Sonntag, 30. Oktober 2016


Rost, süßer Rost



Man kann nicht immer Klage führen. Auch wenn ich eine weitere, für einen Aufenthalt im großstädtischen Ausland geplante Woche stattdessen unter der Küchenspüle verbrachte. Derweil das Projekt, mal eben in zwei Stunden eine neue Küchenarmatur anzubringen, nach schwungvoller Öffnung der Epidermis in eine größere Operation umschlug. Erst einmal war eine größere Menge Schlacke zu entfernen, sozusagen überschüssiges Bauchfett von unter der Spüle - gesammelte Plastiktüten, die man irgendwann mal..., gesammelte Haushaltsartikel und Kurzwaren, gesammelte Reinigungs- und Verunreinigungsutensilien. Bald aber fand ich mich mit einer auf einem sterilen Tuch ausgebreiteten Sammlung Gabelschlüssel bewaffnet wie ein Korkenziehergewinde unter das Ausgußbecken gedreht, Anschlußgewinde verschiedener Zollgrößen schrauben und Dichtungen adaptieren. Weil bei der Gelegenheit der gerade mal 25 Jahre alte Wasserboiler die wohl kalkbedingte, arteriosklerotische Gefäßundichtigkeit symptomierte, entschloß ich mich für den nächsten Tag gleich für eine komplette Organtransplantation.

Bernard hätte mir die Hand geschüttelt, mein Gas-, Wasser, Dingsdainstallateur hoffentlich auch. Alles entlüftet, auf Temperatur gebracht, wieder eingeräumt, Türen zu. Läuft.

So war ich also auch zu Hause, das ein oder andere Paket entgegenzunehmen. EIN KUCHEN! Da könnt ihr mit euren Äpfeln angeben, wie ihr wollt. Ich habe EINEN KUCHEN! Ehrlich, wer braucht da noch Urlaub? Ich kann jetzt Kuchen mümmelnd an der Spüle stehen, das Wasser munter auf- und zudrehen und das Lied vom einfachen Glück singen. Vielleicht noch Blümchen dazu. Mein Vater sendet mir ein Werk aus seiner Dawanda-Werkstatt. Ich habe es immer gesagt: die gute alte Glühbirne kann Dinge, da kommen diese nur angeblich energiesparenden Giftleuchten nicht ran. So kann man sie als kleine Blumenvasen weiterverwenden. Kleines Brettchen als Halterung aussägen, Glaskörper rein, fertig.

Und dann weiß der Mann ja, das man mir mit 'ner ollen rostigen Schraube fast die größte Freude machen kann. Oder Schokolade. Oder Schokolade, die aussieht wie eine olle rostige Schraube. Wenn mich also einer an altem Eisen lutschen sieht, nicht wundern - ist wirklich süß.


 


Dienstag, 25. Oktober 2016


Merz/Bow, #52

Die Akademie ruft an.

"Hello? No, Mr. Bob is not here. Whot? No, I am cleaning man. Yes, yes. Si, si."

*Dylan geht lachend ab*

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Schöne Bücher von fotografisch hart arbeitenden Frauen erreichen mich. Die bezaubernde französische Fotografin Féebrile, auf die ich zuerst durch ihre Zusammenarbeit mit Ödland aufmerksam wurde, hat nach ihrem ersten h[bschen Band Pola et les Autres nun ihr erstes größeres Buch gemacht. Abgründige Schwarzweißaufnahmen, düster, sehr emotional und wie einem unruhigen Traum entrissen.

Dazu gesellt sich Aberrant Necropolis der Engländerin Ellen Rogers. Ihre handcolorierten Analogabzüge zeigen eine versponnene, teils viktorianisch-exotische Spinnwebenwelt, dunkle Träume von irrlichternden Friedhofsfeen. Barbusige Teezeremonien mit Ouijaboard und Ingwerkeksen.

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Fast weltweit: Man ahnt ja nicht, wieviel Neid, Mißgunst und Intrige auf einer kleinen Hallig Platz finden. Oliver Driesen vom Zeilensturm hat mit Wattenstadt eine unterhaltsame Politsatire geschrieben. Da werden die ausgreifenden unterhaltungsimperialen Träume eines Industriekapitäns aus dem Ruhrgebiet in die Miniwelt im Wattenmeer gequetscht. Die vom Wind zerzausten Bewohner kippen einer nach dem anderen um (mancher sogar tödlich), ein paar Figuren leisten Widerstand, und am Ende stecken Teufel und beharrlicher Wille im unscheinbarsten Küstenbewohner. Es tummeln sich im vom Berliner Politbetrieb durchwirbelten Schlick: eine Hure mit Herz, ein russischer Killer, eine uralte Mume, ein plastiniertes Kunstwerk, ein kleiner Lokalfürst mit Großmannssucht, ein Pfarrer mit Engagement, ein stinkreiches Millionärspaar, die mich immerzu an die "Geissens" erinnerten, und ein kleines Tier, das für die einen zum Retter, für die anderen zur Pest werden kann. Ich habe gelacht.

