Der Blogger und das liebe Vieh



Wenn man einmal anfängt, ein Thema genauer zu studieren, ergibt sich ja gerade am Anfang alles wie von selbst. Ein Buch führt wie zwangsläufig zum nächsten, ein Experte zum anderen und bald hat man alles auf 80 Disketten gespeichert und im Forschungslabor verteilt. Freis Allgemeine Pathologie für Tierärzte darf ich hier sicher als bekannt voraussetzen, ein Standardwerk, ohne dessen Kenntnis ich meine Dozentur hier ich nicht weiter fortsetzen brauche.

Weniger bekannt ist das weidezaunweisende Werk von Otto Kraft: Die kriminalistische Untersuchung von Tiervergiftungen. 1965 in Berlin erschienen, war es bislang nur einem ausgewählten Personenkreis zugänglich ("... darf nicht an unberechtigte Personen weitergegeben werden"). Dabei sind hier wertvolle Erkenntnisse über Taubenvergifter und Kälberwürger erfasst. Da mir derzeit der weiträumige Alkoholabusus ärztlicherseits verboten ist, interessiert mich gerade dieser Komplex. Die Mehrzahl der dem Alkoholismus verfallenen Rechtsbrecher, so erfahren wir auf Seite 71, hatte keine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung. Auch fehlten "Charakterbildung fördernde Interessensgebiete" (das ist wie heute, wo ich den Leuten immer sage, Leute, ihr interessiert euch auch echt für nichts). Schon allein hieran, so Kraft weiter, sind die bis in unsere Zeit hineinreichenden, persönlichkeitsschädigenden Auswirkungen der ehemaligen kapitalistisch-junkerlichen Verhältnisse auf dem Lande deutlich erkennbar.

Kraft führt aus: Die Säufer leben auf dem Land. So sei "im Bezirk Schwerin (...) im Jahre 1963 der Spirituosenverbrauch pro Kopf der Bevölkerung um 2,37 Liter höher als im Bezirk Dresden (hauptsächlich Industriegebiet)." Ein Umstand der schlimme Folgen zeitigen kann, wie im Fall des Trinkers K., der sich durch "unbelehrbares Verhalten" vom Kollektiv abtrennte und "Schädlingsarbeit [leistete], indem er in der Absicht, die sozialistische Landwirtschaft zu schädigen, bewußt angesäuerte Magermilch [...] an die Kälber verfütterte. (S. 72) Trau, schau, wem heißt es also, nicht nur in der Liebe, auch in der Landwirtschaft.

In Kapitel 4.5. ("Die Tierleichenbesichtigung") kommt man dann zum Detektivspielteil. Ob Sherlock, ob Fox Mulder oder als sein eigenes CSI-Team, kriminalistisch geschulte Tatortuntersuchungsmethoden (es ist wie in der Immobilienwirtschaft: Lage, Lage, Lage) sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Aufklärung. Stacheldraht im Futtertrog? Leere, braune Arzneiflaschen im Gehege? Alles Anzeichen für einen böswillig manipulierenden Eingriff.

Und wozu, höre ich fragen, braucht man das? Prodesse et delectare: Ob mir das für die dereinst noch aus dem Reich der Berufs- und Selbstverwirklichungsträume zu holende Imkerei auf Neuseeland nützlich sein wird? Angesichts des ja immer irgendwie überraschend eintretenden Bienensterbens bin ich fast sicher. Ich jedenfalls bin bereit.

Taxidermie | 11:00h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
novesia - Freitag, 16. Dezember 2011, 13:03
Wow, was Sie da wieder entdeckt haben! Sie heben irgendwie immer die richtigen Brunnendeckel an.

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kid37 - Samstag, 17. Dezember 2011, 01:46
Die Kunst ist, sich dabei nicht zu weit hinabzubeugen.

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kreuzbube - Freitag, 16. Dezember 2011, 13:20
Ah, Tierleichenbesichtigung, das klingt in der Tat spannend. Gibt's da auch Leichenflecken? Unter dem Gefieder vielleicht? Nicht, dass da ein Selbstmord vorgetäuscht wird!

