Samstag, 2. Juli 2016


Absaufen



Wenn die Mannschaft baden geht. Wenn das jetzt baden geht. Wenn das einer ausbaden muß. Wenn die uns naß machen. Wenn das ins Wasser fällt. Wenn wir da absaufen. Wenn einzelne wieder abtauchen. Wenn da einer durchtaucht. Wenn wir da ins Schwimmen kommen. Wenn da Welle um Welle anrollt. Wenn da einer 'ne Bauchlandung macht. Wenn da einer ins kalte Wasser springen muß.

Nicht, daß die Luft raus ist.


 


Samstag, 2. Juli 2016


Paris, im Juni



Ich ärgere mich immer noch über die verquaste Berichterstattung im DLF über das Konzert in Berlin. Ist das bei Berichten in "Fazit" über Bayreuth oder irgendwelche Theaterpremieren auch so? Das Gemaule über den Aufritt von Ms Harvey in Berlin stimmte hinten und vorne nicht, bereits in der uninformierten Anmoderation, dann auch in der eigentlichen Kritik ("kopflastig", "keine Hits"). Das habe ich gleich vermutet, und jetzt, da immer mehr Clips auf Youtube auftauchen, weiß ich es auch sicher. Leider war es ein Montag, sonst hätte ich es mir selbstverständlich dortselbst persönlich angeschaut, aber einer muß hierbleiben und die Steuerlast für die Elbphilharmonie zusammenarbeiten.

Sehr entzückend die Ansage in Paris. Und PJ Harvey hat immer noch die bestgekleidete Band (Ann Demeulemeester!), macht sich aber wirklich zu rar.

Radau | von kid37 um 01:52h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 26. Juni 2016


Kann man sich ausrechnen



In diesen europäischen Entscheidungswettkampftagen, man kann dies in Fußballfelder umrechnen, werden wieder viele Grenzen gezogen, geschlossen und neu eingerichtet. Man braucht wieder Paßwörter, Losungswörter, Visa oder einfach gutes Benehmen. Oder eine Pinnummer, so wie sie per SMS übermittelt wird, um Sendungen aus Packstation zu holen.

Mittlerweile habe ich allerlei Eselsbrücken, aber auch gewiefte mathematische Systeme entwickelt, die jeweilige Pinnummer zu memorieren. Gestern lautete die beispielsweise "4376". Das kann man sich sehr einfach merken, weil diese Zahl sich verkürzen läßt auf 4 minus 1 und 7 minus 1. Man muß sich nur 4 und 7 merken, und dann jeweils den Faktor minus 1 als zweite Ziffer. Man kann beide Teile der Gleichung auch aufaddieren, um es noch einfacher zu gestalten. Dann hat man 4 plus 7 gleich 11. Und auf der anderen Seite minus 1 und minus 1 also minus 2. Das sind dann 11 minus 2 gleich 9. Zum selben Ergebnis in der Gegenprobe kommt man natürlich auch, wenn man gleich 4 minus 1 gleich 3 rechnet und dies mit 7 minus 1 gleich 6 addiert. Das sind ebenfalls 9. In diesem konkreten Beispiel also jeweils die zweite Ziffer der Pin-Nummer, also 3 und 6.

Das Prinzip ist klar, statt mir 4376 merken zu müssen, reicht es, einfach auf den 200 Metern (diese Zahl tut jetzt nichts zur Sache) bis zur Packstation immer nur "9" zu denken. Neun, neun, neun... oder wie wir auf Englisch sagen Nein, nein, nein... das ist nicht schwer, das ist eine einfache Antwort auf komplexe Fragen. Am Terminal reicht dies natürlich nicht, hier also nicht Neineingeben, hier ist die komplette Pin-Nummer verlangt. Dafür nehme ich dann mein Mobiltelefon, und lasse mir von einem jungen Menschen in der Nähe die Zahl noch einmal vorlesen. Und voilà: Sesam, öffne dich! Moderner Warenverkehr.

Wäre es im Leben doch immer so einfach, denke ich. Man könnte komplexe Strukturen und Probleme mittels einer ausgeklügelten Formel herunterbrechen, so daß sie am Ende beispielsweise auf eine JA/NEIN-Frage hinauslaufen. Wem ist im Leben nicht schon einmal etwas, und sei es symbolisch, zu Bruch gegangen, weil zum Beispiel ein Unbekannter sich unziemlich eingemischt hat. Durch simple Rechenoperationen lassen sich Brüche bekanntlich umformen und zum unbekannten X hin auflösen. Und zwar so, daß dieses X ganz isoliert allein auf einer Seite steht. Und dann zeigt man mit dem Finger drauf und lacht. Simpel. Ein ganz mathematisch schöner Tag.

