Samstag, 15. Februar 2014


Warpaint

It’s not necessary/
To be so dark

(Warpaint, "Love Is To Die")


Der bemerkenswert selbstbewußte Mix von aus Post-Punk-Soundlandschaften destilliertem Flangerschwirren der frühen Cure, den schräg dazu gesetzten Popmelodien aus der Echokammer der Cocteau Twins, durcheinandergeschüttelt von diesen hübsch vertrackten Versatzstücken, Brüchen und Brücken von einer Phrase zur nächsten und in Schleifen wieder zurück - das war für mich eine der hübscheren musikalischen Überraschungen der letzten Jahre.



Ich hätte aber nicht gedacht, daß der Zauber der ersten anderthalb Alben noch ein weiteres Mal funktionieren könnte. Aber wo mich die One-Hit-Indiewunder der letzten langen Jahre - angefangen von diesen prätentiösen Interpol-Bubis über deren biedere Cousins, den Editors, - mich alle mal ungefähr fünf Minuten begeistern konnten, gar nicht zu reden von den ganzen Siouxsie-Kopfkissen-Beschlummerinnen, die vor drei, vier Jahren plötzlich aus der Neo-Gothic-Höhle im Retrowäldchen sturzgeboren wurden, ist das nun einfach Warpaint betitelte zweite richtige Album eine überraschend angenehme, entspannt klingende Fortsetzung.

Mir gefällt immernoch, daß die so hörbar Bock haben zu spielen. Das sind Musikarbeiterinnen ohne Gepose, die sich selbstvergessen in endlosen Jam-Session-Schleifen verlieren (am schönsten vielleicht auf diesem wie von einem Adrien-Sherwood-Gerätepark unterlegten "Hi"), die neuerdings mit dem Einsatz von Elektronik experimentieren wie im schwelgerischen "Biggy" oder lässig die treibenden Stücke vom Erstling zitieren. Ein gutes zweites Album, sehr bei sich, ein Schritt zur Seite, keine vom eigenen Erfolg verängstigte Fanwunscherfüllung.

Die Älteren unter uns könnten natürlich nörgeln. Man höre sich nur mal das Intro mit der Basslinie und dem Sound der Gitarre und der Melodie von Siouxsies Cascade an und schalte dann 20 Jahre weiter zur Warpaint-Single Love Is To Die. (Bin gerade zu faul zum Nachsehen, aber könnten tatsächlich beide von Flood produziert sein.) Verblüffend, aber will man da kleinlich werden, wenn das so schön gesponnene Spinnweben sind?

Möglicherweise schaffe ich es mal zum Konzert. Von den Live-Qualitäten hört man sehr unterschiedliches, von "stark" bis "langweilig" und "verkifft" ist alles dabei. Auf Youtube gibt es ein paar Mitschnitte aus den letzten Monaten, bei denen die neuen Stücke noch nicht sonderlich gut sitzen, wie ich finde. Die schließen dort aber keinen bei sich ein, man kann jederzeit gehen. Hoffe ich.

>>> Warpaint rocken Elephants bei Jools Holland. (Offene Münder im Publikum.)

Radau | von kid37 um 01:37h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 14. Februar 2014


Die süßen, traurigen Spiele der Kindheit

Ach, wie romantisch. Zum heutigen Valentinstag (ihr habt sicher eure Mailingliste mit der Massenaussendung schon aktiviert?) möchte ich auf den entzückenden Festivalfilm Skin von Jordana Spiro verweisen. In diesem Kurzfilm gibt es diesen kleinen einsamen Jungen, der bei seiner Familie im Ödland vor der Stadt wohnt. Seine einzigen Spielkameraden sind tote Tiere, Eichhörnchen etwa, denn sein Vater ist der Tierpräparator der Gegend. Da der Junge zart verliebt ist in ein Mädchen an der Schule, gibt er sein unbeholfen Bestes, ihre Trauer über den Tod ihres Hundes mit einem außergewöhnlichen Liebesbeweis zu lindern. Ah! Und auch oh!