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Leben in Euphemia. Die große Zeitung schreibt: " Jetzt wurde die Bestsellerautorin enttarnt – nicht zu jedermanns Begeisterung." Und man denkt, nein, IHR habt sie enttarnt und außer euch war einfach NIEMAND begeistert. Wer hätte es noch nie erlebt: Fortgetragen auf einer Welle der Selbstbegeisterung, mitgerissen vom imposanten Gefühl, jetzt, in diesem Moment einfach keine falsche Augenzahl würfeln zu können, egal, was man macht. Um dem Eingangs formulierten Anspruch zu genügen: Ich schon.

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Man wird ja schnell geerdet, zum Glück.

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Entscheidungen zum literarischen Jahresende: Der diesjährige Preis des Hermetischen Cafés für Dichtung geht an Bob Dylan. Leider habe ich ihn noch nicht ans Telefon gekriegt. Bob, bitte ruf mich an.

MerzBow | von kid37 um 01:37h | 35 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 16. Oktober 2016


To Bring You My Love

I go out
To the old milestone
Insanely expecting
You to come there
Knowing that I wait for you there

(PJ Harvey, "The Devil")




Es liest jeder seine eigenen Zeichen, aus denen er schließt, daß es Herbst geworden ist. So munterte ich mich auf für eine beschwerliche Reise - ich will ja nicht sagen zur "Pilgerfahrt" und habe es damit soeben getan. Neben Anwehungen des eigenen Herbstes - ich will nicht sagen "Verfall" und habe es damit soeben getan - sind es drei, vier hundert Kilometer Deutsche Bahn nebst Zwischenstops und Anschlußzügen und Aufrechthalten, dir mir mittlerweile zu schaffen machen. Dann weiß ich gar nicht so genau, wo diese Konzerthalle ist. Ich mag dieses Ungewisse nicht, stelle ich immer öfter fest, weil ich mir selbst nicht recht traue, dem Körper nicht, der Konzentration nicht, den Biegungen und Wegen nicht. Die führen durch die abendliche Keupstraße, die so traurige Berühmtheit erhielt und die in der bunten Beleuchtung und dem Leben auf den Bürgersteigen eine freundliche Unbekümmertheit verstrahlt.



Hat man selbst immer alles dabei? Ist man selbst genug? Die Taschenkontrolleurin am Eingang meint, eher zuviel. Später in der Menge ist es dann offenkundig zu wenig. So ist nicht alles eine Einladung, und so paßt es im Leben eben nie. Ein Gebet immerhin wird erhört: keine Vorband! Und wie letztes Jahr schon bei John Parish geht die Messe pünktlich los: Man sieht erwachsenen Menschen bei der Arbeit zu, eine streng inszenierte Aufführung eher ihrer zwischen Kriegs- und Sozialreportage angelegten letzten beiden Alben (aus denen der Großteil der Lieder stammt) denn ein Rockkonzert als affektpumpende Unterhaltungsshow. PJ Harvey, über die Jahre unbeirrt wandelnd, hat Geschichten zu erzählen, zuletzt als eine federgeschmückte Kassandra, die nicht sich zum Thema macht, sondern die nüchterne Klage der Krisengebiete in Afghanistan, dem Kosovo und Washington D.C. durch sie sprechen läßt. Dazwischen eingestreut ältere Hits, ein runtergebrettertes 50 ft. Queenie etwa oder eben "To Bring You My Love".



Für einen kurzen Moment konnte ich ihren Schatten berühren. Das Höhlengleichnis zu Köln: welche Welt und welche Wahrheiten wir sehen, bleibt eben doch eine Illusion, tanzendes Geflacker an der Wand. Wir fassen uns eben nie wirklich an, nur die Bilder, die wir voneinander haben. Dennoch hoffe ich, daß diese Wand nie mehr überpinselt wird.

Mich verläßt aber nicht zum ersten Mal an diesem Abend der Mut. Ihr mein stets als Notration mitgeführtes Käsebrot mit einem "Iß mal was, Polly Jean" anbieten? Vielleicht doch eine Spur zu übergriffig.



