aber ist, so erfuhr ich neulich, ein Saisonbetrieb. Damit wird sachlich umschrieben, daß man zu bestimmten Zeiten im Jahr echt viel zu tun hat. Bauernfängerei! sage ich da zu mir und wechsele in ein munteres Cis.

Einst hatte ich Besuch, der verwechselte meinen Kasten mit den zum späteren Studium gedachten Zeitungsartikeln mit dem Altpapier. Unverständnis, ich habe nicht übertrieben. Die Sache mit den Zeitungsartikeln aber läßt mich immer wieder an einen Kaffehausbesuch vor bald zwanzig Jahren denken. Ein mitgebrachter junger Mann erklärte auf die Frage nach seinen interessanten Hobbys, er hätte wohl keine. Doch, verbesserte er sich nach einigem Nachdenken, er würde Artikel über "ordnungspolitische Themen" aus der FAZ ausschneiden und einscannen. Je länger ich darüber nachdenke, und das sind nun schon wie erwähnt bald zwanzig Jahre, umso lustiger finde ich das. Ich erinnere mich aber, wie ich damals wortlos diesen Ausführungen lauschte und dabei vorsichtig gegen meine Schläfe klopfte, um zu schauen, ob mein Erkennungsvermögen für Sarkasmus eventuell ausgefallen war. Die Freundin des jungen Mannes schaute derweil etwas ausdruckslos auf die Tischplatte im Kaffeehaus, ich weiß ihre Gedanken nicht. Versuche sie aber, auf dem Cembalo mit einer kleinen Melodiekette um f-Moll herum nachzustellen. Dann war Zeit für einen guten Kaffee.

Homestory | 18:02h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
rollinger - Montag, 14. November 2016, 15:41
Ich kondoliere nicht,
ich lache laut über ausgefallenes Sarkasmusmodul und ordnungspolitische Themen.
Schöne Woche

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kid37 - Dienstag, 15. November 2016, 12:00
Seither hat sich dieser Begriff bei mir fest verankert. Und: Ich mag es ja an und für sich nicht, wenn sich Leute einfach was Wildes ausdenken, wenn sie über ihr Leben erzählen. Da ist sicher niemand überrascht. Aber wenn, war der Witz wirklich gut.

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frau eff - Dienstag, 15. November 2016, 12:06
Unverständnis und Ordnungspolitik sind wahrscheinlich Geschwister.

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kid37 - Mittwoch, 16. November 2016, 22:09
Ich erinnere dunkel meine höchst unverständige Mutter, die mir in Jugendtagen immer mal wieder nahelegte, meinem Zimmer ordnungspolitisch zu Leibe zu rücken.

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gaga - Mittwoch, 16. November 2016, 22:46
Mehr Cembalo.

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carodame - Donnerstag, 17. November 2016, 12:14
Ja... in low low F.

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