Montag, 1. Juli 2024
Gartenmaschine nach Plänen um 1900
Hier war es ein wenig ruhiger, weil ich die meiste Zeit in meiner kleinen Werkstatt verbringe, wo es hinter dem Wandregal eine unsichtbar verborgene Tür gibt, die in mein geheimes Geheimlabor führt. Dort war ich aus altruistischen Gründen mit einer Erfindung beschäftigt, die ich nach Plänen aus einem alten Buch um 1900 gebaut habe. Man hört und liest in dieser Saison leider viel von einer sog. Schneckenplage in den Gärten. Traditionelle Haus- und Hilfsmittel ("Tradgardening") wirken offenbar nicht viel, so dass ich beschloss, die Lücke zwischen Vergrämung und Extermination mit einer Maschine zu füllen. Ein kleiner Turm (oder mehrere davon) wird mit einem geheimnisvollen (= zum Patent angemeldet) Metall gefüllt und mit einem optischen Sensor (= Auge) gekrönt. Dieser überwacht visuell das nächtliche Nagegeschehen rund ums Beet und setzt über einen Mechanismus (= kompliziert) aus dem elementaren Innern des Metalls eine saure Kraft frei (= Handelsname Sauron™), die eine gemeine Nacktschnecke in eine "schrumpelige Rosine" verwandelt, wie man unter hemdsärmeligen Gärtner:innen so sagen könnte. Leider ist diese saure Kraft noch nicht richtig regulierbar, weshalb bislang (= Betastadium) auch die Beete und all ihr Gemüse in eine graue, verdorrte Karglandschaft transformiert werden. Es ist ein Fluch und oft geht das eine nicht ohne das andere.
Apropos Transformation. Vielleicht erst nach dem Essen, aber hier kann man den wunderbaren Kurzfilm (18 Min.) Wrought schauen, der als eher poetische denn wissenschaftliche Reise durch die faszinierende Welt der Dekomposition führt. Ein morbides "Koyaanisqatsi": Leuchtende Farben und amorphe Strukturen in organischem Material (Achtung, auch "Roadkill"), von Bakterien in Fäulnis und Fermentierung gesetzt und durch Zeitrafferaufnahmen lebendig gemacht. (Hätte mehr Arbeit am Text und im Tonstudio verdient.)
Apropos altes Buch um 1900. Mit viel Freude lese ich derzeit in dem aktuell für kleines Geld angebotenem Schaubuch Inventions that didn't change the World von Julie Halls, das in dem für seine vorbildlich wundervoll aufgemachten (medizin-)historischen Bücher gerühmten Thames & Hudson-Verlag erschienen ist. Randvoll mit aus Archiven geschöpften Patentzeichnungen und Erläuterungen, versammelt es allerhand Ideen und Einfälle, die alle auch von mir hätten stammen können. Darunter Banales wie Zylinderhüte mit Ventilator oder Spazierstöcke mit Einschraubfach für die Zigarre, aber auch Erfindungen, die sehr wohl die Welt veränderten, wie etwa den per Handkurbel ausziehbaren Esstisch. Ein Mysterium ließ mich schlucken: Um 1852 wurde die geräuschlose Vorhangstange zum patent angemeldet, ein Umstand, der Twin Peaks-Fans wie von einer zu rasch zurückgezogenen Gardine vom Bett hochschrecken lassen dürfte. Eine geräuschlose Gardinenstange? Dem MacGuffin der revolutionären TV-Serie? Hier wird Geschichte neu geschrieben werden müssen.
Apropos, Geschichte neu schreiben: Das Oxford English Dictionary weist die erste Quelle für das Wort "Cornice-pole" für das Jahr 1879 aus, was mit dem Fund in Inventions that didn't change the World widerlegt ist. Obwohl Laie auf diesem Gebiet, habe ich die Briten gleich angeschrieben und auf die veränderte Quellenlage hingewiesen. Ein akademischer Umsturz! dem einer an der Wahlurne folgte. Beinahe geräuschlos.
Apropos Vergrämung. In einer kleinen Reportage des Saarländischen Rundfunks über die Sprengung eines stillgelegten Kraftwerks lerne ich neues Fachvokabular. So spricht man von "Niederlegung" und nicht wie ein ahnungsloser Amateur von "Sprengung", wenn ein Turm oder Gebäude zu Boden gebracht werden sollen. Vor dieser Niederlegung gibt es zudem eine umsichtige sogenannte "Vergrämungssprengung", mit der man Tiere aus dem Gelände scheucht. Mehrere Aktionen müssen in einer "Sprengchoreografie" koordiniert werden, damit nichts durcheinanderkommt oder einer der Zünder plötzlich ohne Kontaktverbindung dasteht. Ein Ballett der Explosionen, Rhein in Flammen für Anlieger und Detonationsschaulustige.