Hier in Hamburg kann man sich nicht nur sinnbildlich durch übertriebenes Trallala selbst aus dem Raucherclub ausgrenzen, da hilft auch nicht Schmidt Schnauze oder eine Pinnummer am Eingang. "Nein", heißt es dann. Bitte, Danke, Wiedersehen. Kann man sich alles ausrechnen.

>>>Geräusch des Tages: PJ Harvey liest John Donnes No Man Is An Island zum #Brexit


 


Dienstag, 21. Juni 2016


Brutstätten der Maschinenwesen



Obwohl eine Märchenkaiserin darin wohnte, sieht Schloß Schönbrunn ja vergleichsweise fast bürgerlich frisiert aus. Die Größe der Anlage, der Park und die Brunnen, der Ausblick von der Gloriette auf die Stadt machen da viel wett. Aber ein Neuschwanstein ist es nicht. Wer auf Türme und Schnörkel steht, muß trotzdem nicht darben: Zwischen Schwechat und Wien liegt die große Kathedrale, eine Sagrada Família für Freunde imposanter Industriearchitektur. Rohre und Schornsteine, ewig brennende Fackeln machen die Raffinerie zum einem weithin sichtbaren Wahrzeichen der Stadt. Nachts eingetunkt in ein Lichtermeer, verzückt die Anlage wie eine Kultstätte die ankommenden Besucher oder erfüllt die Abreisenden mit Wehmut. "Die Raffinerie in Schwechat bei Wien zählt zu den größten und komplexesten Binnenraffinerien Europas", sagt die Webseite der Betreiberfirma. Sie hat, umgerechnet in aktuelle EM-Zahlen, eine Größe von 200 Fußballfeldern, das ist sehr groß.

Solche Sakralbauten sind denn auch zum Staunen gedacht. In meiner Heimatstadt irgendwo im Bergischen kann man mit der Schwebebahn durch eine der Betriebsstätten eines bekannten Chemie- und Pharmakonzerns fahren, über dampfende Ventile und glänzende Rohre hinweg, Betriebsfahrradwege und farbig lackierte Steigleitungen. Man kann das Ding riechen, den Geschmack von den Zähnen puhlen und sich überlegen wie es wäre, dort nachts von einem Alien gejagt zu werden. Einem dampfenden Maschinenwesen. Das ist die Ehrfurcht, das beklemmende Gefühl, hier nicht nur Idylle zu sehen, sondern Architektur, vor der man sehr, sehr klein wird.

Wenn also derzeit in Frankreich Sportler beim Ballspiel etwas verzagt wirken, sollten sie sich fragen, wie sie fühlten, wäre ihr Spielplatz 200 Fußballfelder groß. Ein Monster in meinem Wandschrank.


 


Samstag, 4. Juni 2016


Bist du Mann oder bist du Molluske?




Kein Wienbesuch ist komplett, ohne einen Spaziergang durch mein Lieblingsmuseum dort. Man sollte es aber nachts machen, wenn nicht Schulkklassen dort herumtollen, natürlich achtlos an der Venus vorbei, aber mit großen Aah! und Ooh! vor Mammuts und Dinosauriern Faxen machend. Das Gebäude selbst ist eine Pracht, die Schätze dort noch mehr. Wer will, trinkt eben einfach einen Kaffee dort.





Lauter tote Tiere, das Bambi aus den österreichischen Wäldern findet man hier, Fische und exotische Säuger, sogar echte Krokodile - wohl dem, der seinen Platz im Tierkreis schon gefunden hat. Irgendwo darunter auch mein Wappentier: der sympathische Dodo.





Rustikale Taxidermie und Rekonstruktionen, empfindliche Nasspräparate und buntschillernde Insekten, ein kontemplativer Ort, an die Häupter seiner Liebsten, die Verflossennen und wie in verwaschenen Fotos noch Bewahrten zu denken. Unruhig wipfelnder Vogel - einst ruhest auch du! Als noch unverstandener, aber insgeheim begnadeter Tierporträtmaler halte ich alles in einem kleinen Skizzenbuch fest.





Wer schon öfter dort war, fndet auch einen Blick für Details abseits der holzgefaßten Schaukästen. Einfach mal hinsetzen, ein bißchen ausruhen. Auch die Bänke und Sitze und Hocker sind hier eine dekorative Wucht.




(Dienstags geschlossen - wo gibt es denn sowas?)


 


Mittwoch, 1. Juni 2016


Merz/Bow, #51



Die krachromantische US-Band Xiu Xiu hat sich (letztes Jahr bereits, aber nun denn) an der Musik von Twin Peaks versucht. Exklusiv für den "Record Store Day" 2016 wurde dazu ein Vinyl-Album veröffentlicht, auf Youtube gibt es den oben verlinkten Extrakt, aber auch komplette Live-Shows ihrer Rußland-Tournee im letzten Jahr zu sehen. Das sage ich ganz nüchtern, die Emotionen sind ja in der Musik.

