Graue Dilletanten


So toll, wenn die eigene Jugend ins Museum kommt (die rechte meine ich, Leute!)

1981 gab es im Berliner Tempodrom das berühmte und berühmt falsch geschriebene Festival "Geniale Dilletanten". Die gleichnamige Ausstellung, die zuvor bereits in abgespeckter Form in München und im Ausland zu sehen war, zeigt Erinnerungsstücke an damalige Bands, Malerei, Installationen und Videos aus dem deutschen Post-Punk-Umfeld, also der Neuen Deutschen Welle ehe sie die NDW war.


Dilletanten-Bingo: Immerhin, vier der gezeigten Alben habe ich

Im Publikum zahlreiche Vertreter und Zeitzeugen, spot your Künstler heißt auch ein fröhliches Motto des Abends. Etwas fürs Panini-Sammelalbum: Die meisten in Ehren ergraut, manche auch einfach so. Manche auch nicht so gut, was mir ein wenig Angst einjagt, denn ähnlich wie ich sind die ebenfalls mindestens 37 Jahre und ein paar Monate alt. Aber wie heißt es so schön? So punk kommen wir nicht mehr zusammen, schnell noch ein Bier und Erinnerungen ins Sentimentalknopfloch.



"Duchamp" in zwei, drei, eins... Doris am Urinal

Eigentlich waren die Zentren dieser Kunstpunk-Szene Düsseldorf und Berlin, Hamburg war ja eher gleichnamige Härte, halt die Fresse, komm mal her - obwohl, so geschwätzig ist man hier ja wiederum auch nicht. Zwischen DAF, Der Plan, Einstürzende Neubauten und Die tödliche Doris wurden also schnell noch Palais Schaumburg als Hanseatenbeitrag gepackt, die waren immerhin auf der Kunsthochschule. Warum Bands wie F.S.K. hier subsummiert sind, erschließt sich mir bei aller Liebe aber nicht.



"Mit Leibwachen kommt Holger Hiller an/Massenschlägerei für ein Autogramm!"

Mittagspause sind erwähnt, Fehlfarben und einige von der Düsseldorfer Akademie fehlen. Aber Leerstellen zu benennen, ist im Nachhinein immer einfach. Natürlich wären Bilder von Albert Oehlen oder Objekte wie das Stehpuppen-Schallplattenset der Tödlichen Doris nett gewesen, ich kenne immerhin zwei Menschen, die eines besitzen. (Und einer davon bin nicht ich. Und der andere leider auch nicht.)

Amüsant ist das ausgestellte, völlig zerdengelte Metallschlagzeug der Neubauten, ein "Berühren verboten"-Schild soll den Schrotthaufen schützen, was natürlich dem Sinn der ausgestellten Kunst völlig zuwiderläuft. (Es wird sich, ich drücke es mal so aus, nicht akribisch dran gehalten.) Es ist ein Museum, ein ganzes Leben, in Gießharz eingeklebt.


Ratinger! Markthalle! X-mal Deutschland!

Kurz, Kennwort "Ratinger!", spreche ich mit La Reimann. Die erkennt mich aber gar nicht, so grau bin ich geworden. Zeit, mich ins Museum zu stellen, Glasvitrine zu, weg, schnell noch ein Lied: Das war vor Jahren. Peter Hein, bitte rufen Sie mich aus Wien an!

("Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland". Museum für Kunst & Gewerbe, Hamburg. Bis 30. April 2016.)

Flanieren | 00:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
gaga - Samstag, 23. Januar 2016, 17:10
Eine der seit Monaten nicht verbloggten, umfangreicheren Bildstrecken in meinem Archiv widmet sich einem Abend Ende August letzten Jahres, an dem unter anderem Tabea Blumenschein bei einer Ausstellung ihrer jüngeren Gemälde, gemeinsam mit Weggefährtin Ulrike Ottinger Geschichten von früher erzählte. Käthe Kruse war auch im Publikum (Sonnenbrille und Puppenschleife im Haar). Natürlich ist auch bei den Damen nicht die Zeit stehengeblieben. Blumenschein erinnerte mich permanent an Helen Vita, mit ihrem Dutt. Eine ältere Dame, die sich ihre Verspieltheit und Lebensfreude bewahrt hat. Den Zusammenhang zu der frech-koketten Lasziven von damals kriegt man nicht so ohne weiteres auf die Reihe, da schluckt man schon ein bißchen, was der Zahn der Zeit so macht). Eines Tages werde ich einen Eintrag dazu posten. War schon interessant. Bißchen Zeitreise. Die Galerie in Schöneberg in der Mansteinstraße war ungefähr da, wo früher das Ex und Pop war und nur wenige Meter vom Friedhof, wo Rios Grab ist.

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kid37 - Sonntag, 24. Januar 2016, 13:13
Interessante Wandlung. Frau Ottinger sieht quasi aus wie immer, die Tödlichen Dorisse hätte ich im Leben nicht erkannt. Aber nachdem ich nun auf dem Abend auch nicht erkannt wurde (also nicht von allen, von manchen schon), fängt die Reflektion übers Altern im eigenen Spiegel an. Aber schön, wenn der Esprit noch stimmt. Ich hoffe, ich kann mir meine spezielle Art der Lebensfreude auch weiter erhalten.

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gaga - Sonntag, 24. Januar 2016, 16:50
Diese spezielle Art der Lebensfreude hat, denke ich, ein gewaltiges Potenzial an Beharrungsvermögen.