>>> Skin (Vimeo)

Kummer schwimmt oben wissen Leser von Irvings Hotel New Hampshire, in dem eine recht ähnliche Szene beschrieben wird. Dabei ist es bloß unschuldige und besonders herzige Liebe. Mir ging es oft ähnlich. Unverstandene, mißtrauisch beäugte Geschenke, schüchterne Gaben. Ach.

Super 8 | von kid37 um 11:10h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 13. Februar 2014


Singing the Tweet Life, the Body Electric

Ich lerne ja gerade Schwimmen in einem bestimmten populären Kurznachrichtennetzwerk. Geschult an einer gewissen US-amerikanischen Regierungsverschwörungsagentenromcom, fallen mir dabei ein ums andere Mal merkwürdige Zusammenhänge auf. Offenbar gibt es auffällige Synchronizitäten im Alltagsleben verschiedener Menschen, durch winzige, aber auffällige Details unterschieden. Vielleicht sind wir alle Figuren in einem riesigen Computerspiel, dessen Zufallsgenerator Szenarien auswirft, die nicht endlos variabel sind. Hier eine solche Ereignisschleife vom 11. Februar:





Innerhalb von vielleicht 45 Minuten lieferte die Matrix also obskure Kofferraumgeschichten, wobei unklar ist, ob die transportierten Schweine oder verlustig gegangenen Gepäckstücke im Leichenwagen oder ganz woanders wieder auftauchten. (Etwa im Stream eines anderen Nutzers.) Für die Schweine spräche das ungelenke Wendemanöver - wer geräte nicht ins Schwitzen, randalierten einem plötzlich panisch gewordene Nutztiere hinten im Kombi.

Möglicherweise wollte man mir damit auch eine Botschaft übermitteln, so wie es die Beatles einst mit dem Weißen Album machten, auf dem bekanntlich (wenn man es unter Kopfhörern bei langsamer Geschwindigkeit hört) die Botschaft "Charlie, ruf uns ins London an!" versteckt ist. Wie jedenfalls der nicht bei diesem Kurznachrichtendienst aktive Herr Manson (der andere also, der erste) 1969 behauptete.

Die Botschaft, soll noch mal jemand sagen, ich dächte mir das alles nur aus, lautet offenbar: Vorsicht im Straßenverkehr!

Tentakel | von kid37 um 22:37h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 11. Februar 2014


Besuch mich nicht, du wirst mich nicht finden

Ich erhalte ja selten Besuch hier in meiner bescheidenen Tiki-Sperrholzklause, was verschiedene Gründe hat, mentale oder körperliche Abwesenheit, regionale Abgeschiedenheit oder eine gewisse, man könnte es nennen Kompliziertheit beim Versuch, Einlaß zu erlangen:

Darauf fragt einer der Kapuziner-Brüder von drinnen: "Wer begehrt Einlass?" Der Herold antwortet mit allen zu Lebzeiten der/des Verstorbenen getragenen Titeln. Von drinnen erfolgt allerdings die Antwort "Wir kennen sie/ihn nicht!". Daraufhin klopft der Herold noch einmal. Wieder wird gefragt "Wer begehrt Einlass?" Diesmal antwortet der Herold mit der Kurzfassung der Titel. Doch die Antwort ist abermals "Wir kennen sie/ihn nicht!". Der Herold klopft ein drittes Mal, erneut wird dieselbe Frage gestellt. Nunmehr nennt der Herold nur den Vornamen und fügt "ein sterblicher und sündiger Mensch" an, woraufhin das Tor geöffnet wird. [Q]

Wißt ihr Bescheid, wenn es über die Sprechanlage knistert, "Wer begehrt Einlaß?", so antwortet mit eurem Usernamen und der Formel "ein sterblicher und sündiger Mensch", sonst drücke ich nicht auf den Türöffner. Schluß mit diesem Titelgewese, eitel herausgestellten Einkommensbescheiden oder von Interessensverbänden manipulierte Listen über "die beliebtesten Besucher der Deutschen"!