It ain't over, 'til it's over: Obwohl es der Schlußverbeugung der eigentlichen Vorstellung widerspricht, die Arbeit ist getan, der Vorhang unten, kommt die Band zu einer Zugabe zurück, die leider nicht so entspannt humorvoll wie in Warschau ausfällt. Ihr Cover von "Highway '61" ist natürlich eine schöne Hommage mit schönem aktuellem Bezug. Und "Is This Desire?" bleibt die Frage, die ja nebenbei sowieso über dem Abend lag.


>>> Geräusch des Tages: PJ Harvey, "The Devil"

Radau | von kid37 um 22:37h | 15 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 25. August 2016


Wer bist du, der mir selbst entgegenstarrt?



In meinem neo-empfindsamen Roman Ausgestoßen - Nachdenkliche Betrachtungen eines sentimentalen Nacktschneckenzüchters (Hamburg: Officin Brandmüller Nachf., 1911) beschreibe ich die Irrungen und Wirrungen nachtaktiver Gesellschaften und die ewig-alte Frage nach dem WoherWohin. Der Held, die titelgebende, mittelalte abgeranzte Type, wundert sich, das irgendwas mit seinem Selbstbild kaputt ist. Erst will er es nicht wahrhaben, aber dann bemerkt er, daß sein Schatten ein anderes Bild von ihm wirft als er selbst von sich hatte. O, verräterischer Schatten, den du wirfst!

Hier driftet der Roman in schwarzromantische Wälder ab, klopft am Haus der Doppelgänger an, legt eine Brotkrumenspur ins Revier einer finsteren schwarzen Katze und bringt einen alten orientalischen Automatenbauer ins Spiel, der mit raunender Stimme "Hm" und auch "Hmhm" sagt und von eitrigen Geschwüren spricht, die ein Monster namens Arbeit ins bleiche, der Sonne niemals zugewandte Fleisch frißt: "And therefore never send to know for whom the Fabriksirene tolls; It tolls for thee." Von einem mißtrauischen Mob gejagt, flüchtet der Held aus einer mit schräggestellten Laternen bloß spitzwinklig erleuchteten Hafenkaschemme durch diagonal angelegte Kopftsteinpflasterstraßen und greift sich entsetzt ins schüttere Haar.

"Zu hülf! Zu hülf! Ich bin nicht mehr ich selbst!" ruft er aus, eine schwarzweißgedrechselte Spirale dreht sich dabei in seinen Augen. "Ich schau schon lang nicht mehr geradeaus!" Passanten ducken sich erschreckt in dunkle Hauseingänge, der Held torkelt weiter, "wann, wann wird Urlaub sein?" Ein schwarzer Vogel aber krächzt nüchtern "Nevermore!"


 


Sonntag, 21. August 2016


Dem Zug der Vögel... na ja, erstmal Planen



Das Ende des Sommers liegt unverkennbar in der Luft. Zeit also für die letzten Landpartien. Wie heißt es so berührend im Landwirtschaftsgedicht: "Die Äpfel hängen schwer am Baum/Ein Traum." Der Auftakt ist hakelig. Erste trockene Blätter, Kram von den Linden, haben sich unters Schutzblech verhakt, das Sischsischsisch während der Fahrt macht mich schnell irre. Gleich einem bockigen Pferd gilt es Zeug aus den Hufen Reifen, Speichen und Ritzen zu zippeln. Bei einem verbauten Hollandrad keine ganz einfach Aufgabe. Ich halte mehrfach an, bis ich kurzen Prozeß mache, das Rad kopfüber drehe und den letzten zischelnden Widerständler mit spitzen Fingern herauszupfe. Zehn Meter weiter wartet der nächste Blätterhaufen auf mich, ich gebe mich geschlagen.

Am Rand der Hafencity hat sich ein Zieselpark im Baugrund eingegraben. Sportlich finde ich die Preise, sonst könnte man das ja mal machen, so alle Mann und wie beim Autoscooter. Aber vielleicht ist man nach 15 Minuten auch froh, wenn es vorbei ist. So wie bei so vielen Dingen, die andere Menschen schön finden.

Ich fahr dann lieber über Land, 40 Kilometer sind es am Ende, ganz gut für einen mit Hamsterkäufen für alle Fälle vollgepackten Holländer. Ich finde das ja richtig, und bin daheim bis hin zur Alufolie für viele Katastrophenfälle gewappnet. Und das, wo ich noch nicht einmal Besuch empfange. Umgekehrt erstaunen mich immer wieder Menschen mit starker Neigung zur sozialen Nähe, deren Vorratskammern aus dem ReicheltPennyNetto nebenan bestehen.