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kid37 - Samstag, 17. Dezember 2011, 01:46
"Auch Leichenflecke an verendeten Tieren haben in der Regel keine Bedeutung. Sie sind meistens, bedingt durch die stark pigmentierte Haut und den dichten Haarwuchs (insbesondere bei Kühen), mit dem bloßen Auge nicht oder nur sehr schwer feststellbar. Bei Schweinen sind Leichenflecke etwas leichter sichtbar." (S. 110)

Wissen wir das jetzt also auch.

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hora sexta - Freitag, 16. Dezember 2011, 13:31
Tolle Lupe! Damit finden Sie sicherlich jede Stecknadel im Heuhaufen.

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kid37 - Samstag, 17. Dezember 2011, 01:44
Man braucht ein vernünftiges Feldbesteck.

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kaltmamsell - Freitag, 16. Dezember 2011, 14:54
Ich danke herzlich für diesen Fingerzeig.
Und revanchiere mich mit dieser Leseempfehlung
http://www.herr-rau.de/wordpress/2010/12/hans-zinsser-rats-lice-and-history.htm

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kid37 - Samstag, 17. Dezember 2011, 01:43
Reizend. Da habe ich heute mit genuß reingeschaut, die literarischen Verbindungslinien und Assoziationen scheinen sehr vergnüglich. Ich halte bereits den antiquarischen Markt im Auge.

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ana - Freitag, 16. Dezember 2011, 15:40
Sie kennen es sicher. Angesichts des Buches Tiervergiftungen ist mir dieses bitterböse Kreisler-Liedchen aus dem Jahre 1958 wieder eingefallen. ( Der Kreisler ist ja erst kürzlich gestorben, so war es in letzter Zeit öfters zu hören. )
...Schau, die Sonne ist warm und die Lüfte sind lau,
Geh mer Tauben vergiften im Park!
Die Bäume sind grün und der Himmel ist blau,
Geh mer Tauben vergiften im Park!
Wir sitzen zusmam' in der Laube
Und a jeder vergiftet a Taube,
Der Frühling, der dringt bis ins innerste Mark
Beim Tauben vergiften im Park.
...

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kid37 - Samstag, 17. Dezember 2011, 01:42
Der Klassiker. Gelebtes Parkidyll.

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kid37 - Samstag, 17. Dezember 2011, 01:49
Korrektur
Ich muß mich korrigieren, es ist doch nicht wie in der Immobilienwirtschaft: "Demgegenüber haben die Lage und die Stellung der verendeten Tiere - selbst bei vorsätzlichen Vergiftungen - keine besondere Bedeutung. Abgesehen davon, daß der Täter in der Regel nicht bis zur Giftwirkung wartet, ändert auch das Tier im Todeskampf die Lage." (S. 110)

Das ändert aber nicht die Sachlage.

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modeste - Montag, 19. Dezember 2011, 00:44
Tiervergiftungen also. Sicher schwieriger zu diagnostizieren als der weiland Pferderipper. Da möchte man doch fast den Volksmund zitieren: Was es nicht alles gibt.

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kid37 - Montag, 19. Dezember 2011, 11:06
Vielleicht eine Idee für eine neue TV-Serie, denn die Deutschen sind ja sehr tierlieb. Ich erinnere eine Folge von Der Doktor und das liebe Vieh, in der eine Kuhherde unklare Krankheitssymptome zeigte und der arme James Herriot schon als Versager geziehen wurde, bis herauskam, daß der Bauer den Kuhstall mit einer bleihaltigen Farbe gestrichen und die armen Tiere Vergiftungen hatten. Da kann man wirklich nur sagen: Was es nicht alles gibt.

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prieditis - Montag, 19. Dezember 2011, 11:47
Plädoyer für eine universelle Bildung.
Und was an den Tieren herausgefunden wurde, findet derzeit noch in allerlei Spielzeug Anwendung.
Schwermetallhaltige Farben. Kein Wunder, daß die Racker heutzutage so seltsam sind. Liegt gar nicht an den Eltern.
Dank Ihrer Literaturempfehlung sehe ich nun klarer. Vielen Dank!

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