Gärtner mit Schneckenplage verzichten versehentlich auf die Vergrämungssprengung, bringen aber bitte vorher die Igel raus.
Freitag, 28. Juni 2024
Neulich stand ich im Bad, bloß, brav und nicht nur intellektuell unbewaffnet. Ich hatte nämlich meine Brille nicht auf und die Frage vor mir: Tier oder Flusen, tot oder hinterlistig? Mit Brille und Präparateglas schon etwas bewaffneter, fing ich diesen Kaventsmann von einem Insekt (umgspr. auch "Kawennzmann" oder "Oschi" bzw. "Riesenoschi") und konnte meine Überraschung kaum fassen.
Als ich nämlich noch einmal 37 jahre alt war, da sang der Liedermacher ("Singersongwriter" für die Jüngeren) Reinhard, Achtung, Mey über seinen Namensvetter: "Es gibt keine Maikäfer mehr". (Hier eine Aufnahme der Electrola.) So war die Zeit nämlich: Es gab keine Maikäfer mehr, und auch keine Sommer, wie Rudi Carrell im Jahr darauf feststellte. Man sieht: Wir hatten ja nichts, oft noch nicht einmal ein Bonanzarad.
Und so habe ich im Leben zwar viel gesehen, manches von oben, anderes von unten, aber eben noch NIE einen echten, lebenden Maikäfer! Dabei war ihm das Leben zunächst etwas entwichen. So standen zwei matte Gestalten Auge in Auge, und über ihnen immer die Frage, wer macht zuerst schlapp? Da ich keine Eichen oder andere Bäume auf der Fensterbank züchte, tunkte ich einen Schnipsel Papiertuch in Zuckerwasser - und tatsächlich kam bald Leben ins Glas. (Ich schaute immer wieder, aber nie zu tief hinein.)
Dann setzte ich ihn auf einen Pinsel - und im harten Kontrast fiel mir auf, der Bursche hat gar nicht diese charakteristischen Pinselantennen! Und die Schwarzfärbung auf der Brustplatte! Ich also den Kottan gechannelt, eine grelle Schreibtischlampe auf den Burschen gerichtet und verhört. "Sans vielleicht gar nur a Junikäfer?" Weil, I hob da scho a bisserl a Verdacht gehabt. Man liest so viel darüber: Enkeltrick! Telefon läutet, "Du Opa, i bins, da Enkel." Gab sich hier ein Junikäfer als Maikäfer aus, um mich zu foppen und günstig einen Energiedrink abzugreifen? Kurz hatte ich an mein Glück geglaubt! Schon war es zerplatzt.
Ihm blieb die Fensterbank, mir nur Tränen. Vom Zucker genährt und von der Sonne getränkt verlieh ihm meine Hinwendung letztlich Flüüüüügel, und so propellerte er ab, über den Kanal, Kleingärten im Blick. Na dann alles Gute, Servus und Baba.
Dienstag, 25. Juni 2024
Henri Cartier-Bresson war ein Meister der Schwarzweißfotografie. Die Ausstellung bildet das ab
In einem entscheidenden Augenblick entkam ich heute gerade noch so dem glühenden Asphalt in der Innenstadt und schlüpfte in die Ausstellung "Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson", die derzeit im Bucerius Kunstforum läuft. Über 200 Originalabzüge sind zu sehen, dazu Filme und Seiten seiner in Zeitschriften erschienenen Reportagen aus Indien, der Sowjetunion, China, den USA - und Hamburg, wo er nach dem Krieg ein paar Wochen verbrachte.
Hamburg ist viel kleiner als New York, das bereits damals eine große Stadt in den USA war. Aber das wussten zu dieser Zeit nicht viele
Im etwas labyrinthisch angelegten, mit vielen Winkeln und Nischen gestalteten Rundgang hat man sich schnell verlaufen, immerhin aber geben groß geletterte Schlagwörter wie "Mensch und Maschine" etwas Orientierung. Ansonsten heißt es, treiben lassen und ein Auge haben für den Moment, wo man merkt, he, das Foto kenne ich doch! Ich bin gar nicht mal ein großer Fan von Henri Cartier-Bresson (1908-2004) oder "HCB", wie ihn echte Fans und Freunde nennen. Aber man spürt rasch, wie das Bildergedächtnis angetickt wird, visuell dort Eingebranntes aufblitzt und man anerkennen muss, dass ungefähr jedes bedeutende, kanonisierte Foto aus den 30ern bis 60er-Jahren von diesem Franzosen mit der Leica stammt.