Die Konfrontation mit dem Alterungsprozess der eigenen oder nahen, nur wenig älteren Generation provoziert in der Tat den Vergleich mit dem eigenen Zustand. Käthe Kruse ist nur sieben Jahre älter als ich, (also 57) Ottinger ist schon über Siebzig (wird 74), dafür ist sie gut mit dabei und Blumenschein ist dreiundsechzig, das ist auch noch ein bißchen weg. Sie hat auch gesundheitliche Probleme. Was aber ja auch alles im Rahmen ist und zugestanden werden muss, in den Alter. Da ist keiner gefeit. Elfi Mikesch war auch da, saß rechts von der Moderatorin im Publikum, hat sich auch nicht verändert. Ist aber nur auf ein, zwei Bildern. Sie wird im Mai 76.

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gaga - Sonntag, 24. Januar 2016, 22:00
Zum Vergleich, Blumenschein-Ottinger 1979, Berlinale.

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gaga - Sonntag, 24. Januar 2016, 22:17
P.S. habe gerade massive Zweifel, dass die ältere Frau mit der Puppenschleife Kruse ist. Sie war durchgängig immer ein bißchen moppelig und hatte auch auf neueren Bildern immer eine Ponyfrisur oder einen Pagenschnitt. Ganz anderer Typ als die eher dünne Dame im weißpinken Kleid. Ich fragte Jan, wer das sei, weil sie auf eine bizarre Art ins Auge stach und er meinte, das war Käthe Kruse. Vielleicht gibt's noch eine zweite. Weiß der Geier.

Hier aktuellere Bilder:
Nr. 1
Nr. 2
Nr. 3

Eindeutig andere Person.

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kid37 - Montag, 25. Januar 2016, 01:03
In Variante 2 erkennt man Frau Kruse deutlich. Ich bin beruhigt. Leider habe ich sie vom Kunstradar verloren, ich weiß gar nicht, was sie in den letzten Jahren so gemacht hat. Wolfgang Müller von der Doris hat sich ja als Autor von Standardwerken etabliert. Seien es die isländischen Blaumeisen oder die Szene der Genialen Dilletanten in Berlin Anfang der 80er (ein sehr lesenswerter Wälzer).

Die Ottinger hatte vor zwei (?) Jahren ihre Retrospektive auf 3sat anläßlich eines runden Geburtstages. Leider sind ihre Filme sonst nicht ohne weiteres bez. nur recht teuer erhältlich. Ich habe ihren Fotoband mit Reisebildern. Auch der beweist ihr visuelles Gespür und den Hang zur Opulenz. Das sind schon gute Leute. Ach, diese bildnerische Autobiografie der Blumenschein besitze ich auch, fällt mir gerade beim Schreiben ein.

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gaga - Montag, 25. Januar 2016, 20:00
(ich glaube, wir betreiben hier gerade ein kleines Orchideenstudium... aber warum soll man sich nicht auch mal unter vier Augen unterhalten)

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kid37 - Montag, 25. Januar 2016, 20:21
Am Ende des kleinen Symposiums dürfen im Publikum gerne Fragen gestellt werden!

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gaga - Montag, 25. Januar 2016, 21:18
Ja, natürlich. Auch ich stehe noch den ganzen Abend vollumfänglich zur Verfügung. Und immer daran denken: es gibt keine dummen Fragen. Sie können mich auch später am Buffet oder an der Bar ansprechen.

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carodame - Mittwoch, 27. Januar 2016, 22:22
... ich, ähm, Ü37-Symposium schon vorbei? Komme zu sowas ja immer zu spät. Tss. Dann gehe ich nochmal an die Bar... Buffet ist leergeräumt. Nein, ich habe keine Fragen.

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gaga - Donnerstag, 28. Januar 2016, 00:09
Ich bin praktisch immer an der Bar (egal wo).

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kid37 - Donnerstag, 28. Januar 2016, 11:21
Einfach nur so an der Bar ist auch schon Form von kulturellem Ausdruck. Passt schon.

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kreuzbube - Donnerstag, 28. Januar 2016, 19:09
"Alle sind sie geile Tiere, nur vom Vögeln wird gequatscht." Ab vorgerückter Stunde auch und vor allem an der Bar.
Abgesehen davon, grau stimmt nicht, auch heute noch sehr bunt:

https://myspace.com/salomeberlin/video/digitaler-krimineller/57004615

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kid37 - Montag, 1. Februar 2016, 23:36
Nur Bares ist bekanntlich Wahres. Schöner Schummerschuppen.

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cut - Donnerstag, 28. Januar 2016, 10:13
Da würde ich auch gerne hin. Fürchte aber, es klappt nicht.

Erinnert mich an "Zurück zum Beton", Kunsthalle D´dorf, 2002. 2002?? War das nicht gerade erst? Naja. Immerhin zwei der gezeigten Alben habe ich auch.

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kid37 - Donnerstag, 28. Januar 2016, 11:19
"Zurück zum Beton" habe ich damals leider verpasst, warum, wäre mal zu ergründen. Ich habe den Katalog und denke, die war insgesamt besser konzipiert. Die hier hat doch einiges Sammelsurisches, Oberflächliches auch - jedenfalls, wenn man den ursprünglichen Begriff der "Genialen Dilletanten" zugrundelegt. Man hätte vielleicht Wolfgang Müller von der Doris mehr ins Boot holen sollen. Ich muß aber auch erst noch mal hin, mir die Ausstellung in Ruhe anschauen.

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