Eine Jacke für das angekündigte Gewitter hatte ich dann aber doch nicht dabei. Doch schneller als schwarze Wolken radelte ich, husch-husch wie die dunkle Hexe im wizard of Oz, die auf ihrem Rad durch die Luft wirbelt. Bald bin ich durchnäßt, aber am Ende davongekommen. In Ochsenwerder war Schützenfest. Überall flattern betrunkene Fahnen im Wind. Im Graben romantische Hinweisschilder, man kann dort sich wohl zur Nottrauung treffen, ehe man aus einem katastrophalen Suff erwacht.

Die Gänse wittern auch schon Vorratsmangel oder andere Wetterwendungen. Am alten Holzhafen haben sie Pause eingelegt, nun schnattern immer wieder neue Geschwader dicht über meinen Kopf hinweg. Zeit auch für mich, in letzter Not einen Urlaub zu planen. Meine Erholungsvorräte sind alle. Mir fallen alle Blätter ab. Vielleicht als Kid Holgersson einfach hinterher.


 


Montag, 15. August 2016


Super Meta Maxi



Was ist das für 1 Leben? Da stehe ich zweimal kurz vor der Besichtigung der Tinguely-Ausstellung, und "ich, ich komme nicht rein", wie mal eine Düsseldorfer Punkband in einem ihrer frühen Hits skandierte. In meinem Fall waren es nicht die Türsteher Jürgen Englers, die mich hinderten. Es sind andere Grenzen, die mir aufgezeigt wurden. Einmal mußte ich kurz vor kurz die Fahrt absagen, beim zweiten Mal, dem letzten Tag der Ausstellung, war ich immerhin schon auf 400 Meter herangekommen. Man konnte quasi schon das Tingeling der Maschinen im Ehrenhof hören, überlagert aber von der Lautstärke anderer Störfrequenzen. Es ist also vieles möglich, aber wie bei einem Sturz kurz vor dem Zieleinlauf schaffte ich es nicht über die Linie. Medaillen wurden nicht verteilt. Alles für die Tonne.

Auch das ein weiterer Lernprozeß. Und natürlich muß ich sagen, daß schon die Strecke bis auf 400 Meter zum Ziel eine beachtliche Leistung ist. Was aber keiner versteht, denn meine, übrigens professionell vom Schuster frisch polierten Schuhe passen ja nur mir.

Es ist die Zeit der Teilerfolge. So wie bei meinem zurückgelassenen, buntgemischten Blumenstrauß, der mich bei meiner Rückkehr in meinen Schutz- und Trutzturm teils mit hängenden Köpfen, teils aber erstaunlich aufrecht empfing. Comme ci, comme ça also, mal so, mal so oder wie eine Hamburger Band zur selben Zeit dichtete "Ahoi, Ahoi, nicht traurig sein."

Auf der Hinfahrt mit der Deutschen Bummelbahn erstmals eine beständige Internetverbindung nebst Zugangsgerät vermißt. Man hätte lustige Beobachtungen twittern können, über die fidele Schülergruppe zum Beispiel, bei der Geschrei ausbrach, als die Lehrerin die einzige freie Steckdose belegte. Mit einem kleinen, weißen Ladekabel.

Ich sagte es doch bereits. Diese Dose definiert schon längst den gesellschaftlichen Raum, in dem wir uns bewegen.


 


Samstag, 30. Juli 2016


Area 51



Die Menschen blöken sich an auf den Straßen. Hauen sich den spitzen Hut vom Kopf. Schnupfen in den Eisenbahnen, sitzen auf Brücken und Großstadtdächern, decken sich ein mit harschen Worten und entgleisen wie Niveau von der Leiter. Ich habe die Woche über Stress, ich kann das nicht gebrauchen. Ärzte prokeln Sonden in meinen Körper, zeigen mir schwarzgraue Bilder auf dem Monitor wie von einem fernen Planeten. Dann wird Blut gezapft, als ginge es darum, einen Vampirfilm von Jean Rollin in die Betonzeit zu zerren. Im Labor hängen launige Cartoons an den Wänden und weisen die Ärzte dort als selbstironische Handwerker aus.

Zurück auf dem geheimen Forschungsgelände gleich wieder Sonderschichten und Gefälligkeitsaufträge. Arbeit! so als warteten zu Hause keine Fußböden und Badarmaturen auf mich! So geht das Tag für Tag, bis ich am Wochenende in die Käferstellung falle, plumpsend auf den runden Rücken, pumpende Tracheenatmung, wie aus unruhiger Nacht erwacht. Wenn es jetzt heißt, "Mulder, it's me", hat Scully hoffentlich ein paar nette Worte parat. Bis dahin ein wenig Kochen, Lesen, Bewegtbild schauen. Morgen poliere ich die Badarmaturen auf Hochglanz wie das Hubble-Teleskop.

Ich komm' schon noch drauf.