Oder Namenkratzen in weißgekalkte Wände. Klageläuten pauschal bezahlter Textnachrichten. Hautrisse flüchtiger Begegnungen, erinnerungswelke Trauerblumen auf Fußmatten, geklaubt von Türschwellen, Grenzzäunen, altersbeschränkten Tanzdielenveranstaltungen. Die letzten Passierscheine nämlich habe ich längst schon ausgegeben, verschenkt.

Ich weiß doch, wo du damals herkamst.


 


Donnerstag, 6. Februar 2014


Anker werfen



In aller Herrgottsfrühe zog die Karawane, beladen mit Maschinenteilen, Stahlcontainern, chromblitzenden Werkzeugen, Knochensägen und kilometerweise Netzwerkkabeln, durch die Straßen der Stadt, nun ist die neue Fabrikhalle bezogen. Die Fenster unserer Montagehalle zeigen zum Hafen raus, die Kollegen rufen "Ein Schiff! Ein Schiff!". Ich sage, nach feinhistologischer Begutachtung geht das auch präziser und verweise auf den Hafenradar für eindeutigere Diagnosen. Vom Kapitän weitere gute Nachrichten. Der Tarif für Schauerleute, Gehirnchirurgen und Hafenarbeiter wurde erhöht, dieses "Meer" (Haha, Wortspiel!) lohnt allerdings kein Konto in der Schweiz. Es wird also in absehbarer Zeit, sollte mir steuerlich nicht siedendheiß etwas einfallen, keine gemeinnützige Stiftung Hoeneß-Schwarzer-Kid-&-Co. geben, zumal mit mir als moralisch überlegene Belehrungsperson sowieso kein Staat zu machen ist.

Mittags könnte man nun Muscheln, Hummer, Scampi oder Perlhuhn kaufen gehen, in der Umgebung ist aufwendig zum Chefarzttarif gedeckt. Alles Fisch, frisch & fein, nur finde einmal ein gut abgehangenes, solides Käsebrot, bei dem die Rinde vom erschöpften Liegen schon leicht welk und hart geworden ist. Hoffnung bleibt, daß das Hafenklang einen Punker-Mittagstisch (Menü 1: "Astra mit Kartoffel", Menü 2: "2 Astra mit Kartoffel") einrichtet für die Heizer aus dem Maschinenraum und dem anderen niederen, unter mottenlöchrigen Pferdedecken schwitzendem Personal.

Abends allerdings sind steile Treppen zu bewältigen, der Generationenvertrag wirkt leider nicht so weit, daß jüngere Kollegen mich Huckepack nähmen. Ich könnte ansonsten, eine kleine Reitgerte fuchtelnd, Hat-hat! wie Lawrence von Arabien die Hügel stürmen, mich dabei wacker auf den schwankenden Schultern der Nachwuchsriesen haltend. Allein, alles allein muß man machen.

Nachts allerdings bin ich früher zu Hause. Nach langem Dienst unter funzeligen, aber "intelligenten" Leuchten, und damit sind die Tischlampen gemeint. Die schalten ein, wenn man atmet oder mit den Augen blinzelt, so genau wissen wir das noch nicht. Die schalten ab, wenn jemand hustet oder sein Pausenbrot auswickelt. So genau wissen wir das nicht, aber ein Architekt soll den geheimen Plan dazu besitzen. Oder gedacht haben. Nachts also, wenn die Schiffe dann schlafen und mit ihren Lichtern übers Wasser winken, könnte man glatt hierbleiben wollen. Selber Anker werfen. Alles gut nennen. Erstmal.


 


Samstag, 1. Februar 2014


Pinku Eisu



Zum Anfang des eisverschollenen Tages heute morgen konnte ich mein Einstecktuch nicht finden und blieb daher nach reiflicher Überlegung der Arbeit fern, um keinen falschen Eindruck von meiner Person und meinem Erhaltungszustand zu erzeugen. Dahinter steckte aber in Wahrheit kein modeinduzierter besonderer Mut, denn zur Zeit steht sowieso ein Umzug ins Haus. Die letzten Tage folglich umgeben von großen flüssigkeitsdichten Wannen, Rollregalen, Packkartons, versiegelten Stahlcontainern und allerlei Mannsvolk ("Ist Mannsvolk anwesend?") verbracht und erlebt, wie sich die Kollegenansammlung in eine nervengezupfte Dschungelcampbesatzung verwandelte. Es gab eben nur Bohnen.