Steampunk in Hamburg, 50er Jahre
Menschen, die über Pfützen springen, Männer, die durch einen Bauzaun luschern, der junge Truman Capote im Gebüsch, Alberto Giacometti mit über dem Kopf gezogenem Mantel im Regen, im Grunde füllte er ganze Jahrgänge der einstmals berühmten Zeitschrift Life mit seinen Fotos, die dadurch selbst berühmt wurden. Als Mitbegründer der Agentur Magnum (ebenfalls weltberühmt) war HCB "erste Adresse", sein Stil und sein berühmter Ausspruch vom "entscheidenden Augenblick" gebar Generationen von Epigonen und eifrigen Schülern. Dabei weiß man heute, dass manche seiner Mantras nicht ganz ernst zu nehmen sind. So entstand auch bei Cartier-Bresson das Bild nicht ausschließlich in der Kamera. Sein berühmter Pfützensprung etwa, durch einen Baustellenzaun fotografiert, musste in der Dunkelkammer am linken und rechten Rand¹ beschnitten werden, um Gerümpel und störende Elemente zu entfernen. Hier hat ihre Fotoheiligkeit geschummelt.
Was man in der Ausstellung gut lernt und auch begreifen kann, ist, dass der "entscheidende Augenblick" nicht nur als Zeitmoment zu verstehen ist. Seine Reportagen fingen dann außergewöhnliche Situationen ein, wenn er die Kamera in "uninteressante" Ecke wendete. Wie bei der Krönungsfeier für George VI in London, wo er nicht wie wohl alle seine Kollegen um ihn herum die Linse auf Mächtige und Monarchen hielt, sondern auf begeisterte und entrückte Zuschauer. Leute wie du und ich. Einfach mal die Laufrichtung ändern! und in die angeblich langweiligen Ecken schauen, und zwar genau. Sag ich doch.
>>> "Watch! Watch! Watch! Henric Cartier-Bresson". Bucerius Kunst Forum, Hamburg. Bis 22.9.2024
Dienstag, 11. Juni 2024
"Träumender". Aquarell auf Papier, 2024. 1000,- Mark.
Musste unruhig träumen, wachte dann in den Nachwehen einer Wahl auf und fand Europa zu einem riesigen Ungeziefer verwandelt.
Zur Beruhigung einer Idee von @dasnuf auf Mastodon gefolgt und mir von der KI ein Lied für mein Blog komponieren lassen. Muss sagen, die Maschine und ihre Zahlenkolonnen kennen mich offenbar sehr & erstaunlich gut:
"Blogger kid37
With his pen made of gold
Spreads wisdom and poetry
For the hearts to behold"
Dabei habe ich als Prompt nur ein paar Schlüsselbegriffe wie "Blogger Kid37" und "Hermetic Café" eingegeben - und schon kam dieser zauberhafte Indiehit heraus.
(Wir reden also tatsächlich vom Ende, wenn nun jeder jeder zum Geburtstag einen "persönlichen" Song "komponieren" und "aufnehmen" kann. Der Geist, so dumm er auch ist, ist aus der Flasche. Ein lallendes, kreischbuntes Papageienmonster.)
Apropos Mode. Bin noch ganz entrückt von der wohl besten Schau in diesem Frühjahr. Galliano bat für Maison Margiela in den Pariser Untergrund und sorgte für den most talked about Moment in der diesjährigen Saison der Pariser Modewoche. Fantastische Atmosphäre, spektakuläres Make-up und faszinierende Kleider. Hier ein paar Fotos auf Instagram, das Video (Langversion) vom Laufsteg aus der Kellerkneipe gibt es auf Youtube.
Aber interessiert eh keinen in diesem Wolfstatzenfunktionsland.
Bei wärmeren Temperaturen schwirren auch die Honigbienen wieder geschäftig aus und schaffen - von Ladislav Hanka nur beehutsam unterstützt - erstaunlich zauberhafte Kunstwerke.
Mein neues kleines und weitgehend unschuldiges Interessensgebiet sind japanische Girl-Bands von 50ties-Rock'n'Roll über Sixties-Beat bis Ekstase-Punk oder 5,6,7,8s bis Otoboke Beaver. Die Highmarts fielen zurück in die 60er und zwar ganz munter. I Want You So Bad. (Um Händchen zu halten.)