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Wlanlos in Wien entdeckte ich diesen alten Thorens-Plattenspieler und hätte dort neben meiner immer im Handgepäck bei mir geführten Häkelschallplatte natürlich auch das "Twin Peaks"-Album von Xiu Xiu hören können, hätte ich es denn am "Record Store Day" ergattert. Der Plattenspieler für sich genommen würde auch bella figura in meinem Leuchtturm machen, darüber denke ich maschenweise nach.

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Sigríður Níelsdóttir kennt ihr nicht. Bekannt wird die über 77-jährige Dame aus dem schönen, wenn auch abgelegenen Island nun als "Grandma Lo-Fi". Weil Björk dort nicht die ganze Zeit Musik machen kann, sprang Frau Níelsdóttir ein und spielte einen ganzen Strickkorb selbstgemachter Alben mit Casio-Keyboard und Spielzeuginstrumenten ein. 59 waren es Stand 2014, diese Zahl sollte dem ein oder anderen faul gewordenen Musikanten unter uns ein Ansporn sein. Passend zum unaufgeregten Ansatz ihrer Heimproduktionen, wurde ihr Schaffen auf Schmalfilm und Video dokumentiert. Einen Trailer zu der vergnüglichen Doku gibt es hier.

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Schwerter zu Querflöten, oder: Es liegt ein Klang in allen Dingen. Der Künstler Pedro Reyes aus Mexiko hat sich 6700 (nicht verifizierte Zahl) im Kampf gegen Drogendealer konfiszierte Waffen besorgt und diese zu verschiedenen Musikinstrumenten umgebaut.

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Die "Stalinorgel" muß also kein geschmackloser Scherz bleiben, da ginge was, liebe Flöten von den GRÜNEN, die ihr neuerdings die Waffenindustrie weißwäscht.


>>> Geräusch des Tages: Xiu Xiu mit "Twin Peaks" live in Moskau

MerzBow | von kid37 um 23:19h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 29. Mai 2016


Tage der Entbehrung

Natürlich muß man, will man nicht als Geschichtenerfinder und Rosarotmaler dastehen, auch von den traurigen Seiten einer solchen Reise schreiben. Da hatte ich mich doch vorab bei der Vermieterin versichert, daß es gemeingebräuchliches, fernempfangbares Internet in der Ferienwohnung gibt. Auch hielt sie mir beim Empfang freudestrahlend einen blauleuchtenden Zauberwürfel ("Hier ist das internet drinnen") unter die Nase. Doch die Tränen in meinen Augen sah sie nicht. Die sah sie nicht.

Gleichwohl strukturiert wie immer, aber durchaus auch ein wenig spontan war ich in der Früh nämlich aufgebrochen, ohne das Tablet einzustecken, das frischgeladen auf meinem karg dekorierten Nachttisch lag. Mit leichtem Gepäck, aber schwerem Herzen landete ich also in der schönen Stadt, einem modernen Hiob gleich schweren Entsagungsprüfungen unterworfen.



Was will man da noch machen in einer solchen Stadt, abgeschnitten von fernsprachlichen Kontakten, elektronisch übermittelten Bulletins und Telegrammen? Etwa Zeitungen beim Trafikanten kaufen? Na, man könnte um das Geld vielmehr zum Friseur gehen, sich eine Donauwelle legen lassen und anschließend ins Café, wo die gedruckten Journale ausliegen. Hier ist so ein Tag mit mürrischen Kellnern und schönen Damen im Gastraum angenehm verbracht.



Man kann darüber meditieren, in welchen dieser Weltkurturcafés die Melange mit einem Häubchen Schlagobers oder eben Milchschaum gereicht wird. Wie - außen hui, innen pfui - die Toiletten und Sozialräume im Vergleich zu den plüschigen oder abgeranzten Verzehrstuben gehalten sind, Elias Canettis Die Blendung mag einem einfallen, allein des Titels wegen und weil man in solchen Schänken gleich zum Literaten wird.



Oder, die angebrachte Notiz gab darüber Auskunft, zur frischgeputzten Würstlbude gehen, etws gut Durchgegrilltes mit allerlei Senf zur Stärkung holen und dabei, in einem imitierenden Dialekt und der leichten Muse ja nicht abgeneigt über beispielsweise den großen Wiener Peter Alexander Ferdinand Maximilian Neumayer sprechen, der ja nur zu bald seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte.



Gegen Ende der Woche konnte man sogar draußen sitzen, Schuhwerk und Kostüme, erste opulent geblümte Sommerfetzn und hochgesteckte Frisuren betrachten und überlegen, wo man sich heimlich in der Dämmerung in ein Internetcafé schleichen kann. Sonst hat der Entzug aber gut geklappt.