Winfried, Hausbursche Engelbert und ich verbrachten also den Tag im Wintergarten im Schatten meiner Orchideenzucht und hörten das brandneue, sensationelle Album von Pinkunoizu (was sich anhört, als würden Sonic Youth die frühen Pink Floyd nachspielen). Sehr entspannt; ich dachte mir in meinen verschiedenen Rollen als innerer Winfried oder trunkener Hausbursche oder der andere, der vorgibt, ich zu sein, tiefsinnige Gespräche aus und so kamen wir ganz gut miteinander klar, während anderenorts Rubel, Häuser und Umzugsgut rollten.

Statt wie üblich samstags war ich daher ausnahmsweise schon am Freitag beim HO um die Ecke und traf völlig andere Kundschaft an. So wie den Ghost of my future Self, einen Prinz-Heinrich-bemützten Rentner, der eine Flasche Magenbitter, in Plastik verpacktes, geschnittenes Industriegraubrot und zwei Dosen Sardinen in Öl aufs Laufband packte. Wir tauschten eine launige Bemerkung, denn wir sind von ein und derselben ledrigen Haut.

Letzte Woche indes (!) mit zwei neuen, nicht ausgedachten Ärzten zu tun gehabt, die sich jeweils eine geschlagene Stunde mit mir, der Gesamtsituation und meinen Befunden auseinandersetzten. Dass es so etwas noch gibt! Überhaupt, diese Befunde. Sozusagen mein Lebenswerk, wie ich erkannte, denn obgleich ich keine Romane schreibe, hat mein Körper beschlossen, dies engagiert in mehreren Bänden für mich zu tun. Das Opus magnum, sozusagen a Body of Work, ist mittlerweile angewachsen auf den Umfang von Gustav Freytags Soll und Haben, liest sich aber wie ein Roman von Dickens, grimmig, verwinkelt, voller Nebenfiguren mit sprechenden Namen, unglaublicher Wendungen, erleichterndem Humor, etwas Rührung und vielen mysteriösen Vorausdeutungen. Ob ich der Held meiner eigenen Geschichte bin? Die Ärzte fanden die Frage witzig und verwiesen auf wissenschaftliche Studien, nach denen ein deutlicher Prozentsatz Romane mit offenem Ende, äh, endet. Schließt.

Weitermachen.

>>> Geräusch des Tages: Pinkunoizu, The Great Pacific Garbage Patch


 


Samstag, 25. Januar 2014


Spooky



Meinen Maileingang finde ich gerade etwas unheimlich. < molamode >Ich kann doch nichts dafür!< /molamode > Fehlt nur noch, daß sich mein Haus als eine von Schrotkugeln durchlöcherte Bretterbude im Süden der USA entpuppt, in der ich mit meiner entstellten Familie seltsamen Hobbys nachgehe.

Nachher heißt es wieder, woaas, a Serienmörder? - er schien so ein harmloser, netter Nachbar, ich hatte den auch auf der Blogroll. Früher hätte man gleich ein Spiel daraus gemacht, poste spontan drei aufeinanderfolgende Betreffzeilen aus deinem Mailaccount, aber vielleicht gibt es das auch schon. Wir im Hinterwald der USA hinken ja immer ein wenig hinterher.

Wer übrigens eine Reise plant ins Land des Unheimlichen, mag dieser Karte folgen: Fire Walk with Me, eine Route quer durch Twin-Peaks-Land. (Um auch mal eine andere wegweisende US-amerikanische TV-Serie aus den - Achtung! - 90ern zu erwähnen.) Mehr solcher Reisen zu Filmlocations gibt es hier. Klopft aber nicht bei mir an, ich muß Fleisch sieden. Für ein Barbecue mit der glatzköpfigen Familie.

>>> Geräusch das Tages: Lydia Lunch, Spooky