Dienstag, 21. Mai 2024
Von Ringelhemd zu Ringelhemd - Versuch einer Verschmelzung (Ausstellungsintervention)
Das Wichtigste vorweg: Wer die tolle Doppel-Einzelausstellung von Heiko Müller ("Gris Français") und Eiko Borcherding ("Bad Moon Rising") sehen will, muss sich sputen, der Chronist ließ sich leider arg viel Zeit. Nur noch diese Woche zeigt Feinkunst Krüger dieses wunderbar graugetönte Ereignis.
Nach doppelsinnig gemeinter Kunstpause und Schonzeit, galt es zur Vernissage Anfang Mai die silbernen Ellenbogenschoner überzustreifen (übers Streifenhemd) und mich unauffällig unters Eröffnungspublikum zu mischen. Und ich sag's mal so: Schön, wenn man vermisst wird!
Noch schöner, wenn es schöne Kunst gibt, etwa die grau-grau-grauen Bilder von Heiko Müller, der es nicht nötig hat, mit 50 grellen Schattierungen auf die laute Pauke zu hauen, sondern sich zielgenau und meisterlich auf drei treffgenaue Abstufungen beschränkte (laut Eigenaussage "Französisch Grau, "Warm Grau" und "Scheveningen Warm Grau"). Vortrefflich! Graue Katzen, graue Eichkater und weitere Graugestalten (in Öl und Buntstiftgrau) haben nichts anachronistisch Novembriges an sich, sondern etwas wohltuend Kontrapunktisches zum kessen Mai mit all seinem pubertär bunten Geknospe und Geblühe, das überall ins Auge drängt als gebe es nicht irgendwann auch wieder Herbst. (Die Bilder gibt es hier als PDF.)
Bleistiftvirtuose Eiko Borcherding (Bilder sind hier in einem PDF zu sehen) bleibt da nicht klüngelig zurück. Fein ziselierte Tiere, ein graphitener Mond (angeblich "bad") bilden passende Pendants zu den manchmal verschrobenen oder wenigstens leicht verschobenen Welten Müllers. Bei Krüger hängen sie vis-a-vis (unbedingt auch in den Keller schauen), graue, aber nie grausige Zwiegespräche, die noch mal einen eigenen Reiz entfalten.
Nur noch Donnerstag, Freitag, Samstag. In Hamburg!
Heiko Müller, "Gris Français" und Eiko Borcherding, "Bad Moon Rising". Feinkunst Krüger, Hamburg. Noch bis 25. Mai.
Montag, 29. April 2024
Des Forschers wichtigster Freund: Das Notizbuch
Angeregt durch die wunderbare Sammlung Kosmos großer Entdecker verlasse auch ich mein Haus höchst selten ohne Feldforschungsnotizbuch. Meine Wege führen natürlich nie so weit wie die der erwähnten "großen Entdecker", aber man könnte mich den Jean-Henri Fabre meines kleinen Viertels nennen. Von der Eingangstreppe aus (manchmal auch nur beim Blick aus dem Fenster) notiere ich besondere Naturereignisse in meinem kleinen Buch, halte Augenscheinlichkeiten in akribisch ausgeführten Zeichungen fest und sinniere über Zusammenhänge, Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, Sinn und Zweck, Ernst und Unsinn der scheinbar unscheinbaren Natur in meinem Umfeld. Denn nicht alles findet man in Büchern. Man muss hinaus in die Natur, in die Wälder, um das Leben zu verstehen. Denn erneut sei an Ralph Waldo Emerson erinnert, der mahnte: "Books are for the scholar's idle times. When he can read God directly, the hour is too precious to be wasted in other men's transcripts of their readings."
Ein seltener Gast: Die Brotspinne
Insekten, Spinnentiere, Pflanzen und geologische Besonderheiten zeichne ich zur Erinnerung und späteren Forschung auf, manchmal nur in feingliedrigen Bleistiftzeichnungen, manchmal delikat ausgeführt in Aquarellkolorationen, man sieht mich oft mit einem zugekniffenen Auge auf einem großen Stein oder Baumstumpf sitzen, den Fluchtpunkt meiner Perspektive mit dem Bleistift anpeilen und rasch ein paar Punkte auf den Punkt und aufs Papier bringend.
Das Blatt, das sein Grün verlor: Naturprozesse gerichtsfest dokumentiert
Auch Ableitungen aus Naturgesetzen und anschauliche Demonstrationsbeispiele füge ich hinzu. So wie dieses einstmals grüne Blatt von einem Baum, der in der Nähe des ehemaligen Freibades stand. Dieses ist nun abgerissen, das Wasser aus dem 50-Meter-Olympiabecken folglich weg - und wir sehen anschaulich, wie die Veränderung in der Feuchtigkeit im Mikroklima des Viertels die Pflanzen verändert: Keine zwei Jahre später ist das ehemals saftige Blatt ganz braun und brüchig geworden. Ich werde diesen Fund und diese beachtenswerten Vorgänge auf der nächsten Sitzung der naturhistorischen Vereinung zu Hamburg in einem kleinen Vortrag erläutern und so meinen Beitrag für die wissenschaftliche Forschung leisten.
Auch kleine Krabbler können wichtige Spurenträger sein: eine detailliert erfasste Ameisenfußspur
Wie sonst nur ein Entomologe in der Rechtsmedizin beobachte ich auch die vielfältigen stummen Zeichen und Signale der Tierwelt. Wie diese Fußspuren einer Ameise (Abb. 4), die ich im feinen Sand fand und exakt nachzeichnete. Für eine Sicherung als Gipsaabdruck zu fein, zeigt hier das Notizbuch und eine spitze Tuschefeder ihre Stärken. Punkt für Punkt tupfe ich den Verlauf der Spur nach, mache sie stellenweise überhaupt erst sichtbar und erhalte sie so für weitere Analysen und Forschungen am heimischen Labortisch. Die Ameise: Wo kam sie her, wo ging sie hin - Fragen, die auch uns Menschen beschäftigen, im realen wie im übertragenen, philosophischen Sinn.
Sonntag, 21. April 2024
Dieses Jahr scheint das Jahr der Reparaturen. Größter Posten bislang: ein neues Fenster. Durch das alte schaue ich sonntags aus entspannter Rückenlage, betrachte die Schäden, berechne die Kosten und bedenke die Umstände (sog. Komplikationen), Lärm, Dreck, Umräumen, Handwerker im Haus. Aber: Die Sonne scheint durch alle Fenster gleich, wie der Volksmund sagt. Also gemach. Sonst sagt noch jemand, Herr Kid, Sie sind doch aber selbst keine 37 mehr, lohnt sich das noch?
Zum Aufwärmen und zur Ablenkung mal den Abfluss unter der Spüle gereinigt. Siphon auseinandergeschraubt, den Schlonz rausgeholt wie so ein Fischer beim Schöpfen von Bilgewasser. Danach das Rohr freundlich knuffend ermahnt ("Bist du noch ganz dicht?!?") und drei Kreuze gemacht. Erste Tests mit ablaufendem Wasser aus der Spüle geben Zuversicht, die Spülmaschine wird dann die Abschlussprüfung.
Leider ist nun die Waschmaschine kaputt. Also kalt. 30 Jahre alt und dann das. Ein faszinierendes Video auf Youtube erläutert mir die Kniffe, wie man die vordere Blende löst und vor allem den Heizstab, den es für eigentlich kleines Geld noch immer gibt. Ich werde dem Techniker, der das dann für mich macht, also alles genau erklären können. So was bringt ja auch zusammen, wie Jungs, die in einem Biergarten zusammensitzen und plaudern.
Da ich nicht waschen kann, liege ich entspannt und lese weiter in meinem kleinen Katalog zur Retrospektive der Brüder Quay. "On Deciphering the Pharmacist's Prespcription for lip-reading Puppets" hieß die Ausstellung im MoMa in New York (das ist eine große Stadt in den USA). 2012 war das, ist also auch schon was her. Neben der reichen Bebilderung sind hier aber tatsächlich auch die begleitenden Texte sehr aufschlussreich. Da wird noch mal der Werdegang der düsteren Zwillinge und Animationskünstler aufgeschlüsselt, aber auch Vorbilder, Themen und Motive bespiegelt und ihre Position als Radnabe im Wirbel der Einflüsse und Ideen moderner Kunst - quasi von Duchamp bis Janáček - betrachtet.
Apropos Fahrrad. Das war noch immer nicht in der Inspektion. Nächster Punkt auf der Reparaturliste und ebenfalls nichts, was ich - Youtubevideos hin oder her - derzeit selbst anfassen möchte. Ziehe gerade kleine Kreise, drehe entspannt am Rad, spinne mir vom Fenster aus die Welt zusammen. Ein Waschzuber voller